Mülheim. Ab Juni sollen bis zu 650 Flüchtlinge in einer Landeseinrichtung in Mülheim-Raadt unterkommen. Eine Bürgerfrage: Wie lange soll das gehen?

Lange haben die Raadter Bürgerinnen und Bürger auf Informationen aus erster Hand zur Flüchtlingsunterkunft im alten T-Systems-Gebäude an der Parsevalstraße warten müssen. Bei einer von Polizei und Security abgesicherten Bürgerversammlung mit Vertretern von Land, Stadt und Polizei platzte nun die Aula der Luisenschule aus allen Nähten, so dass einige Anwohner gar nicht mehr eingelassen werden konnten. Hier als Frage-und-Antwort-Stück zu den Dingen, die Bürger aus Raadt bei der unaufgeregt verlaufenen Veranstaltung wissen wollten.

Was für eine Einrichtung wird es geben?

Im ehemaligen T-Systems-Bürogebäude will das Land NRW möglichst bis zum 1. Juni eine Zentrale Unterbringungseinrichtung (ZUE) eröffnen, in der Asylsuchende vier bis maximal sechs Monate unterkommen sollen, bevor sie in die kommunale Unterbringung weitergeleitet werden. Die Menschen werden über die Erstaufnahmeeinrichtungen im Regierungsbezirk Düsseldorf (Standorte in Mönchengladbach und Essen) nach Mülheim kommen. Geplant ist in Raadt die Unterbringung von bis zu 650 Menschen. Aktuell hält das Land acht weitere ZUE im Regierungsbezirk vor – die größte Einrichtung dieser Art gibt es in Neuss für 1000 Menschen.

Welche Menschen werden kommen?

Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine würden es wohl eher nicht werden, sagte Henning Strohmeyer als Hauptdezernent der Bezirksregierung, weil diese „in der Regel keinen Asylantrag stellen“. Man gehe aktuell davon aus, dass „ein erheblicher Teil“ der unterzubringenden Menschen Syrer und Afghanen sein werden. Die Bezirksregierung will nach eigener Aussage auf eine „gemischte Belegung“ achten, auch mit Familien, Frauen und Jugendlichen. Die Unterbringung sei gleichwohl in getrennten Wohnbereichen im Haus geplant.

Wie lange soll es die ZUE in Raadt geben?

Der Düsseldorfer Regierungspräsident Thomas Schürmann kam eigens nach Mülheim, um bei einer Bürgerversammlung zu erläutern, warum das Land im kleinen Mülheimer Stadtteil Raadt eine Landeseinrichtung zur Unterbringung von Flüchtlingen schaffen wird.
Der Düsseldorfer Regierungspräsident Thomas Schürmann kam eigens nach Mülheim, um bei einer Bürgerversammlung zu erläutern, warum das Land im kleinen Mülheimer Stadtteil Raadt eine Landeseinrichtung zur Unterbringung von Flüchtlingen schaffen wird. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Erst durch einige Nachfragen der Bürger sind die Details hierzu deutlich geworden. Das Land hat mit dem neuen Eigentümer der Büroimmobilie einen Mietvertrag mit der Dauer von zwei Jahren abgeschlossen. Hinzu kommt die Option, zweimal um jeweils ein Jahr zu verlängern. Fixiert ist dabei laut Regierungspräsident Thomas Schürmann, dass die Stadt Mülheim einer Vertragsverlängerung zustimmen muss. Ein Thema, das Mülheims Politik dann womöglich zum Jahreswechsel 2024/25, sechs Monate vor Auslaufen des Mietvertrages, beschäftigen wird.

Landeseinrichtung in Mülheim-Raadt – unsere bisherige Berichterstattung

Oberbürgermeister Marc Buchholz bekräftigte dabei den Willen der Stadtverwaltung, die ZUE in Raadt im Sommer oder spätestens im Herbst 2025 wieder zu räumen, wenn auf dem Gelände der ehemaligen Stadtgärtnerei am Hauptfriedhof neue Unterkünfte gebaut sein sollen. Sein Wort darauf geben wollte Buchholz freilich nicht, so sagte der OB auf Aufforderung eines Bürgers: „Ich weiß genauso wenig wie Sie, wie die Situation in 18 Monaten sein wird.“ Buchholz verwies dabei auf die vielen Krisenherde der Welt und die Fluchtbewegungen, etwa aus dem Erdbebengebiet im Grenzgebiet von der Türkei und Syrien.

Er hoffe aber, dass das zur Jahreswende von Mülheims Politik abgesegnete Unterbringungskonzept ausreichen werde, um allen Geflüchteten in Zukunft ein Dach über dem Kopf zu bieten, ohne weitere Turnhallen belegen zu müssen oder in Raadt an zwei Standorten (Parsevalstraße und alte Stadtgärtnerei) für längere Dauer 1200 bis 1400 Geflüchtete unterzubringen. Ein Bürger äußerte mit Blick auf wissenschaftliche Studien zu Fluchtentwicklungen Zweifel an Buchholz’ Optimismus.

