Olpe. Es war lange nass und kalt. Aber was, wenn‘s nun dauerhaft wärmer wird? Wie Mensch und Natur in diesem Jahr die Plage bekämpfen.
Der Weg zur Zukunft des Sauerländer Waldes ist beschwerlich, vor allem für Donna mit ihren kurzen Beinen. Die Dackelhündin, heute „etwas quengelig“ gestimmt, wie Herrchen Marlon Ohms sagt, kämpft sich über morsches Holz und nasses Moos, durch tiefe Furchen und hohes Gras sowie über allerlei weiteren Wildwuchs. „Heute Abend“, kommentiert Ohms, „weiß sie, was sie getan hat.“
Aus Donnas Sicht haben sich ihre Mühen am Ende allerdings noch nicht mal gelohnt, weil der kleine Hund das, worauf Ohms schließlich in einer Schonung mitten im Wald zeigt, gar nicht sehen kann vor lauter Gestrüpp da unten am Boden: den zarten Setzling einer Weiß-Tanne, der Teil der Zukunft im vom Borkenkäfer und von Dürre geplagten heimischen Wald sein soll. „Wir gehen davon aus, dass die Weiß-Tanne besser als die Fichte mit Trockenheit umgehen kann. Wir bringen sie in die Mischung bei der Wiederaufforstung rein“, erklärt Ohms.
Er ist Leiter des Regionalforstamtes Kurkölnisches Sauerland mit Sitz in Olpe, er kämpft mit seinen Mitarbeitern seit Jahren gegen den Borkenkäfer, allzu oft vergeblich, viele Waffen haben sie ja nicht gegen den aggressiven Feind. In diesem Jahr aber gibt es Hoffnung. Denn was viele Menschen – und den Borkenkäfer – am bisherigen Sommer 2024 stört, stimmt den Förster zuversichtlich.
Fallen zum Borkenkäfer-Monitoring
Ein Waldstück in der Nähe von Olpe-Oberveischede. Marlon Ohms, 32, jüngster Forstamtsleiter in NRW, wie er anmerkt, blickt gen Himmel. Mal wieder bewölkt. Wie so oft in diesem Jahr. Von den ergiebigen Regenfällen zeugen unter anderem Wasserlachen im Wald, in denen Dackel Donna fast schwimmen könnte. Den Förster Marlon Ohms freut das kühlere und feuchtere Wetter. „Wir“, sagt er, „können durchatmen.“ Im Dauer-Kampf gegen den Borkenkäfer.
Die Kälte – noch vor kurzem waren es nachts teilweise fünf Grad – bremst die Entwicklung der Borkenkäferlarven, die derzeit unter der Rinde lauern. Hätten in den heißen Vorjahren bis zu vier Käfer-Generationen pro Jahr die Fichten heimgesucht, würden es in diesem Jahr wohl nur zwei werden, sagt Ohms. Hinzu komme, dass den Fichten ausreichend Wasser zur Verfügung stünde, sie daher mehr Harz bilden und damit eher den Käfer abwehren, also verkleben könnten. Ein weiterer Vorteil: Der Pilz Beauveria bassiana, der dem Käfer „den Garaus“ mache, wachse gut. Dem feuchten Wetter sei Dank.
Ohms und Kollegen setzen im Wald bei Kirchhundem zwei Borkenkäferfallen ein, nicht als Waffe, sondern als Überwachungsinstrument, um zu messen, wie viele Käfer in diesem Jahr unterwegs sind. In einer der beiden Fallen sei zwar zwischen April und Mai, als es wärmer war, die kritische Grenze von 3000 Tieren überschritten worden. Aber der erreichte Spitzenwert von knapp 6000 sei im Vergleich zu den „Käferjahren“, wie Ohms die Hochphase der Borkenkäferplage nennt, gar nichts. In eine Falle passten 20.000 Käfer (der Art Buchdrucker), und „in den heißen Vorjahren reichte die Skala nicht aus, um die Zahl der Borkenkäfer in den Fallen zu messen, so viele Käfer waren unterwegs“, erzählt er.
„Ich habe damals oft gesagt, dass ich mich wie bei der Müllabfuhr fühle: Wir haben so viel Holz weggeräumt und verramscht.“
Ausblick, wo früher kein Ausblick war
Ohms ist seit 2020 in Olpe tätig, er kam pünktlich zum Beginn der „Käferjahre“ in die Region. Er musste erleben, wie der Borkenkäfer im Kreis Olpe etwa die Hälfte der Fichtenfläche vernichtete. Seit August 2023 ist Forstamtsleiter.
