Mülheim. Vor einem halben Jahr überschwemmte die Ruhr weite Teile Mülheims. Besonders stark getroffen wurde Mintard. Wie es den Anwohnern heute geht.
Ein halbes Jahr ist es inzwischen her, dass die Ruhr stieg und stieg nach den immensen Regenfällen, die tagelang niedergegangen waren – nicht nur auf Mülheim, sondern auf so viele Gebiete, die entlang der Flüsse liegen. Das Hochwasser, das folgte, traf in Mülheim vor allen die Anwohner der Straße Durch die Aue in Mintard. Bis heute sind manche Mintarder dabei, ihre Häuser wieder herzurichten.
Die Bautrockner sind inzwischen verstummt, noch immer aber sieht man Folgen des Hochwassers. Ruhig schlängelt sich inzwischen wieder der kleine Alpenbach vor den Häusern der Familien entlang. Am 15. Juli 2021 aber, da hat das Rinnsal maßgeblich dazu beigetragen, dass die Häuser der Familien unter Wasser standen. Hinzu kam die Ruhr, die sich über den großen Acker ausgedehnt hatte. Nicht nur die Kellerräume hat es getroffen, manche Souterrain-Wohnung ist voll gelaufen, bei den vorderen Häusern schwappten die Fluten sogar bis ins Erdgeschoss. Wir haben einige der Betroffenen sechs Monate nach dem Hochwasser besucht und nachgefragt, wie es ihnen heute geht.
Familie Berns: Endlich können sie wieder in ihrem Haus wohnen – nach Monaten
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Rainer Berns ist guter Dinge, inzwischen zumindest wieder. Denn Monate vergingen, bis er und seine Familie ihr Haus in der kleinen Stichstraße Durch die Aue wieder bewohnen konnten. Kurz vor Weihnachten sind noch die Türen im Erdgeschoss eingebaut worden, nun hat auch die Gästetoilette wieder eine – vorher musste es halt ohne gehen. Familie Berns hat die zurückliegenden Monate pragmatisch gemeistert. Geprägt war die Zeit vom Wiederaufbau ihres Zuhauses, das durch das Hochwasser am 15. Juli 2021 schwer beschädigt worden war.
Wohnzimmer und Küche waren überschwemmt, der Keller bis zur Decke vollgelaufen. Und heute: Das Erdgeschoss ist wieder eingerichtet mit Sofa, Couchtisch, Esstisch und Stühlen. All ihr ursprüngliches Mobiliar hatte 50 Zentimeter hoch im Wasser gestanden. Die Möbel waren alle aufgeplatzt, nichts mehr davon konnte man noch verwenden.
Im Keller fehlen sie noch, die Türen, und auch der Platz, an dem vor dem Hochwasser die lang ersehnte Sauna stand, ist noch leer. Ob sie wieder eine einbauen werden, steht noch in den Sternen, sagt Rainer Berns, zurzeit ist kein Budget dafür da. Noch habe er keinen Cent Geld gesehen, weder vom Land noch vom Bund, bemängelt der 45-Jährige und erzählt: „Dabei haben wir die Anträge schon vor über drei Monaten gestellt und auch ein Gutachten vorgelegt. Wir finanzieren bisher über Sonderkredite, unser Eigenkapital ist längst aufgebraucht.“ Auf mindestens 65.000 Euro beziffert Rainer Berns den Schaden.
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Dass die Berns nun wieder in ihrem Zuhause leben können, verdanken sie auch den Handwerkern. „Eine Firma hat alles aus einer Hand gemacht“, schildert der Mintarder und meint: „Das alles hätte man in Eigenarbeit gar nicht machen können.“
Bei den Eltern und bei Freunden gewohnt
Im Keller und im Erdgeschoss musste alles rausgerissen werden, in die Böden, die Türen und die Wandverkleidung war das Wasser gezogen. Entkernt waren die beiden unteren Etagen, nackte Wände, blanker Estrich. Über Wochen konnte die Familie ihr Haus nicht bewohnen, Rainer und Sina Berns sind mit ihrem damals vier Jahre alten Sohn von einem Provisorium ins nächste gezogen – von den Schwiegereltern zu Freunden, die im Urlaub waren und ihr Haus anboten, schließlich in eine Ferienwohnung.
Jetzt scheinen es wirklich nur noch Kleinigkeiten zu sein, die sie ausbessern müssen. Endlich ist auch die neue Küche da, die schon vor der Flut geordert war und fünf Tage später hätte geliefert werden sollen. „Wir konnten die Lieferung zum Glück immer weiter nach hinten schieben. Bevor sie letztlich geliefert worden ist, ist einen Tag vorher noch der Boden gelegt worden“, erzählt der Mintarder.
