Marsberg. Die Zukunft des Glasherstellers bei Marsberg ist ungewiss. Wenn bis April kein Investor gefunden wird, droht die Wucht des Insolvenzverfahrens.

285 Mitarbeiter von Ritzenhoff sind am Mittwoch zur Betriebsversammlung in Marsberg gekommen, um zu erfahren, wie es für sie weitergehen wird. Die Stimmung, das sagen sowohl der Betriebsratsvorsitzende Axel Ballé als auch Andreas Bier, Gewerkschaftssekretär IGBCE, am nächsten Tag, sei nicht gut gewesen. „Ich habe in viele erschreckte Gesichter geschaut“, so der Gewerkschaftsvertreter. Axel Ballé sagt: „Wir wissen, dass Entlassungen nicht verhindert werden können. Die Angst ist da. Viele Mitarbeiter sind auf dem Boden der Tatsachen angekommen, auch Mitarbeiter, die schon 32 Jahre lang für Ritzenhoff arbeiten, haben nun Sorge. Aber die Betriebsversammlung ist gut gelaufen und wir konnten die Ängste der Menschen ein wenig lindern.“ Ballé sagt aber auch: „Das ist eine Misere, die wir nicht schönreden können.“ Andreas Bier ist am Mittwoch (21. Februar), dem Tag der Betriebsversammlung, in vielen Gesprächen. Im Gespräch mit der WP erklärt er die aktuelle Lage des Unternehmens und was die Mitarbeiter erwarten wird.

Ritzenhoff hatte einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eingereicht

Die Firma Ritzenhoff ist insolvent, viele Arbeitnehmer bangen um ihre Jobs.
Die Firma Ritzenhoff ist insolvent, viele Arbeitnehmer bangen um ihre Jobs. © Marsberg | Ralf Rottmann Funke Foto Services

„Das Besondere an der aktuellen Situation des Unternehmens Ritzenhoff ist die große Dynamik auf der Zeitachse. Wir müssen nun, gemeinsam mit dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat, schnell arbeiten und ein gemeinsames Konzept erstellen, um die Fortführung des Unternehmens zu sichern.“ Vor rund drei Wochen hatte Ritzenhoff einen Antrag auf ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eingereicht, das Amtsgericht Arnsberg hatte dem stattgegeben. Seitdem machen Vorwürfe gegen den ehemaligen Vorstand Dr. Axel Drösser, der bislang auf Anfragen der WP nicht geantwortet hat, die Runde, Mitarbeiter sorgen sich um ihre Arbeitsplätze. Die Zukunft des Unternehmens ist ungewiss. Und die Zeit drängt.

Mitarbeiter bekommen drei Monate lang ihr Geld in voller Höhe

Andreas Bier und die IGBCE haben selbst erst vor drei Wochen von dem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung erfahren. Bis dahin habe kein Kontakt zum Betriebsrat bestanden, allerdings habe man noch im selben Moment den Kontakt wiederaufgenommen, so Bier. Jetzt arbeite man gemeinsam auf Hochtouren. „Die Mitarbeiter bekommen drei Monate lang ihr Geld in voller Höhe weiter ausgezahlt. Aber Januar und Februar sind schon vorbei. Gewerkschaft und Arbeitgeber sind in der Informationsaufklärungsphase. Bis Ende März müssen wir aber ein Konzept auf tarifvertraglicher Basis ausgearbeitet und einen Investor gefunden haben, der in dieses Konzept einsteigt.“ Ansonsten muss Ritzenhoff Anfang April das Insolvenzverfahren eröffnen, die Mitarbeiter bekommen dann Insolvenzausfallgeld. „Dann trifft das Unternehmen die ganze Wucht des Insolvenzverfahrens“, sagt Bier.

Die Belastung psychischer Art ist hoch. Viele haben Zukunftsängste, Existenzängste. Sie wissen nicht, wie es weitergeht und selbst wenn es ab dem 1. April ein Konzept zur Fortführung gibt, wird der Prozess Ritzenhoff weiter begleiten.
Andreas Bier, Gewerkschaftssekretär IGBCE

Arbeitgeber kann noch nicht sagen, wie Fortführung aussehen wird

Auf Wunsch von Andreas Bier fand also am vergangenen Mittwoch noch einmal eine Betriebsversammlung statt, um die Mitarbeiter zu informieren, denn noch sei man in der guten Gelegenheit, um die Situation eines Insolvenzverfahrens herumzukommen. Allerdings: Der Arbeitgeber habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen können, wie ein Fortführungskonzept nun aussehen könnte. Bier: „Wir wissen auch nicht, in welcher Höhe ein Personalabbau stattfinden wird. Aber wir wissen, im Zweifel wird eine Fortführung des Unternehmens nicht in der gleichen Personalstärke stattfinden können. Das betrifft alle Bereiche, denn das Unternehmen arbeitet wie in einem Uhrwerk zusammen, alle Räder greifen ineinander.“ Das Ansinnen der Gewerkschaft sei, so viele Arbeitsplätze zu erhalten wie nur möglich. „Uns ist bewusst, dass schmerzhafte Einschnitte kommen können. Wir wollen aber, dass die Arbeitnehmer abgesichert sind.“ Wunsch der IGBCE: Eine Transferagentur einsetzen, die Arbeitnehmer befähigen kann, mit Zusatzqualifikationen andere Stellen zu finden. „Eine Transferagentur qualifiziert die Mitarbeiter für den Arbeitsmarkt. Wenn dem einen ein Staplerschein fehlt, wird das innerhalb Kündigungsfrist möglich gemacht. Mit der Agentur kann dann ein neues Arbeitsverhältnis gesucht werden.“ Auskunft über einen Sozialplan oder entsprechende Abfindungen kann Bier noch nicht geben. „Wir kommen in diesen Bereich, aber wir wissen noch nicht, was für ein Kapital uns für eine Transferagentur zur Verfügung steht oder welches Volumen der Sozialplan haben wird.“ Das sollte in den nächsten drei Wochen geklärt werden.

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Misere sei auf Mist vom ehemaligen Vorstand gewachsen

Zu Drösser sagt Andreas Bier: „Die Misere ist auf seinen Mist gewachsen. Ob es rechtliche Schritte gegen ihn geben wird, das ist nicht unsere Entscheidung. Das wird der Erwerber entscheiden.“ Und Robert Tönnies, der den Glashersteller retten möchte, wie er in einem ausführlichen WP-Interview sagt? „Tönnies wird im Unternehmen durch die Mitarbeiter nicht groß wahrgenommen, er ist ja auch selten hier. Wir gehen davon aus, dass er ein Angebot machen wird. Es kommt aber darauf an, wie gut dieses ausgestaltet sein wird. Wenn es passt, bin ich froh darum. Aber Tönnies wird gerade nicht als Retter wahrgenommen, die Menschen sind nicht an den großen Namen interessiert, sie sehen nur ganz genau hin, wenn es um ihre Kollegen oder sie selbst geht.“ Ein passendes Angebot, gleich von welchem Investor, ist ein wichtiger Punkt. „Es kann nun täglich ein Angebot eines Investors kommen. Im Zweifel wird dieses Angebot unser Konzept für eine Fortführung des Unternehmens sein.“ Bisher gebe es Interessenten, aber von einer konkreten Ausgestaltung eines Angebots hat Andreas Bier keine Kenntnis.

Psychische Belastung der Mitarbeiter hoch

Der zeitliche Druck ist in diesem Fall besonders hoch und gleichzeitig eine emotionale Herausforderung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Andreas Bier: „Die Belastung psychischer Art ist hoch. Viele haben Zukunftsängste, Existenzängste. Sie wissen nicht, wie es weitergeht und selbst wenn es ab dem 1. April ein Konzept zur Fortführung gibt, wird der Prozess Ritzenhoff weiter begleiten.“ Trotz der „Misere“ bleibt Andreas Bier positiv; die IGBCE, den Betriebsrat und die Berater verbinde ein dickes Band der Solidarität. „Wenn es ein vernünftiges Konzept auf tarifvertraglicher Basis gibt, dann bin ich zuversichtlich, dass das Unternehmen fortgeführt werden kann.