Akupunktur: Die Anästhesistin Dr. Naomie Cayemitte-Rückner forscht in Sachen Vorbeugung bei Schmerz-Attacken.
Drei Akupunkturnadeln stach sie sich selbst in bestimmte Punkte ihrer Haut, an einem Finger, an der linken Hand und im Gesicht. Dann sagte sie zum Zahnarzt: "Jetzt können sie mich behandeln." Sie war nun an den Zähnen schmerzfrei, brauchte keine Spritze - und der Zahnarzt staunte. Was Dr. Naomie Cayemitte-Rückner ausnahmsweise für sich selbst tat, macht sie täglich für Patienten in ihrer Praxis an der Alsterdorfer Straße. Die Fachärztin für Anästhesie ist spezialisiert auf die Behandlung von Schmerzzuständen auf der Basis der Naturheilkunde. Mit drei anderen Hamburger Schmerztherapeuten ist sie eingebunden in eine bundesweite, von Ersatzkassen finanzierte Studie. Sie soll klären, ob zur Vorbeugung von Migräne-Attacken die Akupunktur so wirksam ist wie Medikamente. Allein in Hamburg werden 100 Migräne-Patienten gesucht, "diese Zahl haben wir noch nicht erreicht", sagt sie. 1980 kam sie als Stipendiatin des Deutschen Akademischen Austauschdienstes von Haiti nach Deutschland, lernte in Lüneburg Deutsch, arbeitete in Heidelberg und Fulda, wo sie 1985 die Facharztausbildung abschloss und ist seit 1989 niedergelassene Ärztin in Hamburg. Schon zuvor war ihr Interesse an der chinesischen Medizin geweckt worden, insbesondere an der Akupunktur, an der Phytotherapie und der Diätetik, für die sie mit 46 Kilo Gewicht und ihrer zarten Figur eindrucksvoll zu werben vermag. "Ich ernähre mich ausschließlich von Obst, Gemüse und Getreide und bin mit meinen 50 Jahren uneingeschränkt leistungsfähig", sagt sie. In Sachen Akupunktur hat sie das anspruchsvolle B-Diplom - 350 Unterrichts- und Praxisstunden bei unterschiedlichen Lehrern. Was sie weiß, was sie kann, kommt pro Quartal 350 Patientinnen und Patienten zugute: "Schmerztherapie ist, ob mit oder ohne Akupunktur, langwierig und aufwendig, mehr Patienten kann man nicht betreuen." Es gibt mit den Krankenkassen eine "Schmerztherapievereinbarung", die beim Honorar den größeren Aufwand berücksichtigt. Die Kunst des Nadelns, die Dr. Cayemitte-Rückner inzwischen auch im Auftrag der Internationalen Gesellschaft für chinesische Medizin als Lehrerin an Ärzte und Studenten weitergibt, demonstriert sie an so banalen Störungen wie Schnupfen oder am steifen Hals. Aus ihrer Sicht sind das "Winderkrankungen", Blockaden durch Wind, die sie anhand der Symptome, der Pulsqualität und des Zungenbelags diagnostiziert. Das klassische Symptom einer Winderkrankung sind wandernde Schmerzen. Für den am Handgelenk getasteten Puls werden 70 Qualitäten unterschieden, etwa behäbig, kräftig, weich. Der Zungenbelag kann hell, klebrig, gelblich oder flüssig sein, aber auch ganz fehlen. Zur Diagnostik gehören die Befragung des Patienten und seine Betrachtung: Ist seine Haut blass oder rot? Wie geht er? Ist die Stimme kräftig oder piepsig? Schnauft er? Wie sehen Zunge und Augen aus? Wie beweglich ist er? Danach sticht sie die Akupunkturnadeln in ganz bestimmte der vielen hundert Akupunkturpunkte entlang der Meridiane, die den Körper umspannen. Kopfschmerzen, einschließlich Migräne, Rücken-, Gesichts-, Gelenkschmerzen, Organschmerzen nach Operationen und unklare Bauchbeschwerden - das sind die vorherrschenden Indikationen für die Akupunktur. Aber auch Heuschnupfen, andere Allergien, Asthma, Neurodermitis können mit der fernöstlichen Nadelkunst angegangen werden. Dr. Cayemitte-Rückner setzt noch auf die Phytotherapie und empfiehlt Pflanzen-Kombinationen als Tee, rät zu konsequenter Diät, weil sie weiß, wie sehr eine ungünstige und zu üppige Ernährung in den Industrieländern, wie sehr Alkohol und Nikotin die Gesundheit ramponieren. Beleg für die Wirksamkeit ihrer medizinischen Philosophie ist sie selbst: eine quicklebendige, fröhliche, leistungsfähige Frau. Wenn sie den Praxisalltag hinter sich hat, spielt sie Golf auf der Wendlohe in Schnelsen, mag aber nicht gerne über ihre Fertigkeiten auf dem Grün sprechen. Ihr Handicap siedelt sie so bei um die Vierzig an, wohl wissend, dass man nicht überall gleich gut sein kann. Den größeren Teil ihrer Freizeit verbringt sie mit ihren beiden fast erwachsenen Kindern oder vor der Staffelei. Sie malt mit Leidenschaft auf große Leinwände sehr farbige, meist großflächige Bilder. "Ich male aus dem Bauch heraus, häufig sehr schnell. Manche Bilder haue ich in drei Stunden hin", sagt sie. Fast alle tragen motivische Anleihen aus der Karibik. Und wie oft reist sie ins Land ihrer Kindheit? Weil die Angehörigen alle nach Amerika ausgewandert seien, "habe ich dort niemand mehr, Hamburg ist meine Heimat. Ich möchte nirgends sonst leben."