Chirurg Dr. Rolf Habenicht, Chefarzt des Wilhelmstiftes, korrigiert angeborene Missbildungen bei Kindern

Dr. Rolf Habenicht (53) schaut auf seine Hände: "Ich bin ein manueller Mensch", sagt er. Sein Spezialgebiet sieht er als "handwerkliches Fach". Die Hände haben es ihm angetan. Der Chefarzt im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift ist Kinderchirurg - und ein Spezialist für Kinderhände. Dahinter verbirgt sich mehr als eine Korrektur von Knochenbrüchen. Habenicht und sein Team bringen mit ihrer Kunst viele Kleinkinder erst auf den Weg zu einer normalen körperlichen und geistigen Entwicklung. Denn sie korrigieren angeborene Missbildungen der Hände, schaffen oft erst eine Greiffunktion, "und Greifen ist auch im übertragenen Sinne wichtig, um Dinge be-greifen zu können", sagt der Chirurg. Schwerwiegende Fehlbildungen an Händen oder Füßen werden früh korrigiert, manchmal unmittelbar nach der Geburt. Habenicht: "Unser kleinster Patient wog weniger als 600 Gramm." Die Durchschnittsdauer eines Eingriffs: zweieinhalb Stunden, in komplizierten Fällen auch zwei- bis dreimal so lange. Um die Patienten zu schonen und ihnen eine zweite Narkose zu ersparen, operieren manchmal zwei Teams gleichzeitig, eines an jeder Hand. Dabei ist chirurgisches Feingefühl gefragt. Bei fehlendem Daumen etwa setzen die Spezialisten den Zeigefinger um, verlagern Muskeln, Sehnen, Gelenke und Weichteile und schaffen so einen Ersatzdaumen. Das Ziel: ein möglichst normales "Präzisionsgreifvermögen" herzustellen. Wenn alle Finger fehlen oder nur ein Finger als Anlage vorhanden ist, verpflanzt der Kinderhandchirurg eine Zehe des Patienten, meist die zweite, und baut damit einen neuen "Fingerstrahl" auf, inklusive aller Strukturen und "mit Wiederanschluss von Knochen, Sehnen, Gefäßen und Nerven", so Habenicht. "So wird ein Greifen überhaupt erst möglich einschließlich Gefühlsvermögen für alle Empfindungen von kalt bis warm, von spitz bis stumpf." Bei der Zehentransplantation arbeitet seine Abteilung eng mit den Hand- und Plastischen Chirurgen des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses Boberg zusammen. Habenicht sieht sich und seine Mannschaft als "Advokaten der Kinder". Der Vater zweier erwachsener Töchter nennt Kinder "die besten Patienten, denn sie sind ehrlich, zeigen Emotionen und sagen deutlich, wenn es weh tut". Mit Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren könne man offen über bevorstehende Operationen reden. Allerdings dürfe man Kindern nichts vormachen. "Sie merken schnell, wenn man ihnen einen Bären aufbindet." Also: Lieber vorher sagen, dass ein Verbandswechsel auch schmerzen kann, "dann nehmen sie das auch nicht übel". Immer wieder werden die Behandlungsverfahren verfeinert, zum Beispiel bei angeborenen Kontrakturen, einer Verkürzung von Muskeln und Sehnen mit einer Fehlstellung der Gelenke. Hier hat Habenicht mit einer Hamburger Firma Spezialgeräte für sehr kleine Patienten entwickelt. So können bei extrem miteinander verwachsenen Fingern die Weichteile durch vorsichtiges Auseinanderziehen mit Hilfe eines Gestells (maximal 0,5 Millimeter pro Tag) so vermehrt werden, dass genug Gewebe nachwächst, um die Finger zu trennen. Habenicht sagt: "Das ist aufwendig, aber funktioniert gut." Auch bei angeborenen Handgelenkskontrakturen und bei Fehlstellungen wurden ähnliche Verfahren schon mehr als einhundertmal erfolgreich eingesetzt. Die breite Ausbildung kommt Habenicht zugute, denn es gebe zwar Standards, "aber kein Fall läuft genau nach Lehrbuch ab". Nach dem Studium in Hannover hat er dort an der Medizinischen Hochschule und später an der Chirurgischen Klinik des Bürgerspitals Stuttgart und an der Uni Ulm sein medizinisches und chirurgisches Wissen vervollständigt. Weitere Stationen: in der Kinder-Urologie und -Onkologie, in der Transplantations- und Gefäßchirurgie. Ganz wichtig sei der Kontakt mit den kleinen Patienten. "Ich brauche die Rückkoppelung nach der Operation." So hatte er schon Kinder, die nach der Transplantation von Zehen "später Fußball in der Leistungsmannschaft" gespielt hätten. In seinem Chefarztbüro zeugen Geschenke von ihrer Dankbarkeit: ein Holzschiff aus Kuwait, eine versilberte Barke aus Athen, ein Speckstein mit seinem Namenszug. Seinem Hang zum Handwerklichen geht Habenicht auch in der Freizeit nach. Er malt nach chinesischer Tradition, schafft Skulpturen aus Holz oder Stein, baut Möbel. Sein originelles Haus bietet ihm weitere Gelegenheit zum Werkeln: Mit der Familie wohnt er in der früheren Pumpstation des Wasserwerks Wandsbek, einem Rundbau aus dem 19. Jahrhundert - ein Domizil, so originell und ungewöhnlich, wie viele seiner Heilmethoden.