Arnsberg. Der insolvente Glashersteller hat beinahe die letzte Hürde für einen Neustart im Sauerland genommen. Was zur Rettung noch fehlt.
Der Neustart der Ritzenhoff AG hat - beinahe - die letzte Hürde genommen. Am Dienstagmorgen fand die Gläubigerversammlung im Amtsgericht Arnsberg statt. Die Sitzung begann um 9 Uhr morgens und endete relativ kurz und schmerzlos.
Bereits Ende März hatten die Beschäftigten des traditionsreichen Glasherstellers Ritzenhoff und der Gläubigerausschuss dem Konzept von Insolvenzverwalter Jens Lieser und Geschäftsführer Carsten Schumacher zugestimmt. Es sieht vor, dass die Familien Ritzenhoff und Zeppenfeld gemeinsam mit Robert TönniesMitinhaber des gleichnamigen größten deutschen Schlachtbetriebs mit Sitz im ostwestfälischen Rheda-Weidenbrück, weite Teile des Unternehmens aus der Insolvenz erwerben und mit mehreren neuen Gesellschaften unter dem Kürzel „RZT“ fortführen.
Eine Insolvenz in Eigenverwaltung hat das Ziel, das finanziell angeschlagene Unternehmen fortzuführen. Zur Rettung gehören dann in der Regel mehr oder minder tiefe Einschnitte. Die schmerzlichsten Spuren dürften dabei die Entlassungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinterlassen.
Carsten Schumacher, der im November die Geschäftsführung vom fristlos entlassenen Axel Drösser übernommen hatte, machte bereits frühzeitig klar, dass die Belegschaft deutlich reduziert werden müsste, damit eine Fortführung des Betriebs beim Glashersteller in Marsberg im Hochsauerland gelingen könne. Anfang Februar hatte sich der erfahrende Sanierer bereits im Gespräch mit der WESTFALENPOST entsprechend geäußert: „Die Personalkosten bei Ritzenhoff sind zu hoch. Es wird zu einem substanziellen Abbau von Stellen kommen müssen.“ Konkret sollten nach dem Sanierungsplan, den auch der Betriebsrat befürwortete, 89 der rund 430 Arbeitsplätze abgebaut werden.
Nicht alle Fachkräfte wollten offenbar darauf warten, ob sie eine Zukunft beim Traditionsbetrieb haben würden. In der Insolvenz kündigten laut Rechtsanwalt Jens Lieser auch Beschäftigte, die der Vorstand lieber gehalten hätte. Die Folge: 15 Stellen sind seit einigen Tagen neu ausgeschrieben.
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Immerhin ein Signal, dass die Zeichen beim Glashersteller Ritzenhoff auf Neuanfang stehen. Im Gläubigerausschuss hatten die größten Gläubiger - die Bundesagentur für Arbeit, die für die Monate Januar bis März Löhne und Gehälter gezahlt hatte, die Commerzbank und EulerHermes beziehungsweise dessen Nachfolgeinstitution Allianz Trade als großer Kreditversicherer dem Verkauf an die Familien Ritzenhoff, Zeppenfeld und Robert Tönnies bereits Ende März zugestimmt.
Überschaubare Zahl von Gläubigern
Noch offen war am Dienstagmorgen bei Gericht in Arnsberg, ob auch die übrigen Gläubiger dem Vorschlag von Lieser, seinem Kanzleipartner Martin Kaltwasser und dem gerichtlich bestimmten Sachwalter Alexander Höpfner zustimmen würden. Die Zahl der Gläubiger war überschaubar. Unter ihnen Vertreter der Sparkasse und der Volksbank im Hochsauerland, die sich streng an die Nichtöffentlichkeit hielten.
Die Erwartung des Volksbankvertreters, dass die Sitzung durchaus ein, vielleicht zwei Stunden dauern könne, war ein Trugschluss. Um Punkt 9 Uhr schloss sich die Tür zum Saal. Um 9.04 Uhr wurde ordnungsgemäß über die Lautsprecheranlage des Gerichts an den Sitzungsbeginn erinnert und kaum zehn Minuten später öffnete sich die Tür schon wieder. Gelöste Stimmung statt frustrierter Unternehmer, die durch Schuldenschnitt einer insolventen Firma vielleicht selbst in finanzielle Schieflage geraten - was bei derlei Insolvenzen in Eigenverwaltung durchaus vorkommt. Die Finanzinstitute wirft die Beinahe-Pleite von Ritzenhoff nicht um. Die Kaufsumme der neuen respektive alten Eigentümer scheint die Gläubiger befriedigt zu haben.
„Alle Gläubiger haben dem Kaufvertrag zugestimmt“, erklärte Jens Lieser im Anschluss an die Versammlung am Dienstag. Die Zahl der Gläubiger in diesem Insolvenzverfahren sei durchschnittlich hoch gewesen. Für die bei derartigen Insolvenzverfahren häufig angefragte Kanzlei Lieser sei das Ritzenhoff-Verfahren eigentlich Routine, „durchaus anstrengend, aber vom Ergebnis her betrachtet ungewöhnlich“ gewesen.
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Dass Robert Tönnies bereits vor beinahe einem Jahr seine Bereitschaft erklärt hatte, in das Unternehmen Ritzenhoff zu investieren, dass er dann trotz Turbulenzen um Vorstand Axel Drösser und im Aufsichtsratsgremium bei der Stange geblieben ist, dürfte auch mit zwei Tönnies-Vertrauten zu tun haben: Jens-Uwe Göke, langjähriger Wirtschaftsprüfer der Ritzenhoff AG, der im Spätsommer zum Aufsichtsratsvorsitzenden bestimmt wurde und schließlich Carsten Schumacher, der auf Vorschlag von Robert Tönnies als erfahrener Sanierer die Geschäftsführung übernahm und das Ruder herumreißen wollte. „Die Ritzenhoff AG hat in der Insolvenz keine Kunden und kein Geschäft verloren“, sagt Insolvenzverwalter Lieser. Dies habe insbesondere am Einstieg von Robert Tönnies und dessen Bereitschaft gelegen, weiter zu investieren. Mehrere Millionen Euro hatte Tönnies für die Minderheitsbeteiligung von 49 Prozent der AG-Anteile im vergangenen Jahr gezahlt und so das Unternehmen zunächst über Wasser gehalten.
Was der Ritzenhoff AG nach Zustimmung der Gläubigerversammlung nun noch fehlt, ist die kartellrechtliche Zustimmung zum Kauf weiter Teile des insolventen Unternehmens durch „RZT“ - die dann allerletzte Hürde. Lieser schätzt, dass die Bonner Behörde bis Mitte Mai ihre Zustimmung erteilt haben könnte.
Resteabwicklung bis Ende dieses Jahres
Die Insolvenz von „Rest-Ritzenhoff“ in einem Planverfahren soll schließlich bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. Geschäftsführer Carsten Schumacher wechselt laut Lieser als Geschäftsführer in die noch drei neuen Erwerbsgesellschaften, die später zu Ritzenhoff zusammengeführt werden sollen. Für die Altgesellschaft werde interimsweise bis zur Abwicklung ein neuer Geschäftsführer gesucht.