Orthopäde Peter Benckendorff behandelt die Klitschkos, den “Tiger“, aber auch Neumeiers Tänzer.

"Es wird zu viel operiert, in Deutschland wie in Amerika": Peter Benckendorff, Hamburger Orthopäde und Sportmediziner, weiß sehr wohl, wovon er spricht. Schließlich hat er jahrelang selbst operiert, von morgens bis abends Prothesen gemacht, erst an der Nordland-, dann hauptsächlich an der Endoklinik und schließlich in Eppendorf. In all diesen Jahren kam der heute 59 Jahre alte Facharzt mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass seine Tätigkeit im Prinzip aus reinem Wegnehmen besteht. "Dabei sollte unser aller Grundsatz doch lauten, erhaltend zu arbeiten", sagt er. Und beklagt, dass häufig zu schnell zum Skalpell gegriffen werde: "Manche Patienten kommen beim Arzt kaum dazu, ihre Beschwerden zu schildern, schon haben sie einen OP-Termin. Das muss nicht sein." Benckendorff fand, dass die Schulmedizin mit ihren Standardmethoden (sprich den Alternativen Operationen oder Cortison-Injektionen) nicht das A und O sein müsse. Mehr und mehr befasste er sich mit konservativen Therapien gegen Verschleißerscheinungen an den Gelenken, nämlich Substanz weiter aufzubauen statt sie zu schädigen. "Gerade die kleinen Wirbel, die degenerativen Veränderungen im Bereich der Bandscheibe, sind die häufigsten Ursachen für Rückenbeschwerden", erläutert der Mediziner. Dem Knorpel komme da die entscheidende Bedeutung zu: "Er gehört zum großen Topf Bindegewebe, also Sehnen, Knorpel und Bänder. Wenn da hinein Cortison gespritzt wird, wird die Struktur der Fasern verändert. Sie lockern sich weiter, anstatt sich zu festigen. Das Gegenteil wird erreicht. Auf Dauer gesehen, beschleunigt Cortison den Krankheitsverlauf und verbessert ihn nicht." Weil in seinem Fach aber immer noch weitgehend nach dem Prinzip gearbeitet wird "Das haben wir immer so gemacht", wurde Benckendorff anfangs von Kollegen belächelt. "Der macht seine Therapie, die bringt eh nichts", hieß es. Aber er setzte seinen Kopf durch, ließ sich nicht beirren in seinem Ziel, eine Alternative zum Cortison zu finden, mit Medikamenten zu arbeiten, solange es geht, und Knorpel aufzubauen. Dazu injiziert er hauptsächlich Eiweißpräparate oder verabreicht sie in Form von Tabletten. Und er weiß genau, wie weit er gehen kann: "Es ist nur etwas zu machen, solange Substanz, sprich Knorpel vorhanden ist in den Gelenken. Wenn aber eine Arthrose vierten Grades vorliegt, muss ich die Segel streichen. Dann muss operiert und ein künstliches Gelenk eingesetzt werden." Lernen kann man derlei an deutschen Universitätskliniken - noch - nicht. Für Benckendorff, wie viele seiner Kollegen in ganz Deutschland auch, galt es deshalb, sich weiterzubilden, praktische Erfahrungen zu sammeln. "Ich habe den schlauen Leuten auf die Finger geschaut", sagt er. Will sagen: Er hat neurologisch gearbeitet, er lernte Akupunktur, setzte die Nadeln vereint mit homöopathischen Spritzen ein. "Das habe ich von einem Dänen gelernt, der das Team Telekom betreute." Die Spezialisten tauschen sich aus, im In- wie im Ausland. Und seit in Skandinavien und in den USA in zahlreichen Fachveröffentlichungen einwandfrei nachgewiesen wurde, dass diese Eiweißtherapie mit Knorpel bildenden Substanzen nicht nur symptom-, sondern auch krankheitsverändernde Wirkung hat, lächeln auch die Kollegen nicht mehr. Nur einige wenige Krankenkassen zieren sich noch, die schmerzfreie Therapie anzuerkennen. Vor 20 Jahren hat Peter Benckendorff sich in einem der ältesten Häuser in der Hamburger City, einen Steinwurf von Gänsemarkt und Oper entfernt, niedergelassen. Die Praxiswände schmücken handsignierte Fotos der heutigen und früheren Stars von Neumeiers Hamburger Ballett-Compagnie. Und ein Paar Boxhandschuhe, signiert von den Brüdern Wladimir und Witali Klitschko und dem "Tiger" Michalczewski - Benckendorff behandelt die Tänzer wie die Boxer. Er ist Ringarzt des Boxstalls Universum und Vertrauensarzt der Tänzer. Da kann es oft passieren, dass er mal eben zu einem WM-Fight nach Las Vegas oder kurz vor der Premiere an die Bayerische Staatsoper düst. "Das ist mein Hobby." Reich wird er dadurch nicht - er will unabhängig bleiben. Ab und an muss er auch Psychologe spielen. Wenn er einem Schwergewichtler sagen muss, dass es für dessen Gesundheit besser sei, den nächsten Titelkampf abzusagen. Da gehts ums Geld. Schlimmer ein Fall, den er unlängst an der Ballettschule hatte. Da war ein zwölf Jahre altes Supertalent mit allen Voraussetzungen für eine Ballerina. Das Mädchen hatte einen schweren Bandscheibenschaden . . . Weil er weiß, wie hart Sportler trainieren, weil er aber auch viele Leichtathleten als Patienten hat, lief er jüngst erstmals einen Marathon. "Man muss Verständnis dafür haben, für ihre Verletzungen und Schäden, die sie erleiden. Nur dann kann man mitreden." Ein wenig Eitelkeit, gibt er lächelnd zu, sei auch dabei gewesen. Nach der Zeit gefragt, ob über oder unter vier Stunden, kam dann auch nicht ohne einen gewissen Stolz die Antwort: "Dreieinhalb. Ich wollte unter fünf Stunden bleiben." Die Zeit fürs Boxen fand er, weil er sich auf einem anderen Gebiet nicht mehr zu engagieren brauchte, dem Fußball. 25 Jahre lang gehörte er zum FC St. Pauli, war Mannschaftsarzt bei jedem Punktspiel, saß auf der Bank bei Auf- und Abstiegen. Zuletzt war er Vorsitzender des Aufsichtsrats. Mehr als "Tempi passati" will er dazu nicht sagen. Fußball hat er gespielt, auch Tennis. Und Boxen? "Ich boxe mich durchs Leben", sagt Peter Benckendorff. Und lacht.