Prof. Dr. Andreas Raedler betreut 2000 an Morbus Crohn erkrankte Menschen - und ist auf seinem Gebiet der angesehenste Arzt.

Er ist der Arzt, der aus dem Rahmen fällt. Und er betreut Patienten, die aus dem Rahmen fallen, weil sie chronisch krank sind und an ihrem Professor hängen wie Kinder an Vater und Mutter. Er ist der "Doktorvater" seiner Patienten, und er ist einer für alle. Vor vielen Jahren folgten sie ihm, als er das UKE verließ und ins Krankenhaus Tabea nach Blankenese ging, und letzten Oktober waren sie seine treuen Gefährten beim Wechsel ins Krankenhaus Rissen. Mit dieser Anhänglichkeit sind ihm seine Patienten ans Herz gewachsen. Wann immer sie ihn brauchen, ist er für sie da, unangemeldet morgens um acht, abends um zehn, sonntags, feiertags. Und von sich selbst sagt Prof. Andreas Raedler: "Ich bin mit meinem Beruf überglücklich". Seine rund 2000 Patienten in Deutschland und im Ausland leiden an der chronisch entzündlichen Darmerkrankung Morbus Crohn, die vornehmlich bei jungen Menschen beginnt und schubweise mit schmerzhaften Durchfällen, Bauchschmerzen, Fieber und schwerem Krankheitsgefühl verläuft. Eine zweite chronische Darmentzündung ist die Colitis ulcerosa, und natürlich behandelt Prof. Raedler auch daran leidende Patienten. Die bundesweite Vereinigung der rund 300 000 Crohn- und Colitis-Patienten befragte kürzlich die Betroffenen nach der Qualität, mit der sie ärztlich behandelt und seelisch betreut werden, und da wurde Prof. Raedler unter 600 Ärzten souverän an die Spitze katapultiert. Er erhielt die meisten positiven und nicht eine einzige negative Bewertung. Dieses herausragende Votum seiner Patienten empfindet er wie einen Ritterschlag und gesteht: "Mir kamen wirklich die Tränen, als ich das Ergebnis erfuhr." Die Vereinigung schrieb ihm: "Das Ergebnis zeigt, dass Sie von Ihren Patienten als verlässlicher Partner gesehen werden." Prof. Raedler verfügt bei seinen Patienten, wie er belustigt formuliert, "über die größte Sammlung eineiiger Zwillinge weltweit", nämlich mehr als 20 Paare im Alter von 15 bis 65 Jahren. Sie sind für die Wissenschaft ein Schatz, denn auf der Basis ihrer genetischen Konstellationen dürfte es eines Tages genaue Auskunft geben können über die genetischen Zusammenhänge bei der Entstehung des Morbus Crohn. Sie geht, so nimmt man heute an, zu 50 Prozent von genetischen, zu weiteren 50 Prozent von Umweltfaktoren aus. So sind zum Beispiel Geschwister von Crohn-Patienten mit einem 20- bis 30fach höheren Erkrankungsrisiko belastet. Die Forschung hat eins von mehreren Genen, die die Crohn'sche Krankheit herbeiführen, identifiziert. "Es bestimmt, an welcher Stelle im Darm die Krankheit ausbricht", erläutert Raedler. Crohn-Patienten sind von ihrer Krankheit ein Leben lang gequälte Menschen, und sie bedürfen von da her einer nicht nur medizinischen, sondern auch der intensiven psychischen Betreuung. Viele sind auch in psychosomatischer Behandlung. Haben sie noch Glück im Unglück, kann das Krankheitsgeschehen mit einer Kombination von anti-entzündlichen Medikamenten, Cortison und Immunsuppressiva gedämpft und so erträglicher gestaltet werden. Für 70 bis 80 Prozent reicht diese Therapie einigermaßen aus. Für die übrigen 20 bis 30 Prozent kam erst vor gut einem Jahr die Erlösung von schwerstem Leidensdruck mit dem Wirkstoff Infliximab. Es handelt sich dabei um einen neu entwickelten monoklonalen Antikörper, der den die Darmentzündung auslösenden Tumornekrosefaktor Alpha hemmt und der unter anderem auch dazu beiträgt, dass sich die schmerzhaften Darmfisteln schließen. "Infliximab", schwärmt Prof. Raedler, "das ist vergleichbar mit der Entwicklung des Cortison". Und er setzt noch einen drauf: "Für uns ist dieses Medikament wie der Flug zum Mond". Eine Infusion kostet 1500 Euro, mindestens vier werden im Jahr gebraucht. Eine Studentin, die am Tage 80 Durchfälle hatte und zu kraftlos war, um selbst von Emden nach Hamburg zu fahren, wurde von ihrem Vater zu Prof. Raedler gebracht. Nach der Infusion war es umgekehrt - sie chauffierte den Vater nach Hause. Eine 37 Jahre alte Patientin, die am Tage wie in der Nacht alle zwei Stunden Darmkrämpfe bekam und total erschöpft war, konnte schon nach nur einer Infusion endlich wieder einmal durchschlafen. Alle vier Wochen gibt es sonnabends im Krankenhaus Rissen Crashkurse in Sachen Morbus Crohn. "Ein paar Stunden sind wir zusammen, und dann wissen die alles über den Crohn, was sie wissen müssen", sagt der 55 Jahre alte Mediziner. Für den Morgen hat er eine Notfallambulanz eingerichtet, die jeder Patient von 8 Uhr an unangemeldet nutzen kann. Ist er mal nicht im Krankenhaus oder bei Patienten, dann liest er: Prof. Raedler ist ein Literatur-Besessener, der alles verschlingt, was in Buchform gedruckt neu auf den Mark kommt und ihm in die Hände fällt. "Manchmal aber lese ich auch noch mal Thomas Mann, der unvergleichlich guten und köstlichen Sprache wegen". Und dann ist da noch der Handwerker. Die Raedlers wohnen in einem 200 Jahre alten Haus in der Nähe des Mühlenberger Weges, und dieses Haus mit zwei Alkoven und uralten Möbeln ist sein Werk. Er kann alles, er macht alles, nichts ist ihm zu viel. Gestandene Handwerksmeister haben ihm gesagt, wenn es mit der Medizin nicht mehr weitergehe, könne er bei ihnen ohne Probezeit anfangen. Seine Crohn-Patienten, da darf man sicher sein, würden dies im Ernstfall zu verhindern wissen.