In lockerer Folge berichtet das Hamburger Abendblatt über die Menschen, die für Spitzenmedizin in der Hansestadt sorgen.
Morgens um acht im OP: Professor Jörg Ostermeyer (58) - hinter Lupenbrille, Mund- und Kopfschutz kaum zu erkennen - schneidet mit dem Skalpell ein Herzkranzgefäß zwei Millimeter in Längsrichtung ein, genau dort, wo jenseits einer verengten Stelle das Ende der linken Brustwandarterie des Patienten angenäht wird - ein Bypass. Der versorgt das Herz mit frischem Blut. Schon wenige Stunden später wird der Patient spüren, dass er besser Luft bekommt und sich nicht mehr vor Schmerzen krümmt, wenn er sich anstrengt.
Bis zu drei Operationen macht Ostermeyer an einem Tag. In seiner Brust wohnen zwei Seelen - zuerst die eines Spitzenmediziners: Der Chirurg Jörg Ostermeyer ist Spezialist für Bypass- und für Herzklappenoperationen; und da ist seine zweite Seele, die eines kunstsinnigen Menschen, auf dessen Schreibtisch der Katalog "Picasso und die Mythen" liegt, der sich abends um zehn eine Stunde ans Klavier setzt, um spätromantische Stücke zu spielen, und der sein Chefarzt-Büro im AK St. Georg mit Kunstobjekten ziert, die er aus Fantasie und Lust am Kombinieren selbst geschaffen hat.
"Ich verbinde in irgendeiner Inspiration vielfältige Eindrücke, aus dem Alltäglichen, von Reisen, am Wegesrand oder am Meer Gefundenes, Kreuze von einem Abfallhaufen, Christusfiguren aus Guatemala und Goa, Bootsreste aus Gotland oder von der Côte d'Azur, Zuckertüten aus dem Albatroz in Lissabon, ein Foto von der trauernden Jackie Kennedy." Durch Wachs, Farbe oder Lack "bekommen die Dinge eine neue Bedeutung, die ich aber nicht sprachlich fassen kann", sagt Ostermeyer, denn Sprache sei eine Sache und ein Bild eine andere.
Den nahe liegenden Gedanken, ein Mediziner mit der Verantwortung für 1250 Herzoperationen im Jahr, der morgens um acht am OP-Tisch steht, brauche die Kunst als Entspannung, weist er von sich. Klavierspielen etwa sei "harte, konzentrierte Arbeit, bis zur Erschöpfung", zumal wenn man ein neues Stück übe, wie etwa ein Chopin-Konzert. "Und wenn ich Glück habe und am Ende Musik daraus wird, ist mit Entspannung schon gar nichts, im Gegenteil, dann setzt mich die Musik, ob ich sie höre oder spiele, unter extreme Spannung."
Wie bewertet dieser kunstsinnige Mensch mit dem Hang zu philosophischen Gedanken sein medizinisches "Handwerk"?
Es gehe darum, ganz profan, "checklistenmäßig und professionell" einen komplexen Job zu erledigen, so wie Piloten, "mit dem Ziel, einen Patienten mit größter Sicherheit und geringstem Risiko von A nach B zu bringen und ihn mitfühlend, mitempfindend zu begleiten".
"Fragwürdige Innovationen" lehne er ab, das Operieren mit Robotern sei ein "Mogelspiel", denn nicht die Maschine, sondern der Mensch operiere.
Was rät der Herzspezialist mit Berufserfahrung in Heidelberg, Aachen, Kiel, Düsseldorf, New York und Chicago Menschen mit Herzproblemen? Wenn das Herz mal mit einem "Stolperschlag" aus dem Takt gerate , sei das meist eine harmlose Rhythmusstörung, sagt Ostermeyer. Wer jedoch häufig darunter leide, solle die Ursache von einem Kardiologen klären lassen.
Denn alle Patienten, die beim Herzchirurgen landen, müssen zuvor von Kardiologen untersucht worden sein. Diese klären etwa, ob eine Durchblutungsstörung der Herzkranzgefäße vorliegt, gegen die ein Bypass hilft, oder ob eine Herzklappe fehlerhaft ist.
Neben dem Ersatz durch Kunst- oder Bio-Herzklappen gelingt es Ostermeyers Team immer häufiger, defekte Klappen zu "rekonstruieren", also ohne Fremdmaterial funktionstüchtig zu machen.
Stolz ist Ostermeyer auf Daten, die im Klinikalltag sonst eher unter Verschluss gehalten werden. Bei schwierigen Bypass-OPs beträgt die Sterblichkeitsrate in der Herzklinik St. Georg 1,3 Prozent gegenüber 5,3 Prozent im Bundesdurchschnitt, und das, obwohl die Operierten mit 67,5 Jahren knapp zwei Jahre älter sind als deutschlandweit.
Aber auch der beste Herzchirurg könne die Grunderkrankung nicht heilen, sagt Ostermeyer. Hier sei jeder Patient gefordert, die Risiken selbst zu verringern. Das bedeutet zum Beispiel: Übergewicht vermeiden, nicht rauchen, vitaminreich und fettarm essen, regelmäßige Vorsorge nutzen, sich körperlich fit halten.
Letzteres nimmt Ostermeyer manchmal selbst ernst: Dann bringt er sein Herz auf Touren - an der Rudermaschine in seinem Keller.