Mülheim. Daria und Alina gehörten zu den ersten Ankömmlingen in Mülheim. Was hat sich für sie seither verändert? Wie blicken sie in die Zukunft?

Genau vor einem Jahr, am 24. Februar 2022, startete Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In den darauf folgenden Wochen flohen Hunderttausende Ukrainerinnen und Ukrainer ins Ausland, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Viele, wie Daria (32) aus Kiew und Alina (33) aus Charkiw leben seit März 2022 getrennt von ihrer Heimat. Wie fühlt sich ihr neues Leben in Deutschland an, was hat sich für sie seit Kriegsbeginn verändert, wollten wir von den beiden jungen Frauen wissen. Das Gespräch in den Räumen der VHS haben wir auf Deutsch und Russisch geführt.

Daria war zuerst bei einer Gastfamilie untergebracht, Alina in der Flüchtlingsunterkunft in der Mintarder Straße. Einen winzigen Raum hatten sie, ihr Mann und ihre zwei Kinder da für sich, drei Monate lang. Trotzdem seien sie froh gewesen: Nach einer Woche Flucht waren sie endlich in Sicherheit. Darias Mann dagegen musste in Kiew bleiben. Er wurde nicht eingezogen, darf das Land aber nicht verlassen. Sie ist deswegen allein mit ihrem Kind nach Mülheim gekommen.

Kurz nach Ankunft in Mülheim besuchen die beiden Frauen bereits einen Sprachkurs

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Beide Frauen leben jetzt in Wohnungen in Dümpten und Heißen, nicht allzu weit von einander entfernt. Im Alltag unterstützen sie sich gegenseitig. Darias Kind ist mittlerweile eineinhalb Jahre alt. Ihre beiden Eltern, die jetzt auch in Mülheim leben, kümmern sich um das Kind. Am Anfang sei es sehr schwer gewesen, sie habe das Baby immer bei sich gehabt. Und doch musste sie ihr neues Leben in Deutschland ja erst organisieren – ganz auf sich gestellt kein leichtes Unterfangen.

Die beiden Frauen gehörten zu den ersten, die sich im Frühjahr 2022 bei der VHS nach Sprachkursen erkundigten. Sie haben dann zunächst die ,Erste-Schritte-Kurse’ besucht und sind dann, sobald das möglich war, in einen Integrationskurs gewechselt. Auch Darias Eltern, beide um die 60, machen jetzt einen Sprachkurs. Sie haben die Unterrichtszeiten extra so gelegt, dass sich einer immer um das Kind kümmern kann. Zum ersten Mal bietet die VHS jetzt auch Teilzeitkurse an. Für die beiden jungen Frauen mit Familie ist das ideal, auch wenn sich ihr Abschluss dann etwas verzögert. Im November werden sie das Sprachniveau B1 erreicht haben. Im Berufsleben gilt es als Zugangsvoraussetzung.

Ein Leben mit vielen Ungewissheiten und einer Portion Pragmatismus

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Beide Frauen haben in der Ukraine bereits Berufs- bzw. Studienabschlüsse gemacht. Daria ist Bühnenbildnerin und Fotografin, Alina ist ausgebildete Friseurin und hat einen Abschluss im Bereich Bautechnik. Den würde sie jetzt gern in Deutschland anerkennen lassen. Ob das etwas wird, muss sich noch zeigen. Aktuell wird ihr ukrainisches Diplom noch übersetzt. Nach fast einem Jahr in Mülheim, können sich beide Frauen vorstellen, dauerhaft in Deutschland zu leben.

Und doch planten sie von Tag zu Tag, verfolgten täglich die Ereignisse in der Heimat, sowohl in der ukrainischen, wie in der deutschen Berichterstattung. In Kiew herrscht ostentativ Alltag, im östlichen Charkiw gibt es häufiger Angriffe. Das gehöre für die Menschen jetzt eben auch zum Alltag, sagt Alina. Bei allen Ungewissheiten ist den Frauen klar, dass der Krieg so schnell jedenfalls nicht aufhören wird. Was ihnen helfe, nach vorne zu schauen, seien die Kinder, die schließlich großgezogen werden müssten, sagt Alina. Ihr „Großer“, wie sie ihn nennt, ist zwölf Jahre alt, geht in Mülheim zur Realschule, spielt Basketball und Tennis bei einem Essener Sportverein, hat dadurch viel Kontakt zu Gleichaltrigen aus Deutschland.

Die Ukrainerinnen sind Deutschland dankbar für die unbürokratische, schnelle Hilfe

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Alina und Daria bewegten sich dagegen weiter in ihrer Community. Kontakt zu Deutschen hätten sie nur bei den Sprachkursen, was beide Frauen bedauern. Auch hier setzen sie große Hoffnungen auf den Spracherwerb – obwohl man sich, wie Alina überrascht festgestellt hat, mit Englisch auch überall verständlich machen könne. Für alles aber, was über das Alltägliche hinausgeht – Aufnahme einer Arbeit, Schließen von Kontakten – seien gute Deutschkenntnisse eben die Voraussetzung. Leider ist die deutsche Sprache mit ihren vier grammatischen Fällen aber bekanntlich alles andere als schnell und leicht zu erlernen. Aber es ginge auch noch komplizierter: Den Ukrainerinnen sind in ihrer Muttersprache sogar noch drei Fälle mehr bekannt.

Die Ukrainerinnen waren anfangs beide skeptisch, ob sie im fremden Deutschland Fuß fassen könnten. Mittlerweile hätten sie sich aber eingelebt, ein guter Teil der Fremdheit sei Vertrautheit gewichen. Beide sind Deutschland dankbar dafür, dass sie hier in Frieden leben können, dass Alinas Sohn zur Schule gehen kann und dass die Hilfe so unbürokratisch und schnell angelaufen sei. Zum Fototermin hat Alina deswegen extra eine Brosche in Herzform mit den Nationalfarben der Ukraine und Deutschlands angesteckt. Die hat ihre Mutter in Charkiw für sie besorgt und nach Deutschland geschickt.

So fühlt sich Krieg an