Hagen. Noch immer sind Frauen in diesen Berufen Vorurteilen ausgesetzt. Zur EM geht die Handwerkskammer auch deswegen in die Offensive.
Katja Lilu Melder (41) hat schon die erstaunlichsten Dinge zu hören bekommen. Zum Beispiel, ob sie denn wohl ihre Brüste bei der Arbeit behindern? „Nee, die werfe ich mir einfach über die Schulter und dann schwinge ich den Vorschlaghammer“, sei dann ihre Antwort, sagt sie und lacht. Wer doof fragt, kriegt eben auch doofe Antworten. Keine Seltenheit auch die selbstverständliche Frage, ob nicht der Chef zu sprechen sei. Und wenn sie dann sagt, dass sie hier die Chefin mit Meisterauszeichnung ist: Ob die denn den gleichen Wert habe, wie die eines Mannes.
Team Handwerkerinnen: Das kostenlose Stickeralbum zur EM
„Wir Frauen müssen uns unseren Platz nach wie vor hart erkämpfen – und mehr beweisen als jeder Mann im Handwerk“, sagt Katja Lilu Melder, 41 Jahre alt, Chefin eines Abbruch- und Gefahrgutbetriebs in Hamm - und seit einigen Tagen als Aufkleber erhältlich, zum Sammeln und Einkleben ins Album. Denn die Handwerkskammer Dortmund hat passend zur Fußball-Europameisterschaft in Deutschland eine Art eigenes Paninialbum herausgebracht: mit Frauen aus dem Handwerk - und den passenden Fußball-Analogien.
„Meine Eltern wollten nicht, dass ich ins Handwerk gehe.“
Kostproben gefällig? Dachdeckermeisterin Sabrina Wollscheid hält die Hütte dicht - egal wie stark der Sturm auch ist. Fahrzeuglackiererin Nadine Kutz überzeugt mit Präzision am Flügel, Elektromaschinenbauerin Lorena Mattes geht als Mittelfeldmotor durch. Von der Auszubildenden bis zur Meisterin, von der Glaserin über die Schornsteinfegerin bis zur Bestatterin und Frisörin - wie Oula Abo Alenen aus Hagen. Höchst inoffiziell ist das Stickeralbum, kostenlos und in limitierter Auflage erhältlich. Ein kleiner Marketing-Gag in einer wichtigen Angelegenheit.
Es geht darum, die Sichtbarkeit von Frauen im Handwerk zu erhöhen. Das Team Handwerkerinnen verkörpere „die Skills, die es nicht nur im Handwerk, sondern auch im Fußball“ brauche und räume „gleichzeitig mit Geschlechterklischees auf“, sagen Berthold Schröder, Präsident der Handwerkskammer, und Hauptgeschäftsführer Carsten Harder.
Im Gegensatz zu den Nagelsmännern hat Katja Lilu Melder ihren Meistertitel schon. Bude machen ist weniger ihr Ding, aber dafür Bude abreißen. Ihre Firma, BMG Santec GmbH, ist auf Gefahrstoffsanierung (Asbest) und Abbruch spezialisiert. 2017 hat Katja Lilu Melder ihre Firma gegründet, nach der Insolvenz in der Corona-Krise beschäftigt sie heute wieder 72 Mitarbeiter - darunter ihren Mann als Prokuristen und Bauleiter. „Er ist der Diplomat in der Familie“, sagt sie. Dass das alles einmal so kommen würde, hat sie selbst lange nicht für möglich gehalten. Der Weg war ja auch steinig genug.
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„Meine Eltern wollten nicht, dass ich ins Handwerk gehe“, erinnert sie sich. Die Ausbildung zur Hotelfachfrau machte sie zu Ende und arbeitete fünf Jahre lang in diesem Beruf. „Dann“, sagt sie, „bin ich ausgebrochen.“ Sie leitete einige Jahre eine Zeitarbeitsfirma und kam dort in Berührung mit dem Bauwesen. Inzwischen ist sie Metallbauermeisterin, Schweißwerkmeisterin, Betriebswirtin Personal, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Beton- und Abbruchtechnikerin, Gefahrstoffsaniererin. „Im Handwerk bin ich erwachsen geworden“, sagt Katja Lilu Melder. Hat sie erwachsen werden müssen, sich eine gewisse Robustheit zulegen müssen. Sonst droht man unterzugehen.
50, 60 vergebliche Bewerbungen: „Da verzweifelst du“
Als sie eine Lehrstelle suchte, hagelte es Absagen. 50, 60 Bewerbungen, erinnert sie sich, habe sie schreiben müssen. „Da verzweifelst du. Und ich weiß, dass es Frauen auch heute noch so oder so ähnlich geht.“ Sie engagiert sich deswegen ehrenamtlich ehrenamtlich in der Handwerkskammer Dortmund, in der Kreishandwerkerschaft Hellweg-Lippe, für die Handwerksjunioren, für die Unternehmerfrauen im Handwerk, für ein Buntes und vielfältiges Handwerk, das nicht auf Geschlecht, Hautfarbe, Religion oder sexuelle Gesinnung schaut.
Deswegen ist sie gern Teil des Stickeralbums. „Es zeigt auf, wie viele Frauen allein im Kammerbezirk Dortmund schon tätig sind.“ Die Dinge seien in Bewegung, die Richtung stimme. Beispiel: Im Jahr 2022 wurden im Kammerbezirk Dortmund fast ein Viertel aller Meisterprüfungen von Frauen abgelegt. Aber mehr geht immer. „Das Handwerk braucht Veränderung“, sagt Katja Lilu Melder: „Und den jungen Frauen wollen wir sagen: Egal, welchen der 130 Handwerksberufe ihr ausüben wollt: Ihr könnt das.“