Halver. Massive Verunreinigung, tote Fische - und im Fokus ein landwirtschaftlicher Betrieb, der nicht zum ersten Mal auffällig wird.

Der Ort des neuerlichen Zwischenfalls ist den Behörden mittlerweile gut bekannt. Er taucht in den Akten zu einem „der größten Umweltskandale der letzten Jahre in NRW“ (NRW-Umweltministerium) ebenso auf wie in einem noch laufenden Ermittlungsverfahren zu illegaler Entsorgung von Gülle und Gärresten. Gemeint ist ein landwirtschaftlicher Betrieb im sauerländischen Halver (Märkischer Kreis), der nun wieder im Fokus steht - und mehr und mehr zur Kulisse eines Kriminalfalls wird.

Aktueller Anlass: Mehrere Hunderttausend Liter Gülle sind offenbar vom genannten Hof in Halver-Kotten in den vergangenen Tagen in den nahe gelegenen Bach Neye gelangt und haben die Neyetalsperre (Oberbergischer Kreis) kontaminiert. „Die massive Verunreinigung hat zu einem Fischsterben in den Neyezuläufen geführt. Die toten Fische wurden aufgesammelt“, heißt es in einer Mitteilung der beiden betroffenen Kreise. Die Trinkwasserversorgung sei nicht in Gefahr. Umweltalarm wurde dennoch ausgelöst.

Gerichtsverfahren, Großrazzia, Hauptbeschuldigter

Der aktuelle Fall hat große Ähnlichkeit mit dem, was 2015 als sogenannter Gülleskandal Bekanntheit erlangte. Damals gelangten sogar 1,7 Millionen Liter Gülle in die Neye. Strafrechtlich konnte der Landwirt damals nicht belangt werden. Zwar schien eindeutig, dass der Schaden von seinem Hof ausging, nicht aber, dass er höchstpersönlich den Schaden herbeigeführt hatte. In einem Zivilrechtsprozess wurde der Landwirt aber zur Zahlung von knapp 200.000 Euro Schadenersatz verurteilt. Die Gülle musste aufwändig aus den Gewässern abgepumpt werden.

Zudem wird der Mann von der Staatsanwaltschaft Hagen in einem Ermittlungsverfahren als Hauptbeschuldigter geführt. Im Rahmen einer Großrazzia wurden im März 2022 50 Bauernhöfe, Wohnungen, Firmen und Büros vornehmlich in NRW durchsucht - auch das Anwesen im Sauerland. Gegen 23 Personen wurden seinerzeit Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dem Landwirt aus Halver wird vorgeworfen, über Jahre auf Bauernhöfen angefallene Gülle, Gärreste und ähnliche Substanzen illegal entsorgt zu haben. „Das Verfahren dauert weiter an“, so Oberstaatsanwalt Michael Burggräf.

Der Landwirt bestritt damals gegenüber dieser Zeitung die Vorwürfe des Gülle-Handels - und machte sich keine großen Sorgen. Er konnte ja schon zuvor nicht belangt werden. „Deshalb bin auch diesmal ganz gelassen“, sagt der damals 46-Jährige: „Das wird genauso ausgehen wie damals.“ Am Dienstag war der Mann für diese Redaktion telefonisch nicht zu erreichen. Auch der Anwalt, der ihn einst vor Gericht vertrat, war für diese Redaktion am Dienstag nicht zu erreichen.

„Ob der Behälter ein Loch hatte oder ob die Gülle oben oder aus der Ablassvorrichtung entwichen ist, werden die weiteren Ermittlungen ergeben müssen.“

Christof Hüls
Sprecher der Polizei im Märkischen Kreis

Anwohner hatten am vergangenen Samstag den Revierförster über einen auffälligen Geruch und eine Trübung der Neye-Zuläufe informiert. Bei einem Vor-Ort-Termin mit Beteiligung u.a. des Umweltamtes des Oberbergischen Kreises stellten Experten „einen massiven Gülleeintrag in das Gewässer fest“. Die Behörde löste Umweltalarm aus. Es wurden Boden- und Wasserproben genommen, die derzeit noch in einem spezialisierten Labor ausgewertet werden.

