Hagen. Die Staatsanwaltschaft Hagen geht seit zwei Jahren dem Verdacht einer illegalen Entsorgung nach. Was mit überschüssiger Gülle passiert.
Sogar einen Spürhund hatten die Ermittler bei der Gülle-Razzia auf dem Hof im Sauerland eingesetzt. „Die kamen morgens, als ich gerade frühstücken wollte“, schilderte ein Landwirt aus dem Märkischen Kreis damals. Er wird seitdem von der Staatsanwaltschaft Hagen als „Hauptbeschuldigter“ geführt. Bei der „Durchsuchungsaktion wegen Betrugsverdachts im Umfeld landwirtschaftlicher Betriebe“ (Landeskriminalamt NRW) waren im März 2022 insgesamt 50 Bauernhöfe, Wohnungen, Firmen und Büros überwiegend in NRW kontrolliert worden und Ermittlungsverfahren gegen 23 Personen eingeleitet worden. Der Vorwurf gegen den Landwirt aus dem Sauerland lautete: Er soll über Jahre auf Bauernhöfen angefallene „Gülle, Gärreste und ähnliche Substanzen“ illegal entsorgt haben.
Vorgaben in der Düngeverordnung
Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft beschreibt das Grundproblem so: „Viel Vieh, (zu) viel Gülle.“ Will heißen: In viehreichen Gegenden – in NRW das Münsterland und der Niederrhein - fallen oft so große Mengen an, dass Landwirte nicht die komplette Gülle als Dünger auf ihren Flächen verwenden können. Oder besser: dürfen. „Auf eine bestimmte Fläche darf nur eine bestimmte Menge Gülle aufgebracht werden“, verweist Dr. Gerhard Pauli von der Staatsanwaltschaft Hagen auf die Düngeverordnung.
Schädlich für die Umwelt
Den Hintergrund erklärt das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft so: Pflanzen auf Wiesen und Äckern könnten nur eine bestimmte Menge an Stickstoff aufnehmen. Wird der Boden mit Gülle überdüngt, werden Nährstoffe wie Nitrate ausgewaschen und gelangen ins Grundwasser. Erhöhte Nitratbelastungen sind gesundheitsgefährdend für Mensch und Tier und schädlich für die Umwelt. Dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zufolge führen Gülleunfälle in der Landwirtschaft sowie illegale Entsorgung in Bächen und Teichen „immer wieder dazu, dass Gewässer umkippen und Fische sterben“. Die Umweltschutzorganisation spricht von einer „Gülleflut in NRW“.
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Da trifft es sich auf den ersten Blick gut, wenn ein Landwirt wie der Sauerländer anbietet, die überschüssige Gülle „zu einem günstigen Preis“ (Oberstaatsanwalt Dr. Pauli) in unterversorgte Ackerbauregionen zu transportieren. Doch womöglich ist die Gülle, dieser Verdacht ist Ausgangspunkt der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hagen und des Landeskriminalamtes NRW, gar nicht an die vorgegebenen Orte gebracht worden, sondern illegal entsorgt worden. Womöglich kam so mehr Gülle auf Flächen, als laut Düngeverordnung erlaubt war.
Die Ermittler formulierten ihren Verdacht vor zwei Jahren so: Der Landwirt aus dem Sauerland könnte „zum Teil unter Verschleierung des Verbleibs“ die Gülle „einer nicht ordnungsgemäßen Entsorgung zugeführt“ haben. Die weiteren Beschuldigten könnten ihn „durch Transport und Übernahme der Stoffe unterstützt bzw. ihm geholfen haben, Geschäftspartner über Umfang und Qualität der erbrachten Leistungen zu täuschen“.
Klaus Brunsmeier ist stellvertretender Bundesvorsitzender des BUND. „Gülle ist ein Dauerthema“, sagt der Sauerländer aus Halver, der seine Sorgen um Mensch und Umwelt gerne in diesen Satz kleidet: „Wir gehen mit unserem Planeten um, als hätten wir einen zweiten.“
Legaler Güllehandel
Der Umweltschützer will keine Pauschalverurteilungen tätigen, wie er sagt, und schon gar nicht auf die „bösen Bauern“ schimpfen. „Der überwiegende Teil der Landwirte geht sehr verantwortungsvoll mit der Entsorgung und Aufbringung von Gülle um“, meint er. „Aber: Wie überall gibt es auch hier schwarze Schafe, die den eigenen Profit über das Gewissen stellen.“
Weil in der einen Region zu viel Gülle anfällt und in der anderen Region der tierische Dünger fehlt, hat sich ein legaler Güllehandel entwickelt. Auf Vermittlungsplattformen („Nährstoff- bzw. Güllebörsen“) bieten Händler ihre Logistik- und Transportdienste an. „Schauen Sie sich nur einmal freitagnachmittags oder samstagmorgens an, wie viele Tankwagen mit auswärtigen Kennzeichen heimische Höfe ansteuern. Da sehen Sie, wie lebhaft Gülle, zum Teil über viele Kilometer, von A nach B gebracht wird“, schildert BUND-Vorstand Brunsmeier.