Dass noch einmal solch ein Hochwasser über sie hereinbricht, das glauben die Berns nicht – eigentlich nicht. Sollte es doch passieren, hoffen sie, nun gewappnet zu sein. Die Verkleidung der Kellerräume und die Farben sind jetzt auf alkalischer Basis, sie haben Silikatplatten verbaut. „Das kann besser abtrocknen und darauf kann kein Schimmel entstehen“, sagt Rainer Berns. Er hofft aber, dass das Material diesen Vorteil nie unter Beweis stellen muss. Ganz sicher ist Berns aber nicht: Denn er ist überzeugt, dass vergangenes Jahr Mitte Juli „jemand richtig Mist gemacht hat“, wie er es ausdrückt: „Wenn die Stauseen damals richtig entleert worden wären, wäre das nicht passiert.“
Als sie endlich in ihr Haus zurück konnten, war längst nicht alles fertig, sie lebten mit Krach und Staub, wie Berns sagt. Aber: Sie waren wieder zuhause und ihr Zuhause, das wird das Doppelhaus in der kleinen Stichstraße auch bleiben, da sind Rainer und Sina Berns sich sicher, trotz der großen Schäden, trotz der vielen Arbeit – oder vielleicht gerade deswegen.
Per Schlauchboot waren die Stachorras von ihrem Treppenaufgang gerettet worden
Ein paar Häuser weiter, ganz am Ende der Sackgasse, wohnen die Stachorras. Bei ihnen war das Wasser ins Souterrain gelaufen, hatte neben den Möbeln dort vor allem die Elektronik zerstört, die Computer, den Server – und damit das Homeoffice außer Gefecht gesetzt.
Bis heute haben sie keinen Stromzähler, erzählt Nicole Stachorra. Sie sind nicht die einzigen in der kleinen Anliegerstraße, die sich fragen, wie der Stromanbieter für die zurückliegenden Monate abrechnen will. „Doch darüber mache ich mir jetzt keine Gedanken“, sagt Nicole Stachorra. Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was sie in den vergangenen Monaten zu bewältigen hatten.
„Unser Leben ist nur noch davon bestimmt – neben unseren Jobs. Selbst samstags fange ich früh an und plane durch, was noch zu erledigen ist. Permanent hatten wir Handwerker “, schildert die 52-Jährige. Immerhin haben sie inzwischen wieder eine Treppe, die ins Souterrain führt – wobei es noch keine komplette Treppe ist, sondern nur das Grundgerüst aus Metall, auf die Holzstufen warten sie noch immer. Aus dem unten gelegenen Wohnbereich musste bis aufs Fundament alles raus und schließlich neuer Estrich rein sowie eine neue Fußbodenheizung, und und und.
Gesamtschaden von 270.000 Euro gemeldet
Draußen sieht es nicht viel besser aus: Die Außentreppe, die aus Holz besteht, muss noch erneuert werden. Von hier, vom Absatz der Treppe, hatte die Feuerwehr Nicole Stachorra mit einem Schlauchboot eingesammelt, als das Wasser schon soweit gekommen war, dass es ihr schon beinahe bis zur Hüfte gestanden hatte.
Das Ehepaar Stachorra hat seiner Versicherung einen Gesamtschaden von 270.000 Euro gemeldet. Noch diskutieren sie mit der Versicherung darüber, ob auch der total zerstörte Garten – zuvor ein gepflegtes Kleinod – zur Versicherungsmasse zählt. So oder so werden sie wohl auf einem Eigenanteil von 40- bis 50.000 Euro sitzen bleiben, schätzt Nicole Stachorra, die dennoch dankbar ist und sagt: „Das ist alles kein Vergleich zum Ahrtal.“
Sauer ist Nicole Stachorra indes darüber, dass sie als Bewohner einer Hochwasser-Zone vorab in keiner Weise informiert wurden. Sie spricht von schlechtem Wassermanagement. Die Feuerwehrleute, die sie am Hochwassertag per Schlauchboot gerettet haben, hätten gesagt, dass sie schon am Abend vor der Überschwemmung in Mintard gewusst haben, dass es schlimm werden würde, denn das Wehr in Werden sei geöffnet worden. Stachorra macht das fassungslos: „Wir hatten keinerlei Vorwarnung, als das Wasser kam.“
Blau-Weiß Mintard: Erste Schäden sind behoben
Platzwart Manfred Sonntag und Udo Haas sitzen auf ihren Stammplätzen direkt an der Seitenlinie von Blau-Weiß Mintard. Doch an diesem 15. Juli stecken sie bis zu den Knien im Wasser, das die komplette Anlage des Mülheimer Fußballklubs überschwemmt hat. Zuvor hatten sie aus dem Fenster des Klubhauses klettern müssen, weil die Tür durch den Druck des Wassers nicht mehr aufzustemmen war.
Der Hauptraum ist bereits wieder nutzbar
Das Gebäude hat durch das Hochwasser den größten Schaden genommen, ist aber mittlerweile bereits saniert worden. „Das ist das Wichtigste, dass wir das Klubhaus wieder nutzen können“, sagte der zweite Vorsitzende Roland Henrichs bei einem Rundgang durch das Gebäude.
