Marsberg. Der Fleischunternehmer und Investor will den Sauerländer Glashersteller retten. Schwere Vorwürfe gegen früheren Vorstandsvorsitzenden.

Der Sauerländer Glashersteller Ritzenhoff geriet bereits im vergangenen Jahr in bedrohliche finanzielle Schwierigkeiten. Robert Tönnies, Mitinhaber des größten deutschen Fleischverarbeitungsunternehmens, stieg als Investor mit einem Millionenbetrag in das Unternehmen ein, das sich nun in Insolvenz befindet. Tönnies nimmt im Gespräch mit der WESTFALENPOST exklusiv Stellung und spricht über Motivation, Missmanagement und die Zukunft der Traditionsmarke. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Dr. Axel Drösser wollte sich gegenüber unserer Redaktion trotz Anfrage bislang nicht äußern.

Wie kam der Kontakt zu Ritzenhoff zustande?

Die Ritzenhoff AG suchte bereits seit längerer Zeit einen Investor, da die Verschuldung erheblich angestiegen war und in Kürze notwendige und kostspielige Ersatzinvestitionen anstehen. In diesem Zusammenhang wurde ich als westfälischer Familienunternehmer angesprochen, ob ich hier helfen könnte, nachdem sich kein Investor fand. Auf Basis eines ausführlichen Sanierungsgutachtens und einer Planung bis 2026 bin ich dann Ende September 2023 als Gesellschafter eingestiegen, um eine bereits zu diesem Zeitpunkt drohende Insolvenz abzuwenden.

Der Glashersteller Ritzenhoff in Marsberg-Essentho im Sauerland ist in wirtschaftlicher Schieflage. Investor Robert Tönnies will helfen.
Der Glashersteller Ritzenhoff in Marsberg-Essentho im Sauerland ist in wirtschaftlicher Schieflage. Investor Robert Tönnies will helfen. © Brilon | Ritzenhoff Essentho

Verbindet Sie persönlich etwas mit der Familie Ritzenhoff?

Ganz grundsätzlich die starke regionale Verwurzelung und das ausgeprägte Engagement für mittelständische Familienunternehmen, die unverändert eine noch immer unterschätzte große Stütze der deutschen Wirtschaft bilden. Mittlerweile besteht zusätzlich eine sehr vertrauensvolle persönliche Zusammenarbeit.

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Wer ist auf wen zugekommen, Sie auf die Familie Ritzenhoff oder umgekehrt?

Der frühere Vorstand der Ritzenhoff AG hat mir nach Rücksprache mit der Familie Ritzenhoff ein Beteiligungsangebot gemacht.

Welche Motivation Ihrerseits ist mit dem Engagement bei der Ritzenhoff AG verbunden?

Ritzenhoff zählt zu den wirklich bedeutenden Aushängeschildern des Wirtschaftsstandorts Westfalen. Meine Familie und ich sind fest in Westfalen verwurzelt. Als ich erfahren habe, mit welchen Schwierigkeiten Ritzenhoff kämpfen muss, habe ich meine Bereitschaft erklärt, das Familienunternehmen und die Familie bei der Bewältigung dieser Schwierigkeiten zu unterstützen.

Inwieweit waren Sie vor der Beantragung des Insolvenzverfahrens operativ in das Geschäft eingebunden?

Nach dem Einstieg musste ich feststellen, dass das Unternehmen nicht nur durch die Branchen-, Corona- und Energiekrise gebeutelt worden ist, sondern gerade in den letzten Jahren unter einem schwerwiegenden Missmanagement gelitten hat. Der Sanierungsplan des ehemaligen Vorstands war bereits zwei Monate nach dessen Aufstellung Makulatur. Die von mir geleistete Kapitalerhöhung ist in einem enormen Tempo, innerhalb von acht Wochen, aufgebraucht worden, und es zeichnete sich erneut die Insolvenz ab. Aktionäre und Aufsichtsrat haben sich aus diesem und anderen Gründen daraufhin einstimmig mit sofortiger Wirkung vom seinerzeitigen Vorstand getrennt und mit Carsten Schumacher einen erfahrenen Sanierer eingesetzt. Herr Schumacher hat seine Arbeit Mitte November aufgenommen und einen Scherbenhaufen vorgefunden. Horrende Kosten für Sanierungsberater, Führungslosigkeit, Vetternwirtschaft, Selbstbedienung und vieles mehr haben das Unternehmen in den letzten Jahren belastet und am Ende fast vollständig ruiniert. Gleichzeitig hat man vergessen, sich mit den Veränderungen der Märkte und bei den Kunden auseinandersetzen.

