Mülheim. Im April will die Stadt Mülheim ihr Vorkaufsrecht für das Vallourec-Industrieareal geltend machen, zum erstaunlichen Preis. Was dahinter steckt.

Am 27. April sollen die Würfel fallen. Dann soll Mülheims Stadtrat den Weg freigeben für die Übernahme des 33,5 Hektar großen Industrieareals, auf dem Rohrproduzent Vallourec Ende dieses Jahres den Betrieb einstellen will. Der Politik dürfte die Zustimmung nicht schwerfallen, das städtische Vorkaufsrecht geltend zu machen. Denn der Preis, zu dem die überschuldete Stadt sich die Wirtschaftsfläche an der Grenze von Styrum zu Dümpten einverleiben will, ist äußerst überschaubar.

Der eine oder andere mag sich an den symbolischen Kaufpreis für die „Neue Heimat“ erinnern: Der mit 17 Milliarden D-Mark verschuldete Wohnungsbaukonzern mit seinen 190.000 Wohnungen wechselte Mitte der 1980er-Jahre für 1 D-Mark den Besitzer. Nun ist aus der D-Mark der Euro geworden – und die Stadt Mülheim ruft nun tatsächlich auch jenen symbolischen Euro auf, mit dem sie die Vallourec-Fläche an sich reißen will.

Stadt Mülheim will Vallourec nur einen Euro für 33,5 Hektar Grundstück zahlen

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Der Unterschied zum Neue-Heimat-Deal von einst: Die Stadt würde keine Schulden von Vallourec übernehmen, aber dennoch eine Bürde. Die Stadt reklamiert zur Übernahme der Industriefläche hohe Kosten für einen Abriss der nicht mehr zeitgemäßen Industriegebäude, dazu – ebenfalls nicht beziffert – erhebliche Kosten für eine etwaige Altlasten-Sanierung.

Dies alles ist nachzulesen in einer vertraulichen Beschlussvorlage, die dieser Redaktion vorliegt und erstmals am Montag in der Bezirksvertretung 2 und im Finanzausschuss zur politischen Debatte steht. Am 27. April soll schließlich der Stadtrat darüber entscheiden, ob die Stadt ihr Vorkaufsrecht nach § 25 des Baugesetzbuches gegenüber dem Vallourec-Konzern geltend macht. Das Ziel der Stadt: Die Entwicklung der Wirtschaftsfläche nach ihren eigenen Vorstellungen.

Mülheim schließt Logistik-Ansiedlungen auf Vallourec-Areal aus

Hierfür hatte die Stadt nicht nur ihre Vorkaufsrechtsatzung im Dezember noch einmal geschärft, sondern auch bereits ein Bebauungsplanverfahren in Gang gesetzt, das bereits Flanken zur Entwicklung des Geländes setzt und seine außerordentliche Bedeutung für die Stadt- und Wirtschaftsentwicklung beschreibt. So ist darin etwa das Ziel formuliert, keine Logistik auf der Fläche zuzulassen. Stattdessen streben Stadtspitze und Politik die Ansiedlung neuer Betriebe an, die mehr Arbeitsplätze versprechen als Betriebe zum reinen Warenumschlag.

Auch will die Stadt das Firmenareal neu aufgliedern und entsprechend neu erschließen, um es kleinteiliger nutzbar zu machen. So will die Stadt zwischen den heutigen Werksbahngleisen und Schützen- sowie Gustavstraße im Westen des Areals eine industrielle Nutzung künftig ausschließen; in dieser Nähe zur Wohnbebauung soll nur noch nicht störendes Gewerbe Platz finden. An anderer Stelle sollen mittelgroße und kleinere Betriebe verschiedener Branchen, auch Industrie, ansiedeln können. Die Schienenanbindung soll Ausstattungsmerkmal am Standort bleiben.

So sehen die ersten Pläne der Stadt Mülheim für die Vallourec-Fläche aus.
So sehen die ersten Pläne der Stadt Mülheim für die Vallourec-Fläche aus. © funkegrafik nrw | Marc Büttner

Stadt Mülheim ist von Logicor-Konzept nicht überzeugt und lehnt diesen Käufer ab

Diese Ziele sehen Stadt und Politik nicht im Einklang mit den Plänen, die ein vom Vallourec-Konzern präsentierter Käufer jüngst noch einmal im Planungsausschuss vorgestellt hatte: Logicor, ein Logistik-Spezialist mit Sitz in Luxemburg, seit 2017 im Besitz des chinesischen Staatsfonds CIC. Vor der Planungspolitik hatten Logicor-Vertreter jüngst ihren Plan präsentiert, das Vallourec-Gelände dreigeteilt entwickeln zu wollen: für Industrie, Logistik und einen Gewerbepark mit Mieteinheiten ab 1000 Quadratmetern Fläche für mittelständische Unternehmen. Überzeugen konnten sie damit nicht.

