Serie: Hamburg am Wasser - das Abendblatt stellt Flüsse und ihre Geschichte vor

Die interessanteste Aussicht bietet sich von der Flutschutzmauer am Ende der Straße Reiherstieg-Hauptdeich: Im Süden ein hohes Getreidelager, im Westen die Rethebrücke, im Norden die Skyline Hamburgs. Und im Osten? Ein paar Büsche, Bäume und Zäune.

Doch für das Gebiet gibt es Pläne: "Die Wasserachse Reiherstieg", so kündigt das Konzept "Stadtumbau West" der Stadtentwicklungsbehörde an, soll "als attraktives Wohnumfeld genutzt und ausgebaut", die "besondere Qualität der Lage des Stadtteils am Wasser in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt" werden. Das Vorhaben folgt bekannten Vorbildern, vielerorts haben Stadtplaner aus Industriebrachen an Hafenbecken und Kanälen Quartiere mit Appartements, Büros, Restaurants und Geschäften gezaubert.

Die Vision wirkt gewagt, die grünen Zeiten liegen am Reiherstieg lange zurück: Um 1600 deichen adelige Grundbesitzer Dutzende Inseln zwischen Norder- und Süderelbe zusammen, doch das Land taugt wegen häufiger Überschwemmungen nur zum Heumachen.

Erst 1838 bringen Bagger das Reiherstiegufer auf Fluthöhe. Industrie und Handel nutzen die neuen Flächen gern. 1851 konstruiert der Ingenieur Bernhard Wencke das erste Trockendock; weil immer wieder Wasser eindringt, nennen die Arbeiter es "Quellental". 1862 eröffnen Reeder am Reiherstieg eine Seemannsschule.

Die Arbeiter kommen per Fähre über die Norderelbe. 20 Schiffswerften und der Freihafen folgen. Eine "Dampf-Kakesbäckerei und Bisquitfabrik" rutscht 1890 von schlechten Fundamenten ins Wasser. 1892 gehen Werkstätten und Maschinenhalle der Hapag in Flammen auf.

Bald lockt der Elbarm auch zur Freizeit, etwa die "Segler-Vereinigung Reiherstieg von 1926", mit Boothaus an der Klappbrücke. "Wir waren Arbeiter, Schiffbauer, Leute aus dem Hafen", sagt Hermann Rosenau (80), Mitglied seit 60 Jahren. "Die Boote bauten wir selbst, Arbeitslose zahlten keinen Beitrag, auch Frauen fuhren mit, meine habe ich dort kennengelernt." Als immer mehr Barkassen den Reiherstieg befuhren, zog der Club an die Süderelbe um, doch angesichts der neuen Pläne scheint die Rückkehr nicht ausgeschlossen. Morgen: die Seeve