Kiel/Hagen. Eigentlich ist er Installateur, doch nun nahm Hendrik Moritz (61) an Deutschlands härtester Regatta teil: „Da bin ich wie ein Terrier.“

Hohe Wellen, starke Strömungen, harte Winde im Wechsel mit absoluter Flaute. Ewiges Schaukeln. Auf und wieder ab. Schräglage und zwischendurch nur blau. Wasser, nichts als Wasser. „Nach drei Tagen habe ich das erste und einzige Mal vier Stunden gedöst“, erzählt Skipper Hendrik Moritz. Der 61-jährige Hagener hat an Deutschlands einziger Hochseeregatta teilgenommen. 510 Seemeilen von Helgoland, vorbei an Sylt, die Nordsee hinauf zur nördlichsten Spitze Dänemarks, das Skagerrak umrundet und durch die Ostsee nach Kiel. Die Teilnahme an der „Pantaenius Rund Skagen“ – für Hendrik Moritz ein lang gehegter Traum.

Daheim am Küchentisch glänzen die Augen schlagartig wieder. Erinnerungen an dieses einmalige Erlebnis. Die Stimme von Hendrik Moritz überschlägt sich noch nach Tagen wie die Wellen in der Nordsee über seinem Boot.

Hochleistungssegeln in Reinkultur

Zu den Menschen, denen bei der ersten Welle auf der Butterfahrt schon schlecht wird, gehört Hendrik Moritz definitiv nicht. Der alte Mann und das Meer? Was der fitte 61-Jährige auf dem Wasser von Nord- und Ostsee erlebt hat, ist wohl eher Hochleistungssegeln in Reinkultur. Mehr als vier Tage und Nächte war Moritz mit seinem Segelpartner Holger Voss (47) aus Paderborn für die Strecke unterwegs.

„Ich bin ehrgeizig, nicht verbissen, aber ehrgeizig.“

Hendrik Moritz

Der Hagener ist schon seit vier Jahrzehnten auf dem Wasser unterwegs. Mit 21 Jahren hat er seinen A-Schein am Harkortsee in Hagen eingetütet. „Der Mutter zuliebe“, sagt er strahlend. Und über sich selbst: „Ich bin ehrgeizig, nicht verbissen, aber ehrgeizig.“

Hendrik Moritz ist ein humorvoller Mensch. Nicht nur am Küchentisch in Hagen, abseits des Sports. „Ich habe einfach Spaß am Erfolg, Spaß am Können“, sagt der Unternehmer. Im Job wie bei seinen Hobbys. Seine Firma, ein Ingenieurbüro und Installateur-Betrieb, hat er nach 30 Jahren zusammenschrumpfen lassen. Keine Angestellten mehr, nur noch er selbst und seine Frau Anke, die sich um den Bürokram kümmert. Für Hendrik Moritz fühlt sich das alles gut an, Verantwortung im Wesentlichen nur noch für sich selbst und seine Nächsten zu haben. Ganz so, wie auf seinem Boot.

Ijsselmeer ist nicht Hochsee

Segeln, sagt Moritz, sei im Grunde weniger Sport als (s)ein Lebensgefühl. Aber Gewinnen ist schon gut. Es ist nicht das erste Mal, dass der Hagener flott um die Wette fährt. In den Niederlanden, wo seit Jahren sein Schiff liegt, hat er bei beachtlichen Regatten schon so manches Rennen für sich entschieden. Allerdings ist das Ijsselmeer keine Hochsee. An einen Start bei der „Pantaenius Rund Skagen“ hatte er schon seit Jahren immer wieder gedacht, wie man über Träume nachdenkt, die man sich noch erfüllen möchte. Kein Kinderspiel, viele geben auf oder drehen kurz vor dem Start doch noch bei. Hendrik Moritz nicht.

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Alle zwei Jahre, immer in den geraden Jahren, findet diese besondere Regatta durch Nord- und Ostsee statt. Beinahe einhundert Stunden Wettkampfsegeln nonstop vor der Brust, wie sich herausstellen wird. Moritz und Voss gehen in der Klasse DoubleHand ORC, der Wertung für Boote mit zwei Mann Besatzung, an den Start. Dutzende Rennjachten haben sich bei der Pantaenius seit der Premiere im Jahr 1932 durchgekämpft. Die meisten Teilnehmer segeln mit einer vielköpfigen Profi-Crew auf deutlich größeren Booten als der Hagener.

Sportgerät aus dem Sauerland: Dehler 34 SV

Aber auch das Sportgerät von Hendrik Moritz kann sich sehen lassen. Es ist eine Dehler 34 SV aus der legendären und leider bereits Geschichte gewordenen Bootsschmiede in Freienohl im Sauerland. Vor dem Rennen misten Moritz und Voss aus, schmeißen alles von Bord, was nicht niet- und nagelfest ist oder gebraucht wird: alte Seekarten, Wetterkundebücher, Romane. Jedes Gramm zählt. Etwas ist neu an Bord: „Ich habe ein Satellitentelefon angeschafft, um auf hoher See über sichere Wetterdaten zu verfügen.“ Das soll sich noch auszahlen.