Warum eine solche Einrichtung gerade im kleinen Raadt?

OB Marc Buchholz machte klar, dass die Stadtverwaltung selbst der Bezirksregierung das Gebäude zur Flüchtlingsunterbringung empfohlen habe, nachdem man es inspiziert habe, um dort womöglich selbst eine Unterbringung zu organisieren. Nun trägt das Land die Kosten, die Hälfte der dort untergebrachten Menschen wird der Aufnahmeverpflichtung der Stadt gegengerechnet, so dass die überschuldete Stadt nicht selbst Plätze an anderer Stelle finanzieren muss.

Volles Haus in der Aula der Mülheimer Luisenschule: Hier informierten Vertreter von Bezirksregierung und Stadtverwaltung zur neuen Flüchtlingsunterkunft des Landes NRW, in der ab Juni bis zu 650 Geflüchtete unterkommen sollen.
Volles Haus in der Aula der Mülheimer Luisenschule: Hier informierten Vertreter von Bezirksregierung und Stadtverwaltung zur neuen Flüchtlingsunterkunft des Landes NRW, in der ab Juni bis zu 650 Geflüchtete unterkommen sollen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Kritik der Bürger blieb nicht aus. Der Stadtteil verfüge nicht über eine entsprechende Infrastruktur etwa mit Lebensmittelläden oder geeigneter ÖPNV-Anbindung, eine Frau rechnete vor, dass – wenn alle Flüchtlinge in NRW gleich verteilt untergebracht wären – der kleine Stadtteil Raadt mit seinen 4679 Einwohnern nur rund 58 Geflüchtete aufzunehmen hätte.

Dass nun 650 Geflüchtete hier aufgenommen werden sollen, erklärte Regierungspräsident Schürmann mit der „Eilbedürftigkeit“, weil Aufnahmekapazitäten nahezu erschöpft seien und man in Raadt ein intaktes Gebäude angeboten bekommen habe. Mülheims Sozialdezernentin Daniela Grobe betonte, dass es Ziel der Stadt bleibe, die Unterbringung möglichst gerecht über die Stadtteile zu verteilen. Aktuell seien im Bezirk Raadt, Menden, Holthausen nur elf Geflüchtete registriert.

Welche Dienstleistungen und Angebote wird es für die Geflüchteten geben?

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Die Menschen sollen über einen Dienstleister komplett versorgt werden. Es wird eine zentrale Küche für Mahlzeiten morgens, mittags und abends geben, dazu einen Kiosk, bei dem die Hausbewohner sich mit einem Taschengeld zusätzlich eindecken können. Es soll eine Kleiderkammer geben, eine Reinigung und eine Fahrradwerkstatt. Hier sollen Geflüchtete auch gegen eine kleine Aufwandsentschädigung wie bei Ein-Euro-Jobs mitarbeiten können.

Über den ganzen Tag verteilt soll es Sport- und Freizeitangebote geben, etwa Tischtennis, Yoga oder Billard. Es soll einen Fitnessraum geben, auch Sport- und Freizeitangebote im Freien soll ein Dienstleister machen, den die Bezirksregierung für die Betreuung sucht. Genannt wurden zudem Herren- und Damen- Cafés oder eine Nähstube. Weiterhin geplant sind eine Sozialstation, Gebetsräume oder ein „Raum der Stille“. Auch sollen vor Ort eine medizinische Versorgung und eine psychosoziale Betreuung für traumatisierte Menschen sichergestellt sein und soll es (für das Auftreten von Infektionskrankheiten) eine Isolierstation geben.

Welche Integrationsangebote wird es geben?

Es soll in der ZUE auch Integrationskurse, etwa für den ersten Spracherwerb, geben. Es soll auch eine Kinderbetreuung wie in einer Kita möglich gemacht werden, mit pädagogischem Fachpersonal und Spielplatz im Freien. Da die minderjährigen Asylsuchenden, die in Raadt leben werden, noch nicht der Schulpflicht unterstehen, will die Bezirksregierung mit Lehrerinnen und Lehrern vor Ort ein schulisches Bildungsangebot machen – nach den Standards der Regelschulen, wie Hauptdezernent Strohmeyer betonte.

Welches Sicherheitskonzept gibt es?

Marcel Weber, Dezernent der Bezirksregierung Düsseldorf.
Marcel Weber, Dezernent der Bezirksregierung Düsseldorf. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

„Es kommt niemand rein oder raus, ohne an der Pforte vorbeizukommen“, kündigte Marcel Weber von der Bezirksregierung an. Jeder Bewohner der Einrichtung bekomme eine Chipkarte, mit der nachzuhalten sei, wann er sich in oder außerhalb der ZUE aufhalte. Es werde Eingangs- und Ausgangskontrollen geben. Auf Nachfrage einer Bürgerin hieß es, dass Ehrenamtler aber nicht bei jedem Besuch ihre Personalien prüfen lassen müssten. Für sie werde es Besucherausweise geben, um zügig eingelassen zu werden. Zu sämtlichen Zeiten werde es Security im Haus geben.

