Hagen/Marsberg. Ehemaliger Vorstand klagt gegen insolventen Glashersteller. Ritzenhoff schlägt verbal zurück und prüft seinerseits Haftungsansprüche.
Die insolvente Ritzenhoff AG mit Sitz in Marsberg muss sich mit der Klage ihres ehemaligen Vorstandschefs auseinandersetzen. Der Mitte November fristlos gekündigte Manager Dr. Axel Drösser hat beim zuständigen Landgericht Arnsberg Klage auf Zahlung von Vergütungen für die Monate November und Dezember 2023 eingereicht. Der Streitwert für diese eineinhalb Monate liegt bei 91.280,00 Euro (plus Zinsen). Das bestätigte das Gericht auf Anfrage der Westfalenpost.
Es handele sich um eine „Klage im Urkundenprozess“. Bei dieser Art des Verfahrens würden weder Zeugen noch Sachverständige gehört, zulässige Beweismittel seien nur Urkunden. So könne ein Kläger vergleichsweise zügig zu einem vollstreckbaren Titel gelangen (sogenanntes Vorbehaltsurteil, also vorbehaltlich eines eventuellen Nachverfahrens), erklärte das Landgericht weiter.
Die Klage von Drösser, der sich trotz wiederholter Anfrage der Westfalenpost bisher nicht äußern wollte, sei am 28. Dezember bei Gericht eingegangen. Ritzenhoff sei der Sachverhalt am 26. Januar zugegangen - einen Tag nachdem der Glashersteller die Insolvenz in Eigenverwaltung angemeldet hatte.
Jens Lieser, Generalhandlungsbevollmächtigter im Sanierungsverfahren der Ritzenhoff AG, bestätigte den Vorgang im Gespräch mit der WP und bezeichnete die Klage im Ringen um die Rettung des Unternehmens als „Nebenkriegsschauplatz“. Gleichwohl nahm der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Drösser ins Visier.
Prüfung von Haftungsansprüchen gegen Ex-Chef
Nachdem Ritzenhoff-Investor Robert Tönnies im Interview mit der Westfalenpost die frühere Unternehmensführung massiv kritisiert hatte („schwerwiegendes Missmanagement“, „Führungslosigkeit“, „Vetternwirtschaft“, „Selbstbedienung“), attackierte Lieser namentlich den ehemaligen Hauptverantwortlichen und stellte in Aussicht: „Es könnte sein, dass sich im Sanierungsverfahren Haftungsansprüche gegen Dr. Drösser ergeben. Dieser Aspekt wird noch eine stärkere Beleuchtung erfahren.“
Im Kern soll es bei der Angelegenheit um die Fragen gehen, inwieweit Drösser die wirtschaftliche Lage der Ritzenhoff AG und das Marktumfeld korrekt eingeschätzt und ob er im Zuge der Erstellung eines Sanierungsgutachtens vollständige und richtige Angaben gemacht hat. Ritzenhoff machte in den Jahren 2020 bis 2022 insgesamt 21,18 Millionen Euro Verlust, so ist es im Bundesanzeiger und im Handelsregister nachzulesen. In den Dokumenten, zu denen sich Ritzenhoff nicht äußerte, ist auch die Rede von einer bereits „ab Herbst 2022 bestehenden Liquiditätskrise“.
Im vergangenen Jahr benötigte die angeschlagene Ritzenhoff AG eine umfassende Umfinanzierung durch die Banken, laut Lieser in Höhe von „überschlägig 50 Millionen Euro“. Zur Umfinanzierung habe ein Sanierungskredit gehört, für den die Vorlage eines so genannten IDW S6-Gutachtens notwendig gewesen sei. Eine solche Untersuchung sollte eine Einschätzung der Sanierungsfähigkeit des überprüften Unternehmens und eine Analyse enthalten, ob eine Insolvenzgefährdung vorliegt. Das erklärt die Wirtschaftsprüferkammer. Im Falle von Ritzenhoff soll das Gutachten durch die Beratungsfirma FTI Andersch erstellt worden sein.
