Mülheim/Essen. Das gab’s noch nie: Am Flughafen Essen-Mülheim startete jetzt erstmals ein Elektro-Flugzeug. Ist dies eine Zeitenwende für lärmgeplagte Anwohner?

Knapp 98 Jahre, nachdem der Flughafen Essen-Mülheim seine Flughafenrechte zugesprochen bekam, ist am Montagmorgen an Ort und Stelle ein neues Zeitalter des Fliegens angebrochen. Um 10.54 Uhr hob erstmals auf den Raadter Höhen ein Elektro-Flieger ab, nach eineinhalb Jahren Vorbereitung und – entscheidend – mit Segen des Luftfahrtbundesamtes.

Lesen Sie auch: Das Fliegen mit Wasserstoff rückt näher

Von einem „historischen Moment“ sprach die Flugschule TFC Käufer, als der E-Flieger am Montag zum Premierenflug startklar gemacht wurde. Mit der Maschine des slowenischen Herstellers Pipistrel, so hieß es, werde die Flugschule „den ersten Schritt in die CO2-neutrale Ausbildung von Berufspiloten“ gehen. Die Virus SW 128 (Velis Electro), die am Montag in Mülheim gen Himmel stieg, ist das erste Elektroflugzeug der Welt mit einer Zulassung von der Europäischen Agentur für Flugsicherheit. Eigens aus Slowenien war Pipistrel-Testpilot Jago Stemberger angereist, um beim Premierenflug als Co-Pilot zu assistieren.

„Es war super, es hat richtig Spaß gemacht, es ist ein wunderbares Flugzeug“

Auch interessant

Ein Fisheye-Aufnahme während eines Landeanflugs auf den Flughafen Essen-Mülheim. Die neuerliche Debatte um seine Zukunft nimmt Fahrt auf. Essens Politik stellt Forderungen.
Von Mirco Stodollick und Marcus Schymiczek

George Michahelles war die Freude anzusehen, dass er der erste Fluglehrer von TFC sein durfte, der mit dem Elektroflieger in die Lüfte stieg. „Nervös bin ich nicht“, sagte er vor dem Start, „aber ich freue mich sehr.“ Es komme nun mal nicht häufig vor in der Karriere eines Piloten, etwas ganz Neues zu machen. Nur mit leichtem Surren der Propeller, das gar noch leiser schien als jenes von Foto-Drohnen, setzte der E-Flieger zu seinen ersten Platzrunden am Flughafen an, samt Aufsetzen und erneutem Durchstarten auf der Start- und Landebahn.

George Michahelles durfte als erster Pilot am Flughafen Essen-Mülheim mit einem Elektro-Flieger starten.
George Michahelles durfte als erster Pilot am Flughafen Essen-Mülheim mit einem Elektro-Flieger starten. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Michahelles war die große Freude über den geglückten Premierenflug an seinem Lachen anzusehen, als er die Maschine um 11.15 Uhr wieder auf den Boden gesetzt hatte. „Es war super, es hat richtig Spaß gemacht, es ist ein wunderbares Flugzeug“, sagte der Flightbase-Manager, noch in der Maschine sitzend. Der E-Flieger stelle aber auch andere Herausforderungen an seine Piloten als ein konventionell betriebenes Flugzeug mit Verbrennermotor.

Erster E-Flieger Mülheims kann rund eine Stunde in der Luft bleiben

Da der Flieger nicht automatisch bremse, wenn man die Leistung reduziere, gleite das Fluggefährt ähnlich einem Segelflieger weiter, da müsse ein Pilot mehr vorausplanen. Auch sei im Elektrobetrieb mit zwei Batterien die Reichweitenplanung und das Energiemanagement viel stärker zu beachten. Die „Velis Electro“ ist so ausgestattet, dass sie 60 Minuten in der Luft bleiben und in dieser Zeit Distanzen von 170 bis 180 Kilometern zurücklegen kann.

Zur Zukunft des Flughafens Essen-Mülheim lesen Sie auch: Flughafen Essen-Mülheim: Das sind die Zukunfts-Szenarien

Dieser Entwicklungsstand reicht noch nicht, um die in der Ausbildung verpflichtenden 300-Kilometer-Flüge mit dem E-Flieger zu meistern. Für diese Flüge muss TFC vorerst weiter auf Flieger mit Verbrennermotor setzen. Der Einsatz des E-Fliegers für kürzere Strecken (rund 70 Prozent der Ausbildung) soll aber laut TFC-Geschäftsführer Christian Käufer dafür sorgen, dass pro Pilot und zweijähriger Ausbildung nur noch rund 400 Liter Treibstoff verbraucht werden und eine CO2-Reduktion von rund 65 Prozent erreicht wird. Als der erste E-Flug Mülheims mit der Landung erfolgreich beendet war, scherzte Käufer beim Anblick eines Tanklasters, der auf dem Gelände herumkurvte: „Der weiß gar nicht, dass wir ihn nicht mehr brauchen.“

Gibt es in Zukunft am Flughafen Essen-Mülheim gar klimaneutrales Fliegen?

Der E-Flieger „Velis Electro“ am Montag bei seinen ersten Platzrunden am Flughafen Essen-Mülheim.
Der E-Flieger „Velis Electro“ am Montag bei seinen ersten Platzrunden am Flughafen Essen-Mülheim. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Der E-Flieger „Velis Electro“ erreicht laut TFC einen Lärmpegel von maximal 60 Dezibel, nicht mehr als normale Gesprächslautstärke. Am Flughafen Essen-Mülheim werden jährlich aktuell rund 220 Flugschüler ausgebildet. Der dadurch verursachte Fluglärm und die Emissionen sind bei Flughafen-Gegnern schon lange Argumente für ein Ende des Flugbetriebs in Mülheim.

Künftig soll der E-Flieger laut TFC gar mit Strom, der auf den Raadter Höhen erzeugt wird, fliegen. Allerdings sind selbst politische Initiativen der örtlichen SPD zur Freiflächen-Photovoltaik am Flughafen bislang ohne Erfolg geblieben. Offenbar wird im Hintergrund aber weiter am Thema gearbeitet. Die Westdeutsche Luftfahrtgesellschaft, die gerade mit dem Bau ihrer neuen Luftschiff-Eventhalle für Furore sorgt, kündigt an, in einem zweiten Bauabschnitt eben auch Photovoltaikanlagen für die Produktion von umweltfreundlichem Solarstrom für ein emissionsfreies Fliegen errichten zu wollen.

Flughafen Essen-Mülheim – lesen Sie auch:

Mülheims erste Elektro-Flieger steigt auf: „Das war ein toller Augenblick“

Auch interessant

„Das war ein toller Augenblick, als die Maschine das erste Mal vom Boden abgehoben ist“, so Käufer. Seine Flugschule sei erneut in einer Vorreiterrolle. Nach eigenen Recherchen setze TFC als erste Flugschule weltweit in der sogenannten MPL-Ausbildung (MPL = Multi-Crew Pilot Licence) einen E-Flieger ein, so Käufer. Mit der Fluggesellschaft Condor habe man dafür einen guten Partner an der Seite.

Jene MPL-Ausbildung ist laut TFC in Deutschland nur am Flughafen Essen-Mülheim und in Rostock möglich, weltweit böten gar nur 20 Flugschulen diese Ausbildung an. Die zukünftigen Piloten werden im Kurs der TFC darauf vorbereitet, später Flugzeuge mit einer mehrköpfigen Besatzung, beispielsweise im Airbus A 320, zu führen. Elf Condor-Schüler hatten zuletzt am TFC-Simulator in Essen-Kupferdreh mit ihrer diesbezüglich spezialisierten Pilotenausbildung begonnen.

Flugschul-Chef: „Wir haben den Anspruch, den Flughafen lärmarm zu machen“

Christian Käufer, Geschäftsführer der am Flughafen Essen-Mülheim ansässigen Flugschule TFC: „Wir haben den Anspruch, den Flughafen lärmarm zu machen.“
Christian Käufer, Geschäftsführer der am Flughafen Essen-Mülheim ansässigen Flugschule TFC: „Wir haben den Anspruch, den Flughafen lärmarm zu machen.“ © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

In welchem Tempo womöglich weitere E-Flieger den Einsatz der 20 konventionellen TFC-Maschinen überflüssig machen, will die Flugschule noch nicht prognostizieren. Das werde davon abhängen, wie die Ausbildung im E-Flieger am Markt nachgefragt werde. Wohl mit Blick auf die politisch begonnene Debatte, ob der Flughafen doch über das Jahr 2034 hinaus eine Perspektive bekommen soll, sagte Käufer: „Wir wollen den Städten Essen und Mülheim auch zeigen, dass wir am Standort innovativ und zukunftsorientiert arbeiten.“ Man habe „den Anspruch, den Flughafen lärmarm zu machen.“

Bekanntlich sollen die Stadträte in Essen und Mülheim – wenn es nach Mülheims OB Marc Buchholz geht – noch in diesem Jahr entscheiden, ob sie dem Flugbetrieb entgegen des weiter gültigen Ausstiegsbeschlusses doch eine langfristige Zukunft geben. Geknüpft ist diese Debatte an die Frage, in welcher Dimension an der Brunshofstraße in Raadt eine gewerbliche Entwicklung möglich gemacht wird - entweder in kleiner Variante mit oder in größerer ohne Flugbetrieb.

Flughafen Essen-Mülheim: Lesen Sie hier mehr