Mülheim. Die Stadt will einen Euro zahlen, der Konzern will aber 40 Millionen: Um Mülheims Vallourec-Fläche ist ein erbitterter Kampf entfacht. Die Lage.

Die Fronten im Streit um Mülheims Vallourec-Fläche sind nach einem Votum des Mülheimer Stadtrates nun maximal verhärtet. Die Stadt will das 33,5 Hektar große Industrieareal per Vorkaufsrecht für einen symbolischen Euro an sich reißen, der französische Vallourec-Konzern keinesfalls auf die 40 Millionen Euro verzichten, mit dem ihm der unter chinesischem Einfluss stehende Logistik-Spezialist Logicor die Produktionsverlagerung nach Brasilien versüßen will. In Mülheims Politik gibt es aber auch Bauchschmerzen angesichts der städtischen Kampfansage: Riskiert sie, am Ende millionenschweren Schadenersatz zahlen zu müssen?

Der Stadtrat entschied sich nach Informationen dieser Redaktion am Donnerstag in nicht-öffentlicher Sitzung mit großer Mehrheit dafür, die Sache so anzugehen, wie seit knapp einem Jahr akribisch von verschiedensten Dezernaten im Rathaus und mit externer juristischer Unterstützung vorbereitet: Bei nur vier Gegenstimmen (FDP, BAMH) und drei Enthaltungen (AfD) gab der Stadtrat der Verwaltung freie Hand dafür, bis zum Auslaufen der Frist am 17. Mai ihr Vorkaufsrecht gegenüber Vallourec geltend zu machen, um die Nachnutzung des großen Wirtschaftsareals an der Schnittstelle von Styrum und Dümpten nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können.

Vallourec-Manager baut die maximale Drohkulisse vor der Stadt Mülheim auf

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Nicht beirren ließ sich die Ratsmehrheit vom Auftritt des Finanzvorstandes des Vallourec-Konzerns, Sascha Biebert, dem OB Marc Buchholz in öffentlicher Sitzung „fünf bis zehn Minuten“ Redezeit eingeräumt hatte, um der Politik noch mal die Sichtweise der Gegenseite vor Augen zu führen. „Wir dürfen und werden unser Grundstück nicht verschenken“, wies Biebert den gebotenen Euro der Stadt in aller Deutlichkeit zurück und kündigte rechtliche Schritte an.

Dabei baute der Vallourec-Manager die maximale Drohkulisse auf: Bei einer Niederlage vor Gericht drohe die überschuldete Stadt millionenschweren Schadenersatz leisten zu müssen. Und selbst wenn die Stadt als Sieger aus einem Gerichtsverfahren herausgehen würde, sei für sie nichts gewonnen: Dann würde Vallourec von seinem Recht Gebrauch machen, das Grundstück in seinem Besitz zu halten – da aber Vallourec selbst keine Expertise in der Entwicklung von Wirtschaftsflächen habe, drohe für Jahre eine Industriebrache. Mit dem von der Stadt aufgerufenen Szenario werde es „nur Verlierer“ geben, mahnte Biebert.

Vallourec will gegen die Stadt Mülheim klagen: 1 Euro für Grundstück sei inakzeptabel

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Der eine Euro, den die Stadt für das Grundstück aufgrund hoher Abrisskosten und dem Risiko einer umfangreichen Altlastensanierung nur zahlen will, hält Vallourec für inakzeptabel. Biebert verweist darauf, dass ein umfangreiches Bieterverfahren nun mal einen Marktpreis von 40 Millionen Euro ergeben habe. Das Wertgutachten, das die Stadt vom örtlichen Geohaus hat erstellen lassen, werde Vallourec mit einer Klage angreifen.

Mülheims Rechtsdezernentin Anja Franke lehnte sich derweil weit aus dem Fenster, bescheinigte diesem Ansinnen Vallourecs keinerlei Erfolgsaussicht. Rechtlich sei klar geregelt, wie in einem solchen Streitfall um ein Vorkaufsrecht ein Grundstückswert zu ermitteln sei. Dem Bodenrichtwert seien entsprechende Belastungen gegenzurechnen. Allein die Abrisskosten, so heißt es seitens der Stadtspitze, fräßen den Grundstückswert auf. Bei 40 Euro Bodenrichtwert pro Quadratmeter, der für die alte Mannesmann-Fläche nördlich und südlich der Fritz-Thyssen-Brücke ausgewiesen ist, müsste dies heißen, dass die Wertgutachterin Abrisskosten mindestens in Höhe von 13,4 Millionen Euro angesetzt hat.