Vorwurf: Mangelnde Kontrolle
Was ihn ärgert: „Landwirte und Händler haben Aufzeichnungspflichten. Aber die angegebenen Mengen können genau genommen nicht kontrolliert werden. Der Nachweis einer möglichen Überdüngung ist allein dann schon schwierig, wenn es nach dem Aufbringen von Gülle regnet und alles auf dem Feld fort fließt. Das macht auch die Strafverfolgung so schwierig.“
Fragt man Oberstaatsanwalt Dr. Pauli danach, warum die Ermittlungen nach der Razzia bereits zwei Jahre andauern und keine Anklage in Sicht ist, hört man ein gewisses Seufzen aus seiner Stimme heraus und den Hinweis auf eine „Vielzahl an Beweismitteln und Datenträgern“, die ausgewertet werden müssten. „Die Ermittlungen gestalten sich schwierig und zäh. Insbesondere der genaue Verbleib der Güllemengen kann nur sehr schwer nachvollzogen werden.“ Es mache die Sache auch nicht einfacher, dass die Kooperation bei Beschuldigten und Zeugen eher überschaubar sei. Darüber hinaus gehen die Ermittler auch Hinweisen auf Straftaten wie Schwarzarbeit und Steuerbetrug nach.
Anreiz für schwarze Schafe
Der dem Sauerländer Landwirt vorgeworfenen Betrug bei der Gülleentsorgung soll sich zu einem Zeitpunkt ereignet haben, als Bauern noch dafür zahlen mussten, dass sie ihre überschüssige Gülle loswerden. „Womöglich hat sich dadurch für schwarze Schafe ein Anreiz zu einer illegalen Entsorgung ergeben“, mutmaßt BUND-Mann Klaus Brunsmeier.
Weil sich Kunstdünger angesichts gestiegener Energiepreise verteuert hat, ist die Nachfrage nach Gülle zum Düngen gestiegen. Das heißt: Landwirte können derzeit überschüssige Gülle für gutes Geld an Betriebe mit Güllemangel verkaufen.
Güllebörsen als Vermittler
Für Umweltschützer Brunsmeier ist das Prinzip der Güllebörsen, Überschussproduktion an anderer Stelle zu verbrauchen, grundsätzlich nachvollziehbar. „Der Kern des Problems ist aber die zu hohe Überdüngung in der Landwirtschaft.“ Für ihn gibt es nur eine Lösung: „Die Tierhaltung muss an die Fläche gebunden sein. Dann sind auch keine Gülle-Verschickungen in andere Regionen mehr nötig.“ Zudem gebe es aus seiner Sicht „große Probleme bei der Selbstkontrolle der Handelnden. Normalerweise wird der Umgang mit Stoffen von Dritten kontrolliert. Hier ist es die Landwirtschaftskammer, besser wäre die Untere Wasserbehörde.“
Freispruch in Strafprozess
Der beschuldigte Landwirt aus dem Sauerland und sein Anwalt aus einem Strafverfahren vor dem Landgericht Hagen reagierten auf eine Anfrage der Westfalenpost nicht. 2017 wurde der Sauerländer vom Vorwurf der besonders schweren Gewässerverunreinigung freigesprochen. Ende 2023 verurteilte ihn in der gleichen Thematik eine Hagener Zivilkammer zu fast 200.000 Euro Schadenersatz.
Hintergrund „war einer der größten Umweltskandale der letzten Jahre in NRW“ (Landesumweltministerium). Die Staatsanwaltschaft Hagen hatte dem Landwirt aus dem Sauerland vorgeworfen, dass im März 2015 von seinem Hof 1,7 Millionen Liter Gülle in die Neyetalsperre im benachbarten Bergischen Land gelangt seien. Der Betreiber der Talsperre hat wiederholt betont, dass sich die Natur bis heute nicht vollständig erholt hat.