Mülheim. Mülheims Stadtkämmerer hat jetzt in vertraulicher Runde mit der Politik den Gesamtschaden benannt, den die Stadt mit ihren Wetten verursacht hat.
Die Bürger sehnen sanierte Schulen herbei, wünschen sich neben dem Wennmann- ein zweites großes Bad links der Ruhr. Das VHS-Gebäude marodiert vor sich hin, auch etwa der Bismarckturm. Für all dies ist in der überschuldeten Stadt nicht genug Geld da. Millionen aber hätte die Stadt zur Hand haben können, hätte sie sich zu Beginn des Jahrtausends nicht auf Wettgeschäfte mit Banken eingelassen. Jetzt zog Kämmerer Frank Mendack in nicht-öffentlicher Sitzung des Finanzausschusses Bilanz.
Wie berichtet, hatte Mendack der Finanzpolitik ein Szenario präsentiert, mit dem Mülheim zum nächstmöglichen Zeitpunkt den Sofortausstieg aus verbliebenen Wettgeschäften wählen könnte. Noch bis 2026 würden die unheilvollen, mit Millionenschaden für die Stadt behafteten Geschäfte sonst noch weiterlaufen. Die zwei noch laufenden Wetten auf die Entwicklung des Drei-Monats-Euribor, eines Interbankenzinses, sind Ausläufer eines Ausstiegsszenarios, das die Stadt und Mendacks Vorgänger, der mittlerweile geschasste Ruhrbahn-Chef Uwe Bonan, gewählt hatten.
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Informierte Kreise: Mülheims Finanzpolitik einstimmig für Sofortausstieg
Dem Vernehmen nach ist Mülheims Finanzpolitik Mendack nun einstimmig gefolgt; den Sofortausstieg muss aber noch der Stadtrat absegnen – das wird aller Voraussicht nach am 1. Juli auch so sein. Mendack hatte aus den Jahresüberschüssen zuletzt eine Rückstellung in Höhe von gut 9,6 Millionen gebildet, um unter das Wettdesaster endlich einen Strich machen zu können und durch diese Risikominimierung nochmals eine bessere Einstufung hinsichtlich der Kreditwürdigkeit Mülheims bei Banken zu erlangen.
Kern des Sofortausstiegs ist eine Wette, die 2016 von der Ersten Abwicklungsanstalt (EAA) als Nachfolgerin der West LB in Gang gesetzt worden ist, ohne dass sich die Stadt noch dagegen hätte wehren können. Auf neun Millionen Euro soll Mendack den eingetretenen und noch zu prognostizierenden Schaden aus dieser Wette gegenüber der Finanzpolitik taxiert haben.
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Stadt Mülheim musste zuletzt auf utopisch hohe Zinssätze wetten
Stadt Mülheim zog Klagen zurück
Nach langem Zögern hatte sich die Stadt nach politischem Votum 2013 und 2014 zu Klagen gegen die ehemalige West LB und die Commerzbank wegen der Wettgeschäfte entschlossen. Zu einer gerichtlichen Aufarbeitung aber kam es nicht, weil die Stadt Vergleichsangebote der Banken annahm.
Laut damaligen Informationen soll die Commerzbank wegen vergleichbar kleinerer Wetten rund 180.000 Euro an die Stadt gezahlt haben (ein Drittel dessen, was die Schadenersatzklage gefordert hatte). Für den Vergleich mit der West LB-Abwicklerin wurde schließlich ausgehandelt, dass fünf Millionen Euro an die Stadt fließen sollten (bei 15 Millionen Euro Verlust plus x schon im Jahr 2016).
Das Problem: Die Stadt war 2016 trotz Niedrigzinsphase dazu verdonnert, auf Basis eines nicht mal zur Tilgung vorgesehenen Kredits in Höhe von 20 Millionen Euro auf einen Zinssatz des Drei-Monats-Euribor von mehr als 4,98 Prozent zu wetten. Tatsächlich aber rutschte der Zinssatz zuletzt gar ins Negative. In einem Vergleich mit der EAA war es der Stadt nicht gelungen, diese Wettoption aus dem Giftschrank zu bekommen.
Über Jahre schon verschlingt die Wette so Millionen. Mendack will sich nun freikaufen. Erwartbar wird er dabei die Wettverluste zwar nicht merklich mindern, weil sich die EAA auch den Ausstieg noch versilbern lassen wird. Doch Mendack verspricht sich eben mindestens ein besseres Standing am Kreditmarkt, sollte Mülheim den Klotz endlich vom Bein haben. Mitte Mai hatte die EAA dafür laut einem vertraulichen Papier, das dieser Redaktion vorliegt, einen Preis von 8,8 Millionen Euro aufgerufen.
Alles zusammen hat Mendack laut informierter Kreise nun erstmals auch eine umfängliche Schadensbilanz für die Stadt gezogen: Mit einem Sofortausstieg hätte Mülheim am Ende der fast 20 Jahre laufenden Wetten rund 26 Millionen Euro verzockt, heißt es. Geld, das besser in Steine investiert gewesen wäre.