Halver. Erneuter Fall von Gewässerverunreinigung: Der bei den Ermittlern gut bekannte Bauer spricht von höherer Gewalt. Wer ist der Mann?

In den vergangenen Tagen ist viel über ihn geschrieben und gesprochen worden: Der Landwirt aus Halver im Sauerland, von dessen Hof Gülle in beträchtlichem Maße in einen Bach und die nahe gelegene Talsperre gelangt sein soll - zum wiederholten Male sogar. Nur mit ihm, sagt der Landwirt, redeten die wenigsten: nicht die Behörden, nicht die Medien, nicht mal Berufskollegen. Zu eindeutig scheint die Lage: Der Typ, der die Ermittler und Gerichte regelmäßig beschäftigt, hat wieder den Hahn aufgedreht. Hat er? Das werden Gerichte klären.

Aber wer ist dieser Mann? Was sagt er zu all den Vorwürfen um seine Person? Der Landwirt ist dieser Redaktion namentlich bekannt, ließ uns auf seinen Hof und nahm Stellung: „Ich muss das, was ich tue, vor mir, vor meiner Familie, vor meinen Kindern verantworten können – und das kann ich.“ Er hat zwei jugendliche Kinder.

Hunderttausende Liter Gülle sollen in die Gewässer gelangt sein

Etwas mehr als zwei Wochen ist es her, dass der Märkische Kreis gemeinsam mit dem Oberbergischen Kreis, dem Wupperverband und den technischen Betrieben Remscheid eine Pressemitteilung absetzte, in der der jüngste Fall skizziert wurde: Mehrere hunderttausend Liter Gülle seien von einem landwirtschaftlichen Betrieb in den Neyebach gelangt und von dort teilweise auch in die Neyetalsperre im Oberbergischen Kreis. Hunderte Fische seien verendet. Das Trinkwasser sei nicht in Gefahr. Trotzdem handele es sich um eine Naturkatastrophe, weil die Folgen für die Zukunft noch nicht absehbar seien. Wut schlägt dem möglichen Verursacher entgegen.

Er steht auf seinem Hof und seine Stimme überschlägt sich. Der Landwirt sagt, dass es sich nicht um Gülle handle, sondern um Abschwemmungen. Am Montag, 2. September, fünf Tage, bevor laut Pressemitteilung Anwohner die veränderte Farbe und den Geruch des Baches beklagten, habe es ein örtlich begrenztes Starkregenereignis in Halver gegeben. „Das Wasser stand auf meinen Wiesen und Weiden, auf denen sich die Kühe befinden.“

Weitere Themen aus der Region:

Mengen an Wasser hätten sich - angereichert mit Kuhmist und Dreck - den Weg zum tiefsten Punkt gesucht, sagt der Bauer. Das sei das Tal, in dem der Neyebach fließe, gleich unterhalb seines Betriebes, getrennt nur durch ein langes Wiesenstück mit entsprechendem Gefälle. Die Zufahrt zu seinem Gülle-Tank sei durch den Regenstrom beschädigt worden. „Es hat Teile des Bodens mitgerissen, auf dem wir sonst um den Gülle-Behälter fahren. Das geht zurzeit gar nicht mehr. Da sind 60 Zentimeter tiefe und einen Meter breite Furchen.“

2014 soll es den ersten Fall gegeben haben: Landwirt bestreitet das

Der aktuelle Fall wäre nicht so brisant, wenn der Landwirt der Staatsanwaltschaft und der Öffentlichkeit nicht schon bekannt wäre. So soll dies die dritte Gewässerverunreinigung gewesen sein, die von dem Hof ausging. 25.000 bis 40.000 Liter Gülle seien schon 2014 in den Bach gelangt, wie die Stadtwerketochter Energie und Wasser für Remscheid (EWR) GmbH mitteilt. Der Verursacher sagt, er habe damals eine Baustelle gehabt und den Dreck mit größeren Mengen Wasser vom Hof gespült. Der Fall wurde nicht weiter verfolgt.

Aus dem damals neu gebauten Tank gelangten im Jahr 2015 1,7 Millionen Liter Gülle in den Neyebach und die Neyetalsperre. Der Eigentümer spricht bis heute von Sabotage.
Aus dem damals neu gebauten Tank gelangten im Jahr 2015 1,7 Millionen Liter Gülle in den Neyebach und die Neyetalsperre. Der Eigentümer spricht bis heute von Sabotage. © WP | Daniel Berg

Im März 2015 kam es dann zu dem, was als Gülle-Skandal Bekanntheit erlangte: 1,7 Millionen Liter Gülle waren von besagtem Hof laut Behörden in den Neyebach und in die Talsperre geraten. Ausgetreten waren sie - das ist unstrittig - aus einem riesigen neu gebauten Tank mit einer genehmigten Füllmenge von 4 Millionen Litern. Sabotage sei das gewesen, sagt der Landwirt bis heute. Tatsächlich wurde er im Strafrechtsverfahren vor dem Landgericht Hagen freigesprochen.

Zivilrechtlich wurde er aber als Betreiber einer Anlage mit wassergefährdenden Stoffen wegen der sogenannten Gefährdungshaftung zur Zahlung von knapp 200.000 Euro Schadenersatz verurteilt. Die Berufung gegen das Urteil hat der 49-Jährige vor dem Oberlandesgericht Hamm kürzlich erst zurückgezogen. „Ich habe mich beraten lassen und dann haben wir diese Entscheidung so getroffen“, sagt er: „Die volle Summe werde ich nicht bezahlen. Aber da stehen jetzt erstmal Verhandlungen an.“ 

Ebenfalls Aufsehen erregte, als die Polizei im März 2022 auf dem Hof in Halver vorfuhr und alles durchsuchte: Großrazzia. 50 Bauernhöfe, Wohnungen, Firmen und Büros wurden vornehmlich in NRW kontrolliert, Ermittlungsverfahren gegen 23 Personen eingeleitet. Der Landwirt aus Halver gilt nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Hagen als Hauptverdächtiger. Vorwurf: Er soll über Jahre auf Bauernhöfen angefallene „Gülle, Gärreste und ähnliche Substanzen“ illegal entsorgt haben.

„Was stimmt, ist, dass ich eine Zeit lang Zentrum eines Netzwerks unter vielen Bauern war“, sagt der Hauptverdächtige. „Den Berufskollegen, die überschüssige Gülle hatten, und denen, die welche brauchten, zu helfen, war eine Arbeit, die mir Freude machte.“ Hintergrund: Viele Landwirte vor allem am Niederrhein oder im Münsterland haben das Problem, dass sie mehr Gülle haben als sie per Gesetz auf ihre Felder bringen dürfen. Folge: eine kostenpflichtige Entsorgung.

Gülle-Handel: Komplexe Vorgänge erschweren Ermittlungen

Der Landwirt aus Halver, so der Verdacht der Ermittler, könne die überschüssige Gülle „zu einem günstigen Preis“ aufgenommen und „zum Teil unter Verschleierung des Verbleibs“ einer „nicht ordnungsgemäßen Entsorgung zugeführt“ haben. „Aufgrund der Komplexität der Vorgänge und der unterschiedlichen beteiligten Behörden dauern die Ermittlungen noch an“, sagt Oberstaatsanwalt Gerhard Pauli von der Staatsanwaltschaft Hagen am Dienstag.

Er habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, sagt der Verdächtige, sondern nur geholfen. „Reich wird man dadurch nicht, das ist eher ein Trinkgeld gewesen“, sagt er. Es gebe Lieferscheine zu all diesen Vorgängen. Aber: „An den Berechnungen, welcher Landwirt wie viel Gülle bekam und wie konzentriert diese war, war ich nicht beteiligt.“

„ Wenn einzelne schwarze Schafe so komplett die gute fachliche Praxis des gesamten Berufsstandes verunglimpfen, erzeugt das große Wut bei den Berufskollegen.“

Ulrich Brinckmann
Vorsitzender des Landwirtschaftsverbands im Märkischen Kreis

Viele Landwirte haben sich vom Kollegen abgewendet - gelinde gesagt. Ulrich Brinckmann, Landwirt aus Iserlohn und Vorsitzender des Landwirtschaftsverbands im Märkischen Kreis, distanzierte sich auch im Namen der Kollegen zuletzt via Pressemitteilung. Die Gewässerreinhaltung sei oberstes Gebot. „Wenn einzelne schwarze Schafe so komplett die gute fachliche Praxis des gesamten Berufsstandes verunglimpfen, erzeugt das große Wut bei den Berufskollegen.“

Zudem stand der Bauer aus Halver jüngst erneut vor Gericht: Vom Amtsgericht Lüdenscheid wurde er vor zwei Wochen wegen Verstößen gegen Tierschutzauflagen, versuchter Nötigung in zwei Fällen sowie Geldwäsche und Urkundenfälschung zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und der Zahlung von 2000 Euro verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Landwirt mehreren erkrankten Kälbern, die an starken Schmerzen litten, nicht rechtzeitig geholfen hatte. Zudem hatte er nach Auffassung des Gerichts Mitarbeiter der Verwaltung per Telefon bedroht sowie gefälschte Corona-Impfausweise angekauft und weitergegeben. Die Bedrohung und eine Bereicherung an den Impfausweisen bestritt er vor Gericht.

Vom unteren Ende des Hofes führt eine Wiese hinunter zum Neyebach.
Vom unteren Ende des Hofes führt eine Wiese hinunter zum Neyebach. © WP | Daniel Berg

„Die Tiere, um die es geht, waren krank und vielleicht ist mir oder einem meiner Mitarbeiter das nicht früh genug aufgefallen. Wir – das heißt: ich als Eigentümer und zwei weitere Bewirtschafter dieses Hofes - haben zirka 300 Kühe und 250 Rinder. Es geht doch darum, ob hier grundsätzlich alles in Ordnung ist. Und das ist es.“ Was dafür spricht: Nach dem Gülle-Skandal 2015 wurde der Hof bis Ende 2022 über 50 Mal „engmaschig kontrolliert, ohne dass es zu Beanstandungen im Zusammenhang mit dem Lagern von Gülle gekommen war“, teilt der Märkische Kreis auf Nachfrage mit.

Viele Ermittler hat der Halveraner in den vergangenen Jahren schon beschäftigt, das ist unstrittig. Burkhard Mast-Weisz treibt das um. Er ist Oberbürgermeister der rund 20 Kilometer von Halver entfernt liegenden Stadt Remscheid und sagt: „Der Verbund der Talsperren ist einer unserer Schätze.“ Bevertalsperre, Wuppertalsperre, Eschbachtalsperre und eben die Neyetalsperre sollen zukünftig die Trinkwasserversorgung der Region nachhaltig sichern. Verunreinigungen seien daher ein ernst zu nehmendes Sicherheitsrisiko. „Ich mache erstmal niemandem einen Vorwurf, aber ich möchte schon wissen, wie es sein kann, dass solche Dinge wiederholt passieren und wie man als Aufsichtsbehörde mit diesem Landwirt umzugehen gedenkt.“

„Trotzdem stehe ich wie der große Straftäter da. Meinen Sie, ich habe Bock, diesen ganzen Spießrutenlauf von damals nochmal zu erleben?“

Verdächtigter Landwirt aus Halver

Wie es weitergeht, bleibt offen. „Der Märkische Kreis wird veranlassen, was rechtlich möglich und tatsächlich erforderlich ist, um rechtskonforme Zustände zu schaffen“, heißt es auf Nachfrage. Die Behörde geht weiterhin davon aus, dass „binnen kurzer Zeit eine große Menge Gülle in die Umwelt gelangt ist“. Die Staatsanwaltschaft Hagen hatte Ermittlungen wegen Gewässerverunreinigung eingeleitet, diese werden nun aber durch die Zentralstelle für die Verfolgung der Umweltkriminalität in Nordrhein-Westfalen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund fortgeführt.

Aktueller Fall: höhere Gewalt?

Am Dienstagmorgen wurde der Hof in Halver-Kotten durch die Staatsanwaltschaft Dortmund und die Polizei im Märkischen Kreis durchsucht. Die Beamten sollen dabei die beiden auf dem Hof befindlichen Mitarbeiter für eine Vernehmung mitgenommen haben. Diese hätten gerade die Kühe melken wollen, wie der Anwalt des Landwirts, Paul Beckmann aus Dortmund, sagt. Tierwohl habe dabei wohl eine untergeordnete Rolle gespielt. „Es sind viele Emotionen unterwegs. Ich würde mir mehr Sachlichkeit wünschen. Man geht im Moment nicht sehr freundlich mit meinem Mandanten um“, sagt Beckmann.

Der Landwirt aus Halver sieht sich von den Behörden verfolgt und drangsaliert. Der akuelle Gülle-Eintrag im Neyetal sei „höhere Gewalt“ gewesen. „Trotzdem stehe ich wie der große Straftäter da. Meinen Sie, ich habe Bock, diesen ganzen Spießrutenlauf von damals nochmal zu erleben?“