Werden Sie künftig in Entscheidungen des Unternehmens persönlich oder über Ihre Frau im Aufsichtsrat eingebunden sein? Falls ja, inwiefern?

Ich stehe mit der Familie Ritzenhoff bereit, die notwendigen Veränderungen gemeinsam mit Herrn Schumacher und seinem Team in der Firma anzugehen und Ritzenhoff wieder zukunftsfähig zu machen. Dazu müssen wir aber im Investorenprozess zum Zuge kommen, wozu es die Zustimmung der Gläubiger und insbesondere der Banken braucht. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass wir Ritzenhoff in eine gute Zukunft führen können. Aber – es liegt ein großes Stück Arbeit vor uns, vor dem ich aber keine Angst habe. Um es ganz klar zu sagen, ich stehe mit der Familie Ritzenhoff bereit, hier am Standort in Deutschland weiter Glas zu produzieren.

Herr Tönnies, wie bewerten Sie die Konstellation, dass mit Jens-Uwe Göke als Aufsichtsratschef und Carsten Schumacher als Vorstand zwei Ihrer Vertrauten Führungspositionen bei der Ritzenhoff AG bekleiden? Inwieweit waren Sie in diese Besetzungen involviert, inwieweit sehen Sie einen Interessenskonflikt, wie groß ist Ihr Einfluss auf das Unternehmen? Welche Rolle hat in der Krisensituation der Ritzenhoff AG gespielt, dass Sie beide Personen seit vielen Jahren kennen, ihnen vertrauen?

Die beste Voraussetzung für einen nachhaltigen Erfolg ist, wenn es gelingt, gerade in einer schwierigen Situation exzellente Manager an die zentralen Schaltstellen zu bekommen. Weil mir Ritzenhoff sehr am Herzen liegt, sollen hier auch nur die besten, kompetentesten und erfahrensten Manager zum Einsatz kommen. Beide Herren bringen genau die Eigenschaften mit, mit denen man Ritzenhoff wieder in eine prosperierende Zukunft führen kann. Dass ich beide gut kenne, ist die beste Garantie.

In den letzten beiden Jahren haben Kosten für Sanierungsberatung von über 6 Millionen Euro das Ergebnis belastet. Im Grunde bin ich sprachlos, wie das frühere Management hier mit dem Unternehmen umgegangen ist.
Robert Tönnies

Was hat das Unternehmen Ritzenhoff Ihrer Ansicht nach in Liquiditätsschwierigkeiten gebracht?

Die verschiedenen bekannten Krisen haben selbstverständlich die Rahmenbedingungen für Glashersteller in Deutschland und damit auch für Ritzenhoff erschwert. Diese Situation hat aber auch unsere Wettbewerber getroffen, die in der Regel vergleichsweise gut durch diese Krisen gekommen sind. Und auch Ritzenhoff hätte das alles wegstecken können, wenn es gut geführt worden wäre. Ritzenhoff ist mit einer Eigenkapitalquote von über 50 Prozent in die Krisen gegangen, als ich eingestiegen bin, lag diese deutlich unter 20 Prozent. Gleichzeitig ist der Umsatz von fast 80 Millionen Euro auf unter 60 Millionen Euro gefallen, ohne dass die Kostenstruktur nur im Geringsten angepasst worden ist. Ganz im Gegenteil, z.B. haben in den letzten beiden Jahren Kosten für Sanierungsberatung von über 6 Millionen Euro das Ergebnis belastet. Im Grunde bin ich sprachlos, wie das frühere Management hier mit dem Unternehmen umgegangen ist.

Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, um weiter am Standort produzieren zu können?

Da verlasse ich mich ganz auf unseren neuen Vorstand Schumacher und das Sanierungsteam. Beide fordern ganz zu Recht im ersten Schritt, dass Ritzenhoff deutlich entschuldet wird. Da ist das Unternehmen dran. Und wie bei jedem anderen erfolgreichen Unternehmen muss auf Dauer sichergestellt sein, dass Einnahmen und Erträge nicht nur die Kosten abdecken, sondern dem Unternehmen auch einen Gewinn bescheren. Dies ist erforderlich, um die notwendigen Investitionen in die Zukunft zu ermöglichen. Nur eine nachhaltige, hocheffiziente Produktion kann auf Dauer in Deutschland wettbewerbsfähig sein.

Waren Sie bereits einmal im Unternehmen im Sauerland?