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Der Hauptraum ist bereits wieder nutzbar, durch ein Wunder hat der große Fernseher tatsächlich überlebt. In den Umkleiden herrscht aktuell noch Leere, bald sollen sich Fußballerinnen und Fußballer hier wieder umziehen können. „Wir haben die Fläche insgesamt etwas besser aufgeteilt als vorher“, berichtete Henrichs. Durch die vielen Spenden sei der Verein beim Klubhaus mit einer schwarzen Null herausgekommen.
Doch das war es noch lange nicht. Das gegenüberliegende Gebäude, in dem früher die Heimspiel-Gäste verpflegt wurden, muss wohl abgerissen werden. Und über kurz oder lang müssen auch die Plätze saniert werden. Aktuell läuft dort zwar der Spielbetrieb, doch laut Henrichs ist unter anderem die Drainage in Mitleidenschaft gezogen worden. „Allein der Ascheplatz wird mit einem Schaden von 100.000 Euro beziffert“. Vor den Mintardern liegt auch ein halbes Jahr später noch jede Menge Arbeit.
150 Jahre altes Fachwerkhaus hat wieder trockenen Keller
Fix und fertig mit der Sanierung ist Hans-Jürgen Lilge. Der Eigentümer des 150 Jahre alten Fachwerkhauses an der August-Thyssen-Straße strahlt übers ganze Gesicht, als wir die steile Kellertreppe ins Untergeschoss hinabsteigen. Alles fertig, alles schön – sogar schon gestrichen, kein Wunder, der Mann ist ja Malermeister. Vor allem aber: alles trocken!
Im Sommer, bei unserem ersten Besuch in dem hutzeligen Häuschen, das sich seit Dekaden an den Weg schmiegt, einen Steinwurf von Kirche und Friedhof entfernt, war hier unten im niedrigen Keller nur blanker Stein zu sehen. Nach dem Hochwasser hatten Lilges keine andere Wahl, als den Putz von den uralten Mauern im Untergeschoss zu klopfen, damit die abtrocknen konnten. Lakonisch hatte Lilge nach dem Hochwasser gesagt: „Das ist der Vorteil eines Fachwerkhauses: Da läuft das Wasser beinahe genauso schnell wieder raus, wie es reingelaufen ist.“ Dank des Lehmbodens zog die Flüssigkeit zügig ab, anders als bei manchem abgedichteten Neubau. Die uralte Baumethode hatte offenbar Überschwemmungen eingepreist, der moderne Putz aber musste weichen.
Sie standen auf dem Balkon und sahen das Wasser kommen
Lilge hatte sich an dem Vormittag, als das Wasser kam, noch mit seiner Frau oben auf den Balkon gestellt, um besser sehen zu können, was da draußen vor sich ging. Was sie sahen, war Wasser in Massen, das sich Meter für Meter auf das Grundstück zu wälzte. „Da hat einer gepennt“, ist der Mintarder überzeugt, der angesichts des Hochwassers Lücken in der Kommunikationskette sieht.
Normalerweise ist die Ruhr von Lilges Grundstück aus nur zu erahnen, über 300 Meter entfernt fließt der Fluss hier. Vor dem Grundstück schlängelt sich der Alpenbach entlang, eigentlich ein mehr als harmloses Rinnsal – am 15. Juli aber schwillt auch er immens an. Dabei liefe der Alpenbach mittlerweile, seitdem er vor wenigen Jahren renaturiert wurde, „wirklich gut, der staute sich nicht mehr zurück, so wie in den Jahren zuvor“, berichtet Hans-Jürgen Lilge. Beim Sommer-Hochwasser aber breitet sich das friedliche Bächlein zu einem See aus.
Schließlich fluten die Wassermassen den Keller – dieses Rauschen wird Lilges Frau Caroline Molitor nie vergessen. „Das will man nicht erleben“, sagt die 62-Jährige, die schon seit den Siebzigern in dem alten Gebäude lebt. „Sowas hab ich in all den Jahren nicht gesehen.“ Dankbar sind sie, dass ihnen, den Nachbarn in Mintard und den anderen Betroffenen in Mülheim nichts an Leib und Leben passiert ist. „Unsere Versicherung hat sofort reagiert, das hat alles reibungslos funktioniert“, sagt der Malermeister. Den materiellen Schaden beziffert er auf rund 70.000 Euro. Allein sein Verdienstausfall schlug mit 15.000 Euro zu Buche.
Zur Schadensmasse gehörte auch Lilges hochwertige Hifi-Ausrüstung – sein Hobby und sein Stolz. Und ein großer emotionaler Wert – alles verloren. Bekommen haben sie indes eine Überraschung, als sie den Keller des Fachwerkhauses von 1856 renovierten. Als der Putz runter kam von den Jahrhunderