Mülheim. Für die „Parkstadt“ auf altem Tengelmann-Areal plant die Stadt Mülheim mit speziellem Baurecht. Bei Anwohnern schrillen da die Alarmglocken.

Mehr Lärm, mehr Enge, mehr Höhe? In der Planung für die Parkstadt auf dem ehemaligen Tengelmann-Areal hat die Stadtverwaltung auf ein neues Instrument des Städtebaurechts zurückgegriffen, das all dies möglich macht. Was dies bedeutet, haben die Stadtplaner bislang aber nie öffentlich erläutert. Die Gegner einer allzu wuchtigen Parkstadt-Bebauung sind alarmiert.

Im politisch auf den Weg gebrachten Entwurf für einen Bebauungsplan aus Mai 2022 ist ein verschwindend mickriger Satz enthalten, leicht zu überlesen: „Wesentliches Ziel der Planung ist es, ein Urbanes Gebiet (MU) als durchmischtes Stadtquartier zu schaffen, in dem Wohnen, Arbeiten, Bildung und Erholung miteinander vernetzt werden und urbanes Leben entstehen soll“, steht da solitär im 28-seitigen Darlegungstext. Eine Erläuterung, was ein „Urbanes Gebiet“ denn sein soll: Fehlanzeige.

Parkstadt soll ein „Urbanes Gebiet“ werden – das gibt es in Mülheim bisher nicht

Lesen Sie auch:Wohnen in Mülheim: So steht es um die größten Bauprojekte

Dabei gibt es im Mülheimer Baurecht ein solches „Urbanes Gebiet“ überhaupt noch gar nicht. Erst im Mai 2017 hat der Gesetzgeber diese neue Gebietskategorie ins Städtebaurecht aufgenommen. Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte damit seinerzeit darauf abgezielt, eine „nutzungsgemischte Stadt der kurzen Wege“ möglich zu machen – in Innenstadtlagen oder bei der Umnutzung ehemaliger Gewerbe- und Industrieflächen. Ziele waren, in der neuen Gebietskategorie ein Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten leichter zu ermöglichen und mittels Nachverdichtung zu vermeiden, dass deutschlandweit weiter täglich Flächen im Ausmaß von 30 Hektar neu versiegelt würden. In den Gebieten sollen Wohngebäude, Büros, Gewerbebetriebe sowie Sport- und soziale Einrichtungen zulässig sein.

Dieses Modell präsentierte Investor Soravia als Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs für die „Parkstadt Mülheim“. Dass bis zu 60 Meter hohe Wohntürme entstehen könnten, ist hierbei kaschiert worden.
Dieses Modell präsentierte Investor Soravia als Ergebnis eines städtebaulichen Wettbewerbs für die „Parkstadt Mülheim“. Dass bis zu 60 Meter hohe Wohntürme entstehen könnten, ist hierbei kaschiert worden. © Soravia, Studio Vlay Streeruwitz

In den Parkstadt-Planungen will Mülheim nun auf diese neue Möglichkeit zurückgreifen, für das Projekt „Mülheim-West“ und für einen Teil des Lindgens-Areals am Kassenberg ist eben solches vorgesehen. Dabei unterscheidet sich jenes „Urbane Gebiet“ wesentlich von einem „Mischgebiet“, das bislang gewählt wurde, um via Baurecht Wohn- und Gewerbenutzung in einem Quartier in ein konfliktfreies Nebeneinander zu bringen.

Fast dreimal so viel Geschossfläche möglich im Vergleich zu anderen Gebieten

Ob Misch- oder „Urbanes Gebiet“: Die Unterschiede sind im Detail zu entdecken – und dürften kritische Anwohner im Umfeld des ehemaligen Tengelmann-Areals zusätzlich aufschrecken. Denn in Bezug auf bauliche Dichte, auf Nutzungsmischung und auch Lärmschutz sind Investoren und Entwickler in Urbanen Gebieten von einigen Fesseln befreit. Beispiel Baudichte: Dürfen in einem Mischgebiet maximal 60 Prozent der Fläche bebaut werden, so sind es in einem Urbanen Gebiet schon 80 Prozent. Es darf also wesentlich dichter gebaut werden.

[+++ Haus, Wohnung, Grundstück - Alles zum Wohnen und Bauen in Mülheim +++]

Es darf auch höher werden, die Diskussion um bis zu 60 Meter hohe Hochhäuser in der Parkstadt wird ja schon mit viel Groll bei Anwohnern geführt. In einem Urbanen Gebiet ist es möglich, mit Bezug auf die Grundstücksfläche in der Summe dreimal so viel Wohn- und Gewerbefläche zu schaffen. Bauten dürfen folglich deutlich höher hinausragen als in einem Mischgebiet möglich, wo jener Faktor nicht 3, sondern nur 1,2 beträgt (sogenannte Geschossflächenzahl).

