Hagen. Für Schule, Wirtschaft, jedermann: Neue Technologien von VR-Brille bis zum 3D-Körperscanner können bald am Campus ausprobiert werden.
In die Welt der Römer hautnah eintauchen? Den Aufbau einer winzigen Zelle von innen betrachten, oder sich bei komplizierten Operationen die Hand von erfahreneren Kollegen führen lassen? Dies alles ist schon heute denkbar. An der Fernuniversität Hagen wird es bald auch erlebbar und erlernbar. Mitten auf dem Campus am Rande der Großstadt entsteht gerade auf rund 300 Quadratmeter Fläche ein in dieser Form laut Hochschule bislang einzigartiger Lernort der Zukunft, ein Metaversum. Hier können Schulen, Unternehmen und natürlich die Hochschule selbst bald alle Möglichkeiten neuer Technologien wie VR-Brillen oder Laufbänder mit VR-Technologie ausprobieren. Selbst Öffnungstage für jedermann soll es geben.
„Immersive Collaboration Hub“, kurz ICH, heißt das Projekt, das vor gut einem Jahr begonnen wurde und sich kurz vor dem Start befindet. „Man lernt am besten, wenn man etwas erfährt“, sagt der Wirtschaftsinformatiker Professor Dr. Thomas Ludwig. Der 36-jährige Wissenschaftler ist der „ICH-Motor“ und selbst positiv überrascht vom Tempo der Umsetzung.
Das NRW-Ministerium für Kultur und Wissenschaft unterstützt das Projekt an der Hagener Hochschule finanziell. Allein die Anschaffung der Technik hat bereits rund eine Viertelmillion Euro verschlungen. VR-Brillen, wie sie nach Einschätzung von Professor Ludwig bereits Einzug „in jeden vierten oder wenigstens fünften Haushalt“ gehalten haben, gehören zum Standardrepertoire.
Im Hagener Hub wird mit verschiedenen Modellen gearbeitet werden. Angefangen von vergleichsweise erschwinglichen Modellen wie der Meta Quest 3 über die Apple Vision Pro, die noch gar nicht auf dem deutschen Markt zu bekommen ist, bis hin zu Modellen, die im gewerblichen und industriellen Kontext verwendet werden wie die Varjo XR-3 für rund 20.000 Euro und nahezu normal aussehende Brillen, die jede kleinste Bewegung der Augen zu Forschungszwecken nachvollziehen und festhalten können (Tobii Pro Glasses 3).
Zur Ausstattung der neuen Lern- und Erlebniswelt gehört ein Ganzkörperscanner (Full Body Scanner), der ein realistisches 3D-Abbild von Personen erstellen kann, ein Gerät, das wie ein überdimensionaler Ventilator aussieht und Hologramme erzeugt. Die Welt, die am Campus entsteht, wird in 3D erlebbar sein. „Letztlich steckt in den Technologien heute schon ganz viel Künstliche Intelligenz“, sagt der Wirtschaftsinformatiker Ludwig. Selbst dort, wo wir es kaum vermuten, etwa in Kopfhörern, die mit Geräuschunterdrückung arbeiten. Letztlich werde bei der sogenannten „Aktiv Noise Cancellation“ dem Gehör lediglich künstlich vorgegaukelt, dass rundherum Stille herrsche.
Die Zeit der Studienbriefe per Post endet
„Wir wollen einen Ort aufbauen, an dem wir die neuen Technologien für virtuelle Realität (VR) und erweiterte Realität (AR) erforschen können“, sagt Professor Ludwig: „Und es geht uns als Fernuniversität auch um Forschung und Lehre der Zukunft.“ Fernstudium wie vor 50 Jahren, als die Hagener Fernuniversität gegründet wurde, können heute viele. Das Alleinstellungsmerkmal hat die Hagener Hochschule längst verloren. Selbst heute werden noch Materialien an Studierende, sogenannte Studienbriefe, versendet, „aber, ob das in zehn Jahren noch so geht, darf bezweifelt werden“, so Professor Ludwig.