„Zeugen war eine dicke, grüne Schicht auf einem Nebenarm der Neye, ein starker Geruch und tote Fische auf dem Wasser aufgefallen“, schildert Christof Hüls, Sprecher der Polizei im Märkischen Kreis, auf Anfrage. Es deute vieles darauf hin, dass die in den Bach eingeleitete Gülle aus einem großen Güllebehälter auf dem Grundstück eines Landwirts in Halver-Kotten stammt, so Hüls weiter: „Dieser Güllebehälter sieht aus wie ein Kanalring oder wie ein Wasser-Becken im Garten, nur in groß. Er hat eine Ablassvorrichtung und ist nach oben offen. Ob der Behälter ein Loch hatte oder ob die Gülle oben oder aus der Ablassvorrichtung entwichen ist, werden die weiteren Ermittlungen ergeben müssen.“

Hüls zufolge hat die Polizei im Märkischen Kreis eine Strafanzeige gegen den Landwirt aus Halver geschrieben. Zudem lägen Strafanträge von betroffenen Wasserversorgern vor.

Weitere Themen aus der Region:

Die Umweltbehörde des Märkischen Kreises hat den Landwirt im Auge behalten und ihn mit Auflagen belegt. „Für den Güllebehälter, aus dem 2015 die Gülle ausgetreten ist, wurde eine Beseitigungsverfügung erlassen, die jedoch vom Landwirt vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg beklagt wird. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen“, teilt die Behörde auf Nachfrage mit. Im aktuellen Fall geht es aber offenbar um einen anderen Behälter. Zudem sei der Hof nach 2015 „engmaschig kontrolliert“ worden, wie die Umweltbehörde formuliert. Insgesamt 50 anlasslose Kontrollen hätten stattgefunden, die letzte im November 2022. Es habe in der gesamten Zeit keine Beanstandungen gegeben.

„Es hat sich ein regelrechter Handel mit überschüssiger Gülle entwickelt. Die Gülle, die in einer Region zu viel anfällt, wird zum Teil über viele Kilometer in andere Teile des Landes gebracht. Ein offenbar lukratives Geschäft.“

Klaus Brunsmeier
Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz

Experten der Umweltbehörde befanden sich auch am Dienstag noch vor Ort in Halver, um Beweise zu sichern und den Hergang des Geschehens möglichst detailliert zu rekonstruieren. Der Landwirt, so der Kreis, sei einer mündlichen Ordnungsverfügung bisher nicht nachgekommen, die ihn verpflichte, die entstandenen Verschmutzungen des Baches zu beseitigen. Daher prüften die Behörden zusammen mit dem wasserwirtschaftlichen Wupperverband Lösungen, um den Bach schnellstmöglich zu säubern - auf Kosten des Landwirts.

Welche weiteren Maßnahmen eingeleitet werden, werde aktuell geprüft, heißt es vom Märkischen Kreis. „Eine Betriebsuntersagung (...) ist als ultima ratio zu betrachten.“ Heißt: Erst wenn alle anderen milderen, rechtlichen Mittel ausgeschöpft sind, käme eine Betriebsuntersagung zum Beispiel nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz in Betracht.

Verschmutzung der Talsperre eine „ökologische Katastrophe“

Beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) ist man bestürzt über den neuerlichen Vorfall an der Neye. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Klaus Brunsmeier kennt die Neye bestens - er wohnt in Halver. Er sprach am Dienstag gegenüber gegenüber dieser Redaktion von einer „ökologischen Katastrophe“: Durch die Güllezuleitung seien Fische in den Zuläufen der Neye auf „qualvolle Art und Weise“ ums Leben gekommen. Zudem: „Auf lange Zeit werden große Gewässerabschnitte nicht mehr belebt sein.“

Grundsätzlich, so Brunsmeier weiter, sei Gülle ein wertvoller Nährstoff, der von vielen Landwirten sehr verantwortungsvoll eingesetzt würde. Aber: „Schwarze Schafe bringen auch sie in Misskredit.“ Aus seiner Sicht müsse der Umgang mit Gülle von den Behörden wesentlich restriktiver gehandhabt werden: „Es hat sich ein regelrechter Handel mit überschüssiger Gülle entwickelt. Die Gülle, die in einer Region zu viel anfällt, wird zum Teil über viele Kilometer in andere Teile des Landes gebracht. Ein offenbar lukratives Geschäft.“