Stadt Mülheim hält Wertgutachten unter Verschluss

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Dies lässt sich nicht nachprüfen, weil die Stadtverwaltung jenes Wertgutachten nicht einmal für eine vertrauliche Debatte in der Politik veröffentlicht hat. Der Politik sei aber eingeräumt worden, Einsicht in das Gutachten zu nehmen, so OB Buchholz. Welche Fraktionen davon Gebrauch gemacht haben, blieb unklar. Die Stadt gab dazu auf Nachfrage keine Auskunft.

Unklar blieb auch, welche Fraktionen womöglich kurzfristig vor der Ratssitzung unterbreitete Gesprächsangebote von Vallourec wahrgenommen haben, um sich näher erläutern zu lassen, wie die Rechtsposition des Konzerns zur anstehenden juristischen Auseinandersetzung ist. FDP-Fraktionschef Peter Beitz fand hierzu in der schmalen öffentlichen Debatte des Stadtrates deutliche Worte: „Wenige“ hätten die Gelegenheit wahrgenommen. Anderen Fraktionen warf Beitz vor, in der Sache „volles Risiko“ zu gehen – das sei „nicht das, was der Rat tun sollte“, verwiesen Beitz und seine Liberalen in einer Mitteilung für die Medien auch auf die unrühmliche Vergangenheit Mülheims in der Risikoabwägung: „Scheinbar vergessen ist bereits das Debakel um die Derivate, mit denen Mülheim gezockt hat“, so Beitz mit Blick auf die millionenschweren Verluste mit Zinswetten.

Peter Beitz, Fraktionsvorsitzender der FDP im Mülheimer Stadtrat.
Peter Beitz, Fraktionsvorsitzender der FDP im Mülheimer Stadtrat. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Das Vallourec-Aus in Mülheim – eine kleine Chronik:

Politiker spricht von „unüberschaubaren Risiken“ für die Stadt Mülheim

„Ich möchte auf dem Vallourec-Gelände mehr Beschäftigte, Bagger und Kräne sehen und weniger Rechtsanwälte und Gutachter“, äußerte Beitz. BAMH-Politiker Frank Wagner warf der Stadtspitze und der politischen Mehrheit „Blauäugigkeit“ vor, sprach von „unüberschaubaren Risiken“.

CDU, Grüne, SPD, MBI und weitere kleine Gruppen im Stadtrat blieben davon offensichtlich unbeeindruckt. Am Rande der Sitzung war zu vernehmen, dass der Stadt doch keine andere Möglichkeit bleibe, um Vallourec im Streit um die Grundstücksentwicklung „auf Augenhöhe“ begegnen zu können. Logicor-Vertreter hatten mit ihrem Entwicklungskonzept (je ein Drittel kleinteiliges Gewerbe, Logistik und Industrie) überhaupt nicht überzeugt. Rechtsdezernentin Franke wies darauf hin, dass der potenzielle Investor auch nicht die Chance genutzt habe, sich nach Unterzeichnung des Kaufvertrages mit einer sogenannten Abwendungserklärung hinter die städtebaulichen Ziele der Stadt zu stellen, die unter anderem keine Logistik vor Ort beinhalten. So habe man nichts Verbindliches vom Käufer, den Vallourec präsentiert hat, in der Hand.

Mülheims Grüne betonen: Industriestandort auf Vallourec-Fläche ist abzusichern

Sowohl der OB als auch Vertreter der drei großen Fraktionen CDU, Grüne und SPD äußerten ihren Verdruss darüber, dass Vallourec und Logicor in den vergangenen Monaten wenig Kompromissbereitschaft an den Tag gelegt hätten. OB Buchholz etwa beklagte, dass Vallourec trotz seiner persönlichen Bitte Anfang des Jahres den Gesprächsfaden nicht wieder aufgenommen habe, um eine Lösung zu finden, die die Interessen beider Seiten (Stadt- und Wirtschaftsentwicklung am Standort versus Erlösinteresse des Konzerns) berücksichtigt. Hierzu betonte Björn Maue von den Grünen, dass es für seine Partei den Industriestandort Mülheim durch entsprechende Ansiedlungspolitik auf der Vallourec-Fläche zu sichern gelte. Er sehe daran eine unverrückbare Leitlinie in Mülheims Wirtschaftspolitik.

Henner Tilgner (CDU) appellierte an Vallourec, noch mal ins Gespräch mit der Stadt zu gehen und sich für einen Kompromiss zu öffnen. Diesen Appell richteten FDP und BAMH auch an die Stadtspitze, für die der OB Gesprächsbereitschaft signalisierte.

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