Na klar doch! Bevor ich mich entschlossen habe, gemeinsam mit der Familie Ritzenhoff nach Lösungen zu suchen, habe ich mir das Unternehmen, die Produktionsstätten und natürlich die tollen Produkte genau angesehen. Ich wollte mir selbstverständlich einen persönlichen Eindruck verschaffen. Dieser Eindruck hat mich überzeugt, und ich bin daher sehr optimistisch, dass Ritzenhoff nach einer Neuaufstellung eine erfolgreiche Zukunft haben wird.

Ich habe die Perspektive, dass auch einmal das CO₂-neutrale Glas von Ritzenhoff Wirklichkeit werden kann.
Robert Tönnies - Zu den Zukunftsaussichten von Ritzenhoff am Standort Marsberg im Sauerland

Inwiefern passt Ritzenhoff zu Ihren bisherigen geschäftlichen Aktivitäten?

Ich habe mit meinen Erfahrungen als Unternehmer das Interesse, Ideen zu entwickeln, um erfolgreiche und insbesondere nachhaltige Unternehmungen am Markt zu etablieren. Bei Ritzenhoff reizt es mich, ein Unternehmen mit langer Tradition für die Zukunft und die veränderten Marktbedingungen fit zu machen. Die geplanten Investitionen zielen darauf ab, mit deutlich geringerem Energieaufwand Gläser zu produzieren. Und wenn ich den Windpark nebenan sehe, habe ich die Perspektive, dass auch einmal das CO₂-neutrale Glas von Ritzenhoff Wirklichkeit werden kann.

Könnten Sie einmal näher erläutern, an welchen Unternehmen aus welchen Branchen Sie aktuell beteiligt sind?

Neben meiner Beteiligung an der Tönnies-Gruppe betreibe ich das Unternehmen
E-Flat, das Flat-Rate-Modelle für E-Autos anbietet, und engagiere mich im Bereich von Onlinehandel und Logistik regionaler Lebensmittel über die Plattform Wochenmarkt24.

Wie hoch sind Ihre Anteile an der Ritzenhoff AG?

Mir war es immer wichtig, dass die Familie weiterhin ihre Rolle in ihrem Unternehmen spielt. Von daher bin ich nur mit einer Minderheitsbeteiligung eingestiegen. (Aktuell 49 Prozent/d. Redaktion) Man muss jedoch festhalten – im Augenblick gehört das Unternehmen wirtschaftlich den Banken. Mir ist wichtig, dass ich nun gemeinsam mit der Gründerfamilie Schulter an Schulter am gleichen Strang ziehe, um das Unternehmen zurückzugewinnen und als Familienunternehmen fortzuführen. Nur, wenn wir gemeinsam mit allen anderen Interessengruppen das gleiche Ziel verfolgen, Ritzenhoff wieder in ein stabiles Fahrwasser zu führen, kann das auch gelingen.

Würden Sie gegebenenfalls Ihr Engagement bei Ritzenhoff noch ausweiten? Falls ja, inwieweit?

Ich habe jetzt gemeinsam mit Familie Ritzenhoff ein angemessenes Angebot zum Rückerwerb des Unternehmens gemacht, damit dieses als Familienunternehmen mit Produktion in Deutschland erfolgreich in die Zukunft gehen kann. Damit sollte es bei Ritzenhoff in jedem Fall weitergehen. Trotzdem bleibt festzuhalten, dass es auch anderen Interessenten offensteht, ein Angebot abzugeben. Das beste Angebot muss den Zuschlag erhalten. Dazu sind erst einmal die Gläubiger gefragt.

Management der Ritzenhoff AG

Vorstandsvorsitzende:

1999-2019 Bernd Batthaus, Marsberg

2019-2021 Christoph Kargruber, Steinach/Österreich

2021 Detlev Schauwecker, Köln

2021-2023 Dr. Axel Drösser, Düsseldorf

seit 15.11.2023 Carsten Schumacher, Glattbach

Aufsichtsratsvorsitzende:

bis 2019 Prof. Dr. Georg Crezelius, Bamberg

2019-2023 Karin Trimmel, Wien

seit 28. September 2023 Jens-Uwe Göke, Bielefeld

Fakten

Unternehmenssitz: Marsberg (Hochsauerlandkreis)

Unternehmensgründung: 1904

Beschäftigte: rund 430 (Stand Januar 2024)

Das Unternehmen ist seit 1999 eine Aktiengesellschaft. Gesellschafter sind Mitglieder der Familie Ritzenhoff/Zeppenfeld sowie seit September 2023 Robert Tönnies. Er hält 49 Prozent der Anteile (Stand Januar 2024).