Hagen/Marsberg. Der insolvente Glashersteller aus dem Sauerland äußert sich erstmals detailliert zu Plänen und Chancen. Was Investor Tönnies vorhat.
Carsten Schumacher hatte sich das anders vorgestellt, als er Mitte November die Geschäftsführung der angeschlagenen Ritzenhoff AG übernahm. Damals sei er optimistisch gewesen, mithilfe von Investor Robert Tönnies und ohne Insolvenz den kriselnden Glashersteller aus Marsberg sanieren zu können. Noch Anfang Dezember hielt er ein Insolvenzverfahren für eine „unwahrscheinliche Option“, berichtet Schumacher heute.
Binnen bemerkenswert kurzer Zeit änderte sich diese Einschätzung drastisch. Erst habe er feststellen müssen, dass „die tatsächlichen Umsätze deutlich von den geplanten Umsätzen abwichen“. Dann, am 25. Januar 2024, musste Schumacher die Insolvenz der Ritzenhoff AG beim Amtsgericht Arnsberg anmelden. Nun haben Schumacher, ein 68 Jahre alter Unternehmenssanierer, und Jens Lieser, der Generalhandlungsbevollmächtigte im Sanierungsverfahren, die erste Phase der Insolvenz in Eigenregie abgeschlossen, wie sie erklären. Ihr Zwischenbericht enthält mutmachende Botschaften, aber auch schlechte Nachrichten - vor allem für die rund 430 Mitarbeiter.
„Die Personalkosten bei Ritzenhoff sind zu hoch. Es wird zu einem substanziellen Abbau von Stellen kommen müssen“, sagt Schumacher.
Der Vorstand und sein Mitstreiter Jens Lieser äußern sich im Gespräch mit dieser Zeitung ausführlich zum Stand des Insolvenzverfahrens und der Perspektive der Ritzenhoff AG, bei der Investor Robert Tönnies eine tragende Rolle einnehmen will.
Kosten reduzieren - und gleichzeitig investieren
Lieser äußert sich auf die Frage nach einem Stellenabbau zurückhaltender („steht auf dem Prüfstand“) als Schumacher, verweist darauf, dass dabei auch der Fachkräftemangel und die Zukunftsfähigkeit der Ritzenhoff AG zu beachten seien. Deutlich macht aber auch er, dass Kosten gesenkt werden müssten bei dem Sauerländer Traditionsunternehmen, das 2022 einen Umsatz von 64,3 Millionen Euro und einen Jahresfehlbetrag von 5,2 Millionen Euro eingefahren haben soll.
Laut Schumacher liege die Gewinnschwelle bei einem Umsatz von 62 Millionen Euro. Diese Marke werde man in diesem Jahr verfehlen. Die Frage ist offenbar noch, wie groß die Lücke ausfällt. Schumacher spricht von „maximal 60 Millionen Euro“ Umsatz, also mindestens zwei Millionen Euro weniger als benötigt. Demnach müssen die Kosten runter. Das ist Phase 2 des Insolvenzverfahrens. Nur, wirft Lieser ein, gleichzeitig müssten auch notwendige Investitionen getätigt werden, um Ritzenhoff eine Perspektive zu geben. Mitte 2025 müsse eine der beiden Glasschmelzwannen, in denen sich bei der Fertigung tonnenweise 1500 Grad heißes, flüssiges Glas befindet, ausgetauscht werden. Hinzu kämen weitere Investitionen, in eine Pressglaslinie und andere Optimierungen in der Produktion. Die Gesamtkosten belaufen sich „geschätzt auf rund 15 Millionen Euro“, sagt Lieser.
Diese Ausgaben bewirken zunächst das Gegenteil von dem, was Lieser beabsichtigt: Die Verschuldung der Ritzenhoff AG, die er senken will, steigt. „Nach den Investitionen wird sie bei etwa 50 Millionen Euro liegen“, sagt Lieser, „das ist viel zu viel. Durch das Insolvenzverfahren wird die Verschuldung gekappt.“
Teil der Altlasten sind unter anderem ein Sanierungskredit, der im vergangenen Jahr laut Lieser Teil einer „umfassenden Umfinanzierung durch die Banken in Höhe von überschlägig 50 Millionen Euro“ war, und ein KfW-Darlehen aus dem Jahr 2021 über zehn Millionen Euro.