Die Sicherheit auch für die Anwohner im nahen Umfeld interessierte viele bei der Bürgerversammlung. „Können Kinder einfach weiter auf der Straße spielen?“, drückte etwa die Mutter einer neunjährigen Tochter ihre Sorge vor „Alleinreisenden ohne Papiere“ aus. Vertreter der Bezirksregierung, auch Alexander Prim als Chef der Mülheimer Polizeiinspektion versuchten den Anwohnern jene Ängste zu nehmen. Es gebe keinerlei Erkenntnisse, dass die Zahl der Straftaten oder von Übergriffen im Umfeld solcher Flüchtlingsunterkünfte mit Inbetriebnahme anwachse. Das etwa sei auch in Rheinberg so, wo eine ZUE ähnlich wie in Raadt ganz nah an einer Wohnsiedlung etabliert sei.

Prim kündigte an, dass die Polizei vermehrt Streife fahren werde in Raadt, auch würden Bezirksbeamte verstärkt den Austausch mit Bürgern suchen. „Wir werden aufmerksam sein und für Ihre Sicherheit sorgen“, sagte er. Ständig sollen Einrichtungsleitung und Polizei Kontakt halten.

Mit Blick etwa auf die Flüchtlingseinrichtung in Essen-Schuir sagte Prim, dass die Polizei dort sehr wohl im Schnitt jeden zweiten Tag im Einsatz sei, meist aber nicht wegen Straftaten, sondern etwa, weil es Fehlalarme oder andere Hilfsgesuche gebe. Im Saarner Flüchtlingsdorf sei die Polizeipräsenz noch weniger gefordert. Die meisten Straftaten, die man in Flüchtlingseinrichtungen registriere, fänden a) innerhalb der Einrichtungen statt und gingen b) auf eine sehr kleine Gruppe von Übeltätern zurück. Würden „Störer“ identifiziert, ist laut Bezirksregierung nach einer „Gefährderansprache“ mit der Polizei eine Verlegung in eine andere Einrichtung möglich.

Mülheim-Raadt: Weitere Themen aus dem Stadtteil

Welches ehrenamtliche Engagement wird möglich gemacht?

Der Dienstleister, den die Bezirksregierung aktuell per europaweiter Ausschreibung für die Betreuung der geflüchteten Menschen sucht, soll später auch ehrenamtliches Engagement in der Einrichtung ermöglichen und koordinieren. Noch zucken die Vertreter der Bezirksregierung allerdings mit den Schultern, werden sie gefragt, ob sie schon aktiv auf Mülheimer Organisationen des Ehrenamtes oder der Flüchtlingshilfe zugegangen seien. Über die Kontaktmöglichkeiten (siehe unten) könnten sich Ehrenamtler und Organisationen aber schon melden, hieß es. Laut Sozialdezernentin Grobe liegen auch der Stadt schon Angebote vor. Man spreche bereits im Arbeitskreis Wohlfahrtspflege zum Thema, auch mit dem Centrum für bürgerschaftliches Engagement.

Gigi Merten, eine stadtbekannt umtriebige, ehrenamtlich tätige Seniorin, appellierte an die Bürger, sich einzubringen, um die Integration der Geflüchteten zu ermöglichen. „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“, warb sie dafür, Kontakt zu den Menschen in der Einrichtung zu suchen; sie habe etwa bei ihrem Engagement im Saarner Flüchtlingsdorf „ganz herzliche“ Menschen kennengelernt. Es gelte das Ehrenamt zu unterstützen, so Merten.

Wie können Raadter Bürger Kontakt aufnehmen?

Die Bezirksregierung als Betreiberin will ab sofort ansprechbar sein für Bürger, die weitere Informationen wünschen oder etwa ihr ehrenamtliches Engagement anbieten wollen. Informationen finden sich auf der Webseite www.brd.nrw.de, eine Kontaktaufnahme ist auch via Mail an ZUE-Muelheim@brd.nrw.de oder über die Rufnummer 0211 475 20 10 möglich.

Der Dienstleister, der vor Ort mit der Betreuung der Menschen beauftragt sein wird, soll auch einen „Umfeldmanager“ vorhalten, der für Anwohner aus dem Umfeld der ZUE, für Vereine und Organisationen ansprechbar sein soll. OB Marc Buchholz kündigte darüber hinaus das Angebot an Bürger an, monatlich zu einem „Jour fixe“ einzuladen. Auch könne es für Bürger womöglich im Mai Hausführungen geben.