Mülheim. Stahlrohr-Produzent Vallourec hat seine Absicht erklärt, seine Werke in Mülheim und Düsseldorf verkaufen zu wollen. 2400 Mitarbeiter bangen.

Die schlimmen Befürchtungen der Arbeitnehmerschaft sind wahr geworden: Der international aufgestellte Stahlrohrproduzent Vallourec will sich von seinen zwei letzten deutschen Produktionsstandorten trennen. Die Werke in Mülheim und Düsseldorf sind zum Verkauf ausgerufen. Insgesamt rund 2400 Beschäftigte bangen um ihre Zukunft.

Der Produzent nahtloser Stahlrohre erklärte seine Verkaufsabsichten am Mittwochabend mit der Präsentation der aktuellen Quartalszahlen. Sechs Monate gibt er sich dafür Zeit, ansonsten droht gar die Schließung der Werke. „Während unsere hocheffizienten Produktionszentren in Nordamerika, Brasilien und China es uns ermöglichen, von der besseren Marktdynamik zu profitieren, ist unser Geschäft in Deutschland trotz mehrerer Verbesserungsschritte immer noch unterdurchschnittlich“, erklärte der Verwaltungsratsvorsitzende des französischen Konzerns, Edouard Guinotte.

Vallourec will Verkaufsprozess für Werke in Mülheim und Düsseldorf sofort starten

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Um die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns auf den internationalen Märkten zu verbessern, starte Vallourec unverzüglich den Verkaufsprozess für seine deutschen Werke. Guinotte kündigte an, dass Vallourec zur Kompensation schon jetzt seine Produktionskapazitäten in Brasilien ausbauen werde, um weiter mit großen Volumina an Premium-Stahlrohren am Weltmarkt präsent sein zu können. Mit einer Konzentration moderner Produktionseinheiten in Brasilien verspreche man sich einerseits mehr Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität, andererseits auch die Einsparung großer Mengen an CO2.

Die Rentabilität der deutschen Walzwerke ist laut Wertung der Konzernführung langfristig nicht gegeben. Die Gewinnmarge reiche nicht, um die Fixkosten zu decken. Der Wettbewerb mit der Billigkonkurrenz auf den internationalen Märkten lasse auch keine Wende erwarten. Trotz mehrerer Restrukturierungsprogramme hätten sich für die deutschen Standorte in den Jahren seit 2015 Verluste in Höhe von mehr als 700 Millionen Euro aufgetürmt, heißt es seitens der Unternehmensführung.

Vallourec-Unternehmensführung: Produktion in Brasilien um 25 Prozent günstiger

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Laut Konzernführung haben die brasilianischen Werke schon heute enorme Vorteile gegenüber den deutschen. Die brasilianischen Anlagen gehörten „zu den wettbewerbsfähigsten der Welt“, seien „deutlich kostengünstiger“. Als Beispiel nennt Vallourec, dass man bei Herstellung und Versand von Rohren mit mittlerem Durchmesser aus Brasilien in den Nahen Osten rund 25 Prozent weniger Kosten habe, als wenn man in Deutschland produziere.

Den Verkauf der traditionsreichen deutschen, ehemaligen Mannesmann-Standorte einzuleiten, sei „eine schwere Entscheidung“ gewesen, so Verwaltungsratschef Guinotte, „Wir werden jetzt alle Anstrengungen unternehmen, um einen neuen, geeigneten Eigentümer mit einem überzeugenden Konzept für eine nachhaltige Zukunft der deutschen Standorte zu finden.“

Dass dies ein schweres Unterfangen werden dürfte, scheint klar, will Vallourec doch gleichzeitig die Produktionskapazitäten in Brasilien erhöhen und ist der Weltmarkt der Gas- und Ölindustrie auch aufgrund der aktuellen Wirtschafts- und Klimakrise unter erheblichem Anpassungsdruck. Prof. Dr. Herbert Schaaff, Arbeitsdirektor von Vallourec Deutschland, äußerte sich dennoch optimistisch: „Wir verfügen hier am Standort NRW über technische und personelle Stärken, die gerade auch mit Blick auf Zukunftstechnologien für potenzielle Käufer attraktiv sein könnten.“

IG Metall und Betriebsräte fordern Zukunftstarifvertrag zum Erhalt der Werke und Jobs

Die Vallourec-Gruppe im Profil

Vallourec ist nach eigenen Angaben ein Marktführer für Premium-Rohrlösungen für die Energiemärkte und Industrieanwendungen. Die Produkte und Services kommen etwa bei Öl- und Gasbohrungen zum Einsatz, bei ausgefallenen Architekturprojekten sowie in leistungsstarken Maschinen und Anlagen.

1997 war Vallourec mit den Mannesmannröhren Werken in das Joint-Venture Vallourec & Mannesmann Tubes (V&M Tubes) eingestiegen und so zum Weltmarktführer für nahtlose Stahlrohre aufgestiegen. Es folgten umfangreiche Zukäufe und Investitionen, insbesondere in Brasilien und den USA. 2005 übernahm Vallourec auch die Anteile der Mannesmannröhren Werke bei V&M Tubes, 2013 firmierte das Unternehmen um zur Vallourec Deutschland GmbH.

In über 20 Ländern arbeiten rund 17.000 Mitarbeiterinnen uns Mitarbeiter für den französischen Konzern. Die Vallourec Deutschland GmbH mit Produktionsstätten in Düsseldorf-Rath und Mülheim-Dümpten ist eine Tochtergesellschaft.

Vallourec beschäftigt in Mülheim laut IG Metall 750 und in Düsseldorf-Rath 1800 Mitarbeiter, um nahtlose Stahlrohre für insbesondere für die Öl- und Gasindustrie, aber auch für Anwendungen im Maschinen- und Stahlbau zu fertigen. Vallourec selbst spricht von insgesamt 2400 betroffenen Mitarbeitern. 685 Kilotonnen pro Jahr beträgt die Produktionskapazität zusammengenommen in den drei deutschen Walzwerken, von denen eins seit mehr als 50 Jahren in Dümpten in Betrieb ist. Schon 2020 hatte Vallourec sein Rohrwerks in Düsseldorf-Reisholz geschlossen. 1400 Mitarbeiter mussten seinerzeit gehen.

IG Metall und Betriebsrat hatten unlängst bereits angekündigt, zur Sicherung der deutschen Standorte, die insbesondere die Märkte in Europa, Afrika und dem Nahen Osten bedienen, einen Zukunftstarifvertrag mit der Arbeitgeberin aushandeln zu wollen. Schon in der kommenden Woche soll eine Tarifkommission gebildet werden. Ein harter Arbeitskampf ist zu erwarten.

Mülheims IG Metall hofft auf fairen Verkaufsprozess

Der Weg über Verhandlungen zu einem Zukunftstarifvertrag ermögliche es der Arbeitnehmerseite, frühestmöglich in Gespräche mit der Konzernleitung zu kommen – und nicht erst, wenn es um Verhandlungen zu Sozialplan und Interessenausgleich gehe, so der Mülheimer IG-Metall-Sekretär Dirk Horstkamp.

Das Werksgelände von Vallourec in Mülheim-Dümpten aus der Luft. Der Vallourec-Konzern will sich von dem ehemaligen Mannesmann-Werk trennen und innerhalb der nächsten sechs Monate einen Käufer finden. Findet sich keiner, droht gar die Schließung.
Das Werksgelände von Vallourec in Mülheim-Dümpten aus der Luft. Der Vallourec-Konzern will sich von dem ehemaligen Mannesmann-Werk trennen und innerhalb der nächsten sechs Monate einen Käufer finden. Findet sich keiner, droht gar die Schließung. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Der Gewerkschafter brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass die Geschäftsführung von Vallourec Deutschland um Arbeitsdirektor Schaaff an Bord bleibe, um nach einem geeigneten Investor Ausschau zu halten. Einem Investor, der nicht darauf aus sei, die deutschen Werksstandorte „einfach plattzumachen, um die Produktionskapazitäten zu übernehmen“, sondern einen, der gewillt sei, Standorten und Mitarbeitern eine Perspektive zu geben. „Es geht jetzt darum, uns einzumischen in den Verkaufsprozess und die Weichen zu stellen für eine langfristige Zukunft der deutschen Werke“, so Horstkamp.

Arbeitsdirektor Schaaf wird am Freitag zu einer Sitzung der IG-Metall-Vertrauensleute in Mülheim erwartet. Eine für Montag einberaumte Mitarbeiterversammlung am ISS Dome in Düsseldorf hat die Geschäftsführung von Vallourec Deutschland laut IG Metall aufgrund der Corona-Entwicklung als Präsenzveranstaltung abgesagt. Sie soll digital stattfinden. Betriebsräte und IG Metall geben sich damit aber nicht zufrieden. Sie haben kurzerhand einen Protestzug an der Düsseldorfer Vallourec-Zentrale organisiert – mit Übertragung auf einer Großleinwand.