Üblicherweise liegt die Dehler in den Niederlanden in Lelystad am Ijsselmeer vor Anker, wenn Hendrik Moritz einmal anderen Leidenschaften nachgeht: Wakeboard fahren, Windsurfen – oder gucken, ob der Wasserhahn beim Kunden tropft.

Für die Pantaenius-Regatta haben Moritz und Voss die Dehler mit Namen „Spirit“ in 30 Stunden vom Ijsselmeer zum Start am Pfingstmontag auf Helgoland gelotst. Noch einmal wird dort Proviant geladen: Eintöpfe, Trockensuppen, Nudeln „Spicy“ – ein paar Bierdosen für alle Fälle.

Beinahe Traumstart vor Helgoland

Gut zehn Meter lang ist die Dehler, rund 3,60 Meter breit, ein schnelles Boot in seiner Klasse, wie sich beim fliegenden Regattastart zeigt. Das Duo aus Hagen und Paderborn schießt vorneweg. Glücksgefühle, Adrenalin – dumm nur, dass eine Boje falsch erwischt wird und die ärgste Konkurrentin fröhlich davon zischt. Eine halbe Stunde verloren. Schon die Nase voll statt im Wind? „Im Gegenteil. Jetzt geht alles. Da bin ich wie ein Terrier.“ Aufholjagd also.

Zwei Kabinen unter Deck gibt es auf der Jacht. Bei dieser Regatta überflüssig. Schlafen kommt kaum infrage. Eine Kombüse. Wozu? „Die Küche ist kalt geblieben“, sagt Moritz. Keine Zeit. Nach drei Tagen und Nächten sind sie längst vorbei an der Promiinsel Sylt – bei Flaute. Das Duo hat sich entlang der dänischen Nordseeküste hinaufgekämpft und die Boje am Skagerrak an der Nordspitze Dänemarks nach gut zwei Tagen umrundet. Bei Nacht dann durchs Kattegat zwischen Dänemark und Schweden und weiter durch die dänische Ostsee in Richtung Ziel.

Wenn Segeln zum Pokerspiel wird

Immer noch liegt die Konkurrentin Charlotte Schneider mit ihrem „Rentnerbank“ getauften Schiff einige Seemeilen vorn, bis sie in die Flaute vor der dänischen Insel Langeland gerät – wie viele andere Skipper auch. Nicht mal mehr ein laues Lüftchen, Stillstand auf dem vermeintlich optimalen Kurs Richtung Kieler Förde. „Das ist wie Poker oder Schachspiel“, sagt Skipper Hendrik. Das Blatt wendet sich, Moritz und Voss sind am Zug. Das Satelliten-Telefon leistet jetzt wertvolle Wetterdienste. Die beiden wählen einen deutlich weiteren Kurs, umschiffen die Flaute, nutzen die Strömung und steuern die „Spirit“ Richtung Ziel.

Schneider holt zwar noch auf, unter dem Strich bedeuten vier Tage, eine Stunde und 46 Minuten aber für Moritz/Voss tatsächlich den Sieg. Im Ziel gilt Moritz‘ erster Handgriff dem Mobiltelefon: Anruf bei seiner Frau Anke. Die braucht Geduld, denn ihr Hendrik hat sie zwar angefunkt, ist gefühlt für Minuten aber stumm wie ein Fisch: „Mir liefen nur noch die Tränen das Gesicht herunter. Es dauerte etwas, bis ich einen Ton herausbekommen habe“. Aktueller Augen-Wasserstand im Sitzen am Küchentisch: steigend wie bei Flut.

Den nächsten Traum schon im Kopf

Hendrik Moritz hat nach dem Rennen seines Lebens einen Zwischenstopp an Land eingelegt und die dringendsten Aufträge für seine Kunden abgearbeitet. Jetzt ist er bereits wieder auf der „Spirit“, die seit dem Rennen noch in Kiel vor Anker lag – dieses Mal mit seiner Frau Anke. Vor ein paar Tagen haben sie Rügen umrundet, die Seele baumeln lassen, nun sind sie bei Kopenhagen. Eine Weile wollen sie noch auf der Ostsee unterwegs sein, bevor sie die Dehler wieder in Richtung Lelystad in den Heimathafen steuern. Der Skipper kann auch gemütlich – nur nicht ganz so gut.

Gerade hat Moritz also Zeit, um zu entspannen und nachzudenken. „Das geilste Rennen der Welt ist eigentlich das Fastnet-Race“, sinniert der frisch gebackene Regattasieger. Es ist noch länger, noch härter als die Pantaenius. Von der Isle of Wight führt sie in die irische See bis zum Fastnet-Rock bei Irland hinauf und zurück bis nach Cherbourg. Berühmt-berüchtigt, nicht ungefährlich - aber der 61-jährige Hagener schwärmt schon, als sei es genau diese eine Sache, die es zu erfüllen gilt. Warum aufhören mit dem Träumen? Das Fastnet-Race findet schließlich immer in ungeraden Jahren statt.

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