Tönnies und Co. wollen Ritzenhoff zurückkaufen
Der Sanierungsplan für Ritzenhoff klingt nach einem Spagat. Dennoch gibt sich Lieser zuversichtlich. „Wir haben in der ersten Phase des Insolvenzverfahrens das operative Geschäft stabilisiert. Alle Lieferanten liefern, alle Kunden bleiben an Bord, es gibt keinen Produktionseinbruch und auch keinen Abriss in den Lieferketten. Wir erfahren große Solidarität von Kunden und Lieferanten“, erklärt der Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht. Er ist „zuversichtlich, dass wir den Standort Marsberg erhalten werden“.
Das Wohl und Wehe von Ritzenhoff hängt aber auch von einem neuen Geldgeber ab. Es gebe mehrere Interessenten für einen Kauf des Unternehmens. „Wir“, sagt Lieser, „prüfen alle Optionen am Markt.“ Eine davon: Robert Tönnies.
Der Neffe von Clemens Tönnies und Mitgesellschafter beim Tönnies-Fleischkonzern war wenige Monate vor der Insolvenz bei Ritzenhoff eingestiegen. Laut Zeichnungsschein vom 9. August 2023 übernahm er mit seiner Tönnies Unternehmensbeteiligungen GmbH 49 Prozent der Anteile an dem Glashersteller, zahlte dafür für vier Millionen Euro. Die Insolvenz von Ritzenhoff, das in diesem Jahr 120 Jahre Unternehmensbestehen begeht, traf dann auch den Investor.
„Robert Tönnies und die Familie Ritzenhoff/Zeppenfeld werden ein Angebot für das Unternehmen abgeben. Sie haben eine Gesellschaft gegründet, um das restrukturierte Unternehmen zurückzukaufen“, kündigt Jens-Uwe Göke an. Er ist Vorsitzender des - infolge der Insolvenz entmachteten - Aufsichtsrats der Ritzenhoff AG und langjähriger Wirtschaftsprüfer der Konzernabschlüsse, außerdem wie Vorstand Carsten Schumacher ein Vertrauter von Robert Tönnies. Beide waren nach dem Einstieg von Robert Tönnies bei Ritzenhoff in Führungspositionen gelangt, zudem sitzt Tönnies‘ Frau Sarah als Vertreterin der Tönnies Unternehmensbeteiligungen GmbH im fünfköpfigen Aufsichtsrat. Göke versichert, dass Robert Tönnies beim Glashersteller in Marsberg aber nicht zum Alleinherrscher aufsteigen wolle.
„Robert Tönnies würde nach einem erfolgreichen Rückkauf wie bisher mit 49 Prozent der Anteile an der Ritzenhoff AG beteiligt sein“, sagt Göke.
Ende des Insolvenzverfahrens in wenigen Wochen
Die Entscheidung über einen Verkauf der Firma liegt beim Gläubigerausschuss. Darin sind Vertreter von Banken, Lieferanten, Betriebsrat und der Bundesagentur für Arbeit, welche die Gehälter und Löhne der Ritzenhoff-Mitarbeiter im Rahmen des Sanierungsverfahrens durch das Insolvenzgeld trägt, vertreten. „Es gibt für Robert Tönnies keine Exklusivität. Entscheidend ist am Ende, welcher Investor den besten Preis bietet. Die Rettung von Arbeitsplätzen und die Perspektive des Unternehmens sind auch Kriterien“, sagt der Bevollmächtigte Lieser.
Man strebe eine sogenannte übertragende Sanierung an, das heißt, die Übertragung des Unternehmens auf einen neuen Eigentümer, der frei von den Altlasten arbeiten kann. Dieses Verfahren solle Zeit sparen und damit auch die Gefahr reduzieren, dass sich Kunden anderen Glasherstellern zuwenden. Binnen weniger Wochen soll so die Ritzenhoff-Zukunft geklärt sein.
„Wir streben ein Ende des Insolvenzverfahrens bereits zum 1. April 2024 an“, erklärt Lieser.