Marsberg. Mitten im Weihnachtsgeschäft wechselt Ritzenhoff, Glas-Hersteller aus dem Sauerland, den Chef aus. Was das für die Jobs bedeutet.

Am Tag nach der Überraschung herrscht erst einmal Stille: Nein, Carsten Schumacher, der neue Chef beim Marsberger Glas-Hersteller Ritzenhoff, wolle noch nichts sagen, sich erst einmal einen Überblick verschaffen. Und daher auch noch keine Auskunft geben, wie denn der tatsächliche wirtschaftliche Zustand des Traditionsunternehmens ist, wie es um die Arbeitsplätze steht. Das, was tags zuvor direkt nach einer Aufsichtsratssitzung verkündet worden sei, müsse zunächst einmal reichen: Dass es einen Wechsel auf dem Posten des Vorstandsvorsitzenden gegeben habe. Axel Drösser musste nach nicht einmal zweieinhalb Jahren an der Spitze gehen, Carsten Schumacher übernimmt. Und zwar sofort.

Eben diese Verkündigung lässt aber aufhorchen: Zum einen, weil es nun mal um Ritzenhoff geht. Mit seinen Gläsern eine der bekanntesten Marken aus dem Sauerland. Das Unternehmen gilt als Marktführer bei Stielgläsern in Europa. Alles hergestellt in Marsberg-Essentho am Rande des Hochsauerlandkreises mit rund 420 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Täglich werden dafür sehr energieintensiv bis zu 65 Tonnen Rohglas geschmolzen, um bis zu 160.000 Gläser herzustellen. Zum anderen aber auch, weil in der Mitteilung vom Mittwochabend steht, dass der neue Chef helfen solle, „die Schwierigkeiten, die aus den aktuellen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen resultieren“, überwinden zu können. Wie steht es also um die Ritzenhoff AG?

Betrieb läuft normal weiter

Kerstin Hülsmann, Sprecherin des Unternehmens, sagt, dass man nichts weiter sagen wolle - dann lässt sie sich aber dennoch soviel entlocken: „Wir arbeiten hier ganz normal weiter - und zwar mit Hochdruck. Das Weihnachtsgeschäft läuft.“ Und auch das Interview, das Anna-Verena Bartl, Mitglied der Geschäftsleitung, und der nun abgelöste Axel Drösser dieser Zeitung gegeben hatte, habe weiter Bestand. „Wir suchen weiter Leute“, so Sprecherin Kerstin Hülsmann: „Wir stellen auch weiter ein, um alle unsere Schichten mit ausreichend Personal bedienen zu können.“

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Das Interview ist noch keine vier Wochen alt. Axel Drösser, der am Donnerstag nicht zu erreichen war, hatte darin beklagt, wie schwer es für Ritzenhoff sei, ausreichend gutes Personal zu finden. Und dabei auch die Politik mehrfach kritisiert: Es gebe keine flankierende Unterstützung, um für eine Ausbildung zu werben. Dazu komme noch das Bürgergeld: „Ich wurde schon von Mitarbeitern angesprochen, die mir gesagt haben, sie müssten erst rechnen, ob sich die Arbeit noch lohnen würde.“

Energiepreise weiter ein großes Problem

Vor allem aber seien die hohen Energiepreise weiter ein großes Problem für das bei der Glasherstellung sehr energieintensive Unternehmen. Schon vor gut einem Jahr, als die Angst vor einer Gasmangellage infolge des Ukrainekrieges groß war und die Energiepreise in die Höhe schossen, hatte Drösser in einem Gespräch mit dieser Redaktion gesagt: „Wir müssen alles dafür tun, dass wir unsere Industrie erhalten und sie nicht unrettbar und unwiederbringlich verloren geht.“ 100 Gigawattstunden betrage der Energiebedarf bei Ritzenhoff pro Jahr - so viel wie bei rund 30.000 Zweipersonenhaushalten.

Der nun abgesetzte Ritzenhoff-Chef Axel Drösser im Oktober 2022.
Der nun abgesetzte Ritzenhoff-Chef Axel Drösser im Oktober 2022. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann Funke Foto Services

Mit all diesen Herausforderungen wird nun auch der neue Chef, Carsten Schumacher, genauso zu tun haben. Welche Schlussfolgerungen er für das Unternehmen daraus ziehen wird, muss sich noch zeigen. Bislang ist wenig über ihn bekannt. Der Aufsichtsratsvorsitzende Jens-Uwe Göke lässt sich lediglich zitieren, dass man mit „Carsten Schumacher einen renommierten, hochkompetenten und sehr erfahrenen Manager als Vorstand gewinnen konnte“. Er habe zahlreichen Unternehmen geholfen, „mit Erfolg schwierige Entwicklungsphasen zu meistern“.

Schon einmal bei Tönnies-Streit in Schlagzeilen

Das Duo aus Jens-Uwe Göke und Carsten Schumacher stand schon einmal in den Schlagzeilen. Als familieninterne Streitigkeiten im Fleischkonzern Tönnies brodelten und es großen Ärger über den Umgang des Unternehmens nach einem Corona-Ausbruch in dem Schlachtbetrieb gab, da brachte Robert Tönnies, Neffe von Patriarch Clemens Tönnies, die beiden Namen ins Spiel. Die Forderung damals: Die Geschäftsführung sollte abberufen und unter anderem durch den umtriebigen Bielefelder Wirtschaftsprüfer Jens-Uwe Göke und den als Restrukturierer bekannten Carsten Schumacher ersetzt werden. Dazu kam es damals nicht. Jetzt sind beide aber auf entscheidenden Posten bei Ritzenhoff.

Dass es dort zu dem Chefwechsel kommen würde, hatten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohl nicht geahnt. Man sei von der Entwicklung völlig überrascht worden, ist aus der Belegschaft zu hören.