Das Gutachten zu Ritzenhoffs Lage und Perspektive soll für die Banken Entscheidungs-Grundlage gewesen sein. Aber auch Robert Tönnies orientierte sich daran. Der Neffe von Clemens Tönnies erwarb laut Zeichnungsschein vom 9. August 2023 mit seiner Tönnies Unternehmensbeteiligungen GmbH für vier Millionen Euro 49 Prozent der Ritzenhoff-Anteile. „Robert Tönnies“, sagte Lieser, „ist im Vertrauen auf das IDW S6-Gutachten bei der Ritzenhoff AG eingestiegen.“
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Sanierungsbevollmächtigter kritisiert Drösser
Die Ausgangslage soll jedoch schnell überholt gewesen sein. „Das Sanierungsgutachten IDW S6 von FTI Andersch vom 11. August 2023 war innerhalb kurzer Zeit Makulatur“, sagte Jens-Uwe Göke, der Ritzenhoff-Aufsichtsratschef und Tönnies-Vertraute. Investor Robert Tönnies sprach davon, dass „der Sanierungsplan des ehemaligen Vorstands bereits zwei Monate nach dessen Aufstellung Makulatur“ gewesen sei. Die von ihm, Tönnies, geleistete Kapitalerhöhung sei „in einem enormen Tempo, innerhalb von acht Wochen, aufgebraucht worden, und es zeichnete sich erneut die Insolvenz ab“, so der Unternehmer weiter.
Lieser, der Sanierungsbevollmächtigte, stellte in diesen Kontext auch den Rauswurf von Drösser als Vorstand der Ritzenhoff AG im November 2023. „In der Glasindustrie erwartete man bereits Monate vorher, dass der Markt in der zweiten Jahreshälfte 2023 einbrechen würde. Das ehemalige Ritzenhoff-Management um Dr. Axel Drösser hat die Banken und Robert Tönnies darüber nicht informiert. Das hat das Vertrauen des Aufsichtsrates in das Management grundlegend erschüttert. Infolgedessen wurde Herrn Dr. Drösser als Vorstand gekündigt“, sagte Lieser und ergänzte: „Wenn es für die ganze Branche schlecht läuft und der Vorstand der Ritzenhoff AG das verkennt, ist das per se keine gute Leistung. Es wäre förderlich gewesen, für das IDW S6-Gutachten auf die Marktsituation hinzuweisen. Das Vorgehen des ehemaligen Managements ist extrem fahrlässig. Ich kann gut nachvollziehen, dass der Aufsichtsrat Herrn Dr. Drösser deswegen abberufen hat.“ Zudem bemerkte Lieser: „Wenn eine Umfinanzierung durch Banken im Rahmen von 50 Millionen Euro binnen drei Monaten überholt ist, wirft das Fragen auf.“
FTI-Andersch erklärte auf Anfrage, dass man zu möglichen Mandaten aufgrund von Verschwiegenheitspflichten öffentlich keine Stellung nehme. Man dementiere aber „die Existenz des angesprochenen Gutachtens nicht“. Zudem stellte die Consulting-Firma fest, dass man Ritzenhoff keine Beratungsleistungen beim Sanierungsprozess angeboten habe. Nach Einschätzung des Ritzenhoff-Bevollmächtigten Jens Lieser bestehen „keine Haftungsansprüche gegen FTI Andersch“.
Vorstand wurde fristlos gekündigt
Gegen Drösser hingegen prüft Ritzenhoff diese. Der frühere Bofrost-Manager war seit Mitte 2021 Ritzenhoff-Vorstand. In Unternehmenskreisen heißt es, dass der Aufsichtsrat den Vertrag von Drösser im März 2023 um fünf Jahre verlängert habe (also bis März 2028).
Mitte November 2023 tagte der - nach dem Einstieg von Investor Robert Tönnies - umbesetzte Aufsichtsrat. Dem fünfköpfigen Kontrollgremium gehört seit dem 27. September 2023 Tönnies‘ Ehefrau Sarah an, ebenso neu dabei ist der Tönnies-Vertraute Jens-Uwe Göke, als neuer Vorsitzender des Gremiums. Im Rahmen einer Videokonferenz wurde am 15. November 2023 vom Aufsichtsrat einstimmig beschlossen, Drössers Vertrag „mit sofortiger Wirkung fristlos aus wichtigem Grund“ zu kündigen. So steht es im Protokoll der von Göke geleiteten Aufsichtsratssitzung, auf der in der Folge Carsten Schumacher, wie Göke ein Tönnies-Vertrauter, einstimmig zum Drösser-Nachfolger bestellt wurde.
Göke, der vor seiner Wahl in den Aufsichtsrat lange Jahre als Wirtschaftsprüfer die Ritzenhoff-Bilanzen begutachtet hatte, erklärte, dass man mögliche Haftungsansprüche gegen Drösser bereits vor der Insolvenz „selbstverständlich im Aufsichtsrat geprüft“ habe. „Dann kam das Insolvenzverfahren. Nun liegt die Entscheidung nicht mehr bei uns“, so Göke.