Nun, an einem Juni-Tag 2024, steht er im Staatswald Einsiedelei, ein Schutzgebiet auf circa 550 Metern Höhe. Spuren des Borkenkäfer-Desasters sind hier wie vielerorts in Südwestfalen immer noch gut zu erkennen: braune Baumreihen, tote Gerippe, baumfreie Flächen mitten im Wald, Polter am Wegesrand, Totholz am Boden. Vor einem ehemaligen Fichtenareal, auf dem sie Rot-Erle und Eiche angepflanzt haben, die noch viele Meter und Jahrzehnte wachsen müssen, hält Ohms mit Donna an der Leine an. Der Blick ist frei. Er sagt: „Einen Ausblick auf die Landschaft gab es hier früher eigentlich nicht. Da standen überall Fichten.“ Jetzt nicht mehr.
Schadholz-Mengen durch Borkenkäfer und Sturm
Menge an Borkenkäferholz und Sturmholz für NRW (Kalamitätsmengenmeldung):
2018: 3,1 Millionen Festmeter
2019: 15,6 Mio. Fm
2020: 12,8 Mio. Fm
2021: 8,8 Mio. Fm
2022: 4,7 Mio. Fm
2023: 2,5 Mio. Fm
2024: bislang 0,3 Mio. Fm
Quelle: Wald und Holz NRW, Regionalforstamt Kurkölnisches Sauerland
Zwei Mittel im Kampf gegen den Borkenkäfer
Ohms spricht beim Rundgang durch den Wald über die Erfahrung des aussichtslosen Kampfes gegen den Borkenkäfer, dass er sich „wie bei der Müllabfuhr“ vorgekommen sei, weil sie so viel Schadholz wegräumen und verramschen mussten und doch kein Ende abzusehen war.
Heute ist sehr viel Schadholz aus dem Wald entfernt, was ihnen in diesem Jahr auch ermögliche, schneller auf einen Borkenkäferbefall zu reagieren; in den Vorjahren reichten die Kapazitäten angesichts der schieren Menge nicht aus. Umgehend zu handeln ist unter den wenigen Möglichkeiten, die sie haben, die wichtigste. Ein anderes Mittel, wenn es gar nicht anders geht: ein Insektizid. Das sei allerdings nur bei bereits gefällten Fichten zulässig – und nicht in Schutzgebieten. „Dort ist eine schnelle Abfuhr des Holzes das einzige Mittel der Wahl“, sagt Ohms.
Der Kampf gegen den Borkenkäfer dauert an, aber im Fokus steht auch die Wiederaufforstung. Das feuchte Wetter in diesem Jahr lasse die Setzlinge gedeihen, allerdings auch alles andere drumherum, weshalb sie sehr damit beschäftigt seien, den Wildwuchs zurück- und die Setzlinge freizuschneiden, damit diese Licht bekommen. Auch den Rehwildbestand müssen sie unter Kontrolle halten, weil die Tiere gerne die frischen Setzlinge anknabbern. Ohms ist aber insgesamt zuversichtlich, denn er sehe, dass etwas Neues entstehe. „Da“, sagt er, „geht mir das Herz auf.“
Atempause, aber keine Entwarnung
Er hat die Niederlage gegen den Borkenkäfer verarbeitet, mahnt aber, dass die Zeit des Kämpfens noch nicht vorbei sei. Die Situation könne schnell umschlagen, wenn, wie nun in der Region zu erwarten ist, trockene Tage kämen. Wie sich die Borkenkäfersituation im weiteren Jahr entwickele, hänge „maßgeblich“ vom Wetter im September und Oktober ab. „Wenn wir dann hohe Temperaturen haben, wird es kritisch“, sagt der Experte.
Bei einem Polter Sägeholz am Wegesrand, der auf den Abtransport wartet, kratzt Ohms die Rinde ab und zeigt auf einige madenähnliche Borkenkäferlarven, die sich dort eingenistet haben. „Der Polter wird hoffentlich bald abgeholt, damit sich die Larven nicht entwickeln und hier zuschlagen“, sagt Ohms.
Später geht es in ein Waldstück oberhalb von Benolpe, hier hatte der Borkenkäfer gewütet, viele Fichten stehen aber auch noch. Sie sind grün, bilden Harz, alles wirkt, wie es sein sollte. Ohms steuert auf eine Fichte zu, die wie mehrere andere Bäume mit neongrüner Farbe markiert ist, zeigt auf ein winziges Loch in der Rinde und auf ein Häufchen hellbraunes Bohrmehl am Stamm. Wer nicht weiß, worauf er achten muss, würde die Zeichen nicht erkennen.
Der Experte aber meldet: „Hier ist der Borkenkäfer schon drin. Der Baum ist tot, weiß es aber noch nicht. Deshalb sage ich: Wir dürfen uns nicht zurücklehnen.“
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