Bekleidungsindustrie an 3-D-Avataren interessiert
Darüber hinaus öffnet sich die Fernuniversität damit noch stärker für berufliche Weiterbildung, für die Anwendung im schulischen Zusammenhang und die Entwicklung von technischen Anwendungen für die Wirtschaft. „An 3D-Avataren hat die Bekleidungsindustrie beispielsweise ein enormes Interesse. Wir sind ja in Deutschland die Weltmeister beim Zurücksenden von Waren.“ Mit einem 3D-Modell vom Kunden und einer entsprechenden App wäre zumindest Passgenauigkeit garantiert. Auch Handwerk und Industrie aus der Region sollen vom HUB an der Fernuniversität profitieren und den Umgang mit neuesten Technologien erproben können. Immersiv bedeutet in diesem Zusammenhang, mit den Techniken in die realistisch wirkenden, aber künstlichen Welten regelrecht eintauchen zu können.
Klassenausflug und Lehrerqualifikation vor Ort denkbar
Projektleiter Ludwig sieht gute Chancen, Lehrkräfte am Campus fit für die Zukunft des digitalen Lernens zu machen. Dass die Anschaffung von Hardware wie I-Pads allein nicht reiche, um den Unterricht zu modernisieren, habe der Digitalpakt gezeigt. Wenn also einmal VR-Brillen in Schulen angeschafft würden, nutze dies allein wenig. Möglicherweise müssten sich die Lehrerinnen und Lehrer sogar von den Schülern erklären lassen, wie VR-Brillen funktionieren. „Unser HUB könnte also Schulungsort für Lehrerqualifikation sein. Wir wollen der Ort werden, wo die Zukunft des Lernens tatsächlich erlebbar wird.“
Anders als in Forschungsinstituten oder anderen Hochschulen, in denen es Labore zur Erforschung von VR und AR gibt, wird der Umgang mit modernsten Technologien in Hagen nicht allein der Wissenschaft vorbehalten sein. Das Hagener Projekt soll frei zugänglich werden, für Schule, Wirtschaft, aber auch für interessierte Bürgerinnen und Bürger. Tatsächlich denkt Ludwig an bestimmte Öffnungstage für jedermann. Anlocken dürfte dies nicht nur Fans von Computerspielen.
Noch wird im früheren Bibliothekstrakt der Fernuniversität Hagen mächtig an der Gestaltung des Immersive Collaboration Hub gearbeitet, und zwar nach Plänen des auf Erlebniswelten spezialisierten Bochumer Raumgestaltungsunternehmen „Prinzträger“. Im August soll die Technik einziehen, um am 7. September die neue Lern- und Erlebniswelt für virtuelle und erweiterte Realität zu eröffnen. Bereits für den 8. Oktober ist eine erste große Veranstaltung geplant, bei der es um praxisnahen Einsatz der neuen Technologien im Gesundheitswesen geht.
Gründungspartner gesucht
Auf Dauer soll sich das Zukunftsprojekt selbst tragen. Bis zum 1. September könne man noch Gründungspartner werden, danach immerhin noch Kooperationspartner. Das Interesse sei hoch, sagt Ludwig.
Weitere Themen aus der Region:
- Der Mann hinter DJ Robin Schulz: „Geld war nie mein Antrieb“
- Lokführer stirbt: So kam es zu dem tragischen Unglück
- Scholz der Pistorius: Das sagen Genossen in der Region
- Warum die NASA ein Drahtwerk im Sauerland im Blick hat
- Hackerangriff: Südwestfalen IT entlässt Ex-Geschäftsführer
- Erster Schnee im Sauerland: Wo weiße Pracht zu erwarten ist
- Erste Kommune mit Bezahlkarte für Flüchtlinge: So klappt es
- Weihnachtsmärkte in Südwestfalen: Diese sollten Sie nicht verpassen
- Wieso die Igel-Mama aus dem Sauerland in großer Sorge ist
- Merz und Co.: So dürfte die Wahl rund ums Sauerland ausgehen
- Neue Discos: Warum das Sauerland wieder in Feierlaune ist