Dem vertraulichen Papier zur Geltendmachung des städtischen Vorkaufsrechtes ist nun zu entnehmen, dass Logicor mit Vallourec einen Kaufpreis in Höhe von 40 Millionen Euro ausgehandelt hat. Da will die Stadt nun mit ihrem symbolischen Kaufpreis von nur einem Euro reingrätschen. Sie beruft sich dabei auf ein „unabhängiges Wertgutachten“, das sie zum Grundstück hat erstellen lassen, das aber nicht öffentlich einsehbar ist.

Das Vallourec-Aus in Mülheim – eine kleine Chronik:

Stadt Mülheim veranschlagt hohe Kosten für Abriss und Altlastensanierung

Zwischen der Autobahn A40 (oben) und den Stadtteilen Styrum (links) und Dümpten (rechts) liegt das Mülheimer Firmenareal von Vallourec.
Zwischen der Autobahn A40 (oben) und den Stadtteilen Styrum (links) und Dümpten (rechts) liegt das Mülheimer Firmenareal von Vallourec. © www.blossey.eu / FUNKE Foto Services | Hans Blossey

Werden für das benachbarte Mannesmann-Areal etwa Bodenrichtwerte von bis zu 100 Euro pro Quadratmeter ausgewiesen, was auf das Vallourec-Grundstück umgerechnet einen Wert von knapp 35 Millionen Euro bedeuten würde, so rechnet das Wertgutachten laut Darstellung der Stadtverwaltung einen solchen vermeintlichen Wert auf besagten Euro herunter: Zum einen wegen der erheblichen Kosten für einen Abriss aller Bestandshallen und -gebäude, zum anderen wegen „vermuteter Umweltschäden“.

Insgesamt kommt die Stadt zu dem Urteil: „Obwohl die vorliegenden orientierenden Altlastenuntersuchungen noch nicht ausreichen, um die Umweltschäden weitestgehend sicher schätzen zu können, wird deutlich, dass der Finanzierungsaufwand den Grundstückswert deutlich überschreiten wird.“ Heißt auch: Das Risiko zur Altlastensanierung unbekannten Umfangs würde allein zur Stadt übergehen. Zur Baureifmachung des Areals hatte der heimische Landtagsabgeordnete Jan Heinisch (CDU) nach Rückversicherung bei NRW-Wirtschaftsminister Karl-Josef Laumann allerdings eine 90- bis 95-prozentige Landesförderung in Aussicht gestellt.

Vallourec-Konzern könnte mit Klage gegen die Stadt Mülheim reagieren

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Die Stadt wird dem Vallourec-Konzern Ende des Monats, spätestens aber in der Frist bis zum 17. Mai aller Voraussicht nach anzeigen, ihm sein Grundstück für einen einzigen Euro abknüpfen und das 40-Millionen-Euro-Geschäft mit Logicor zunichtemachen zu wollen. Auf Antrag könnte Logicor die Frist noch einmal bis zum 17. Juli verlängern lassen, um Stadt und Politik doch noch ein Entwicklungsszenario nach deren Geschmack zu präsentieren – es darf allerdings als unwahrscheinlich gelten, dass sich Mülheims Politik in dieser kurzen Zeitspanne umstimmen ließe.

Andererseits könnte der französische Vallourec-Konzern versucht sein, das städtische Einschreiten rechtlich anzugreifen, um mit seiner Produktionsverlagerung nach Brasilien doch noch Millionen in die eigene Kasse spülen zu lassen – entweder über eine Klage gegen die Vorkaufsrechtsatzung oder gegen die gutachterliche Wertermittlung. Noch eine Option, für Mülheim ein Schreckensszenario: Vallourec stellt sich komplett stur und behält die Industriebrache nach der Betriebsstilllegung bei sich, ohne dass eine Entwicklung stattfindet.

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