Im Urbanen Gebiet wäre mehr Lärmbelastung zulässig

Auch interessant

Auch hinsichtlich der Lärmbeschränkungen sind die Hürden für Investoren niedriger angesetzt. Dürfte von einem Mischgebiet eine Lärmbelastung nur in einem Rahmen von tagsüber 60 dB(A) nach außen in die umliegenden Quartiere dringen, sind in einem „Urbanen Gebiet“ zwischen 6 und 22 Uhr bis zu 63 dB(A) zulässig. Eine Erhöhung des Schallpegels um 3 dB(A) entspricht der Verdopplung des Schalls, der auf ein Wohngebiet trifft. Etwa wenn über eine Straße 6000 statt 3000 Fahrzeuge pro Tag fahren. Wobei einschränkend festzustellen ist, dass selbst auf zahlreichen kleineren Straßen durch Mülheimer Wohngebiete der Wert von 60 dB(A) nicht eingehalten wird.

Beim Netzwerk „Parkstadt Mülheim - aber richtig!“ schrillen bei all dem weitere Alarmglocken. Reiner Geßwein hat sich mühsam in die, wie er es nennt, „irre komplexe“ Materie eingearbeitet, er sieht auf sich und seine Nachbarn in Broich und Speldorf eine Verdichtung zukommen, „die Mülheim noch nicht gesehen hat“. Werde es zu einer Einstufung des Parkstadt-Areals als „Urbanes Gebiet“ kommen, wären Investor Soravia größtmögliche Freiheiten gewährt, um sein Projekt renditemaximiert umzusetzen. Auch hinsichtlich der Flexibilität, später noch aus Gewerbe- lukrativere Wohnflächen zu machen.

Parkstadt Mülheim – hier weitere Berichte

„Die Parteien sollten endlich mal rauskommen und sich positionieren“

Joachim Mahrholdt besitzt eine Immobilie am Veilchenweg, vis-à-vis zum ehemaligen Tengelmann-Gelände in Mülheim. Er befürchtet eine viel zu hohe und dichte Bebauung in der „Parkstadt“.
Joachim Mahrholdt besitzt eine Immobilie am Veilchenweg, vis-à-vis zum ehemaligen Tengelmann-Gelände in Mülheim. Er befürchtet eine viel zu hohe und dichte Bebauung in der „Parkstadt“. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

„Wir begreifen es gerade erst an der Oberfläche“, vermisst Geßwein wie sein Mitstreiter Joachim Mahrholdt, dass sich Mülheims Ratsfraktionen bislang im Wesentlichen scheuen, sich hinsichtlich der Parkstadt-Planungen öffentlich zu positionieren. Mit allen großen, auch den meisten kleinen Fraktionen habe man als Netzwerk schon Gespräche geführt. Für beide ist es unverständlich, warum etwa die Grünen bei mehr Lärm, Enge und Dichte nicht in die Kritik gehen. Warum die CDU nicht im Sinne der Eigentümerinnen und Eigentümer den Wertverlust während einer langwierigen Bauzeit thematisiert. Warum die SPD nur relativ leise mal nachgefragt hat, ob denn eine Quote für sozialen Wohnungsbau festgeschrieben wird. . . „Die Parteien sollten endlich mal rauskommen und sich positionieren“, fordern Geßwein und Mahrholdt.

Sie und ihre Netzwerk-Mitstreiter glauben auch nicht, dass sich die Stadtverwaltung einen Gefallen damit tut, Investor Soravia mit größtmöglicher Flexibilität auszustatten und damit auch größtmöglicher Profit-Aussicht. Die Stadtplanung sei personell gar nicht in der Lage, ein „Urbanes Gebiet“ auch in Zukunft zu managen, glaubt Mahrholdt. „Wir haben aktuell nur einen Gewinner und zwei Verlierer“, stellt Geßwein fest und formuliert das Ziel des Netzwerks, das Stadtentwicklungsprojekt entschieden darauf auszurichten, dass auch Stadt und Bürger am Ende als Gewinner dastehen. An Alternativplänen arbeite das Netzwerk schon. Es fehlten aber Grundlagendaten, die die Stadt zur Verfügung stellen müsse.

Mülheims Planungsdezernent versucht zu beschwichtigen: Alles sei noch möglich

Planungsdezernent Felix Blasch äußerte sich am Freitag zur Sache. Die weitere Planung werde ergeben, ob tatsächlich flächig ein Urbanes Gebiet realisiert werde, sagte er und hielt etwa offen, ob einzelne Bereiche auf dem Parkstadt-Areal mit entsprechendem politischen Votum auch anderweitig festgesetzt werden, etwa als reines Wohngebiet oder eben doch als Mischgebiet mit seinen Beschränkungen hinsichtlich Höhe und Dichte der Bebauung sowie der zulässigen Lärmemission.

Blasch stellte klar, die Baudichte auch unabhängig von der Gebietsklassifizierung durch Festsetzungen im Bebauungsplan steuern zu können – etwa zu einer maximalen Gebäudehöhe, durch eine Beschränkung überbaubarer Flächen und anderem. Er verwies zusätzlich darauf, dass sämtliche noch zu erarbeitenden und öffentlich zu präsentierenden Gutachten auch die Auswirkungen auf die umliegenden Quartiere aufzuschlüsseln hätten – und das entsprechend ihrer jeweils eigenen baurechtlichen Ausprägung als allgemeines oder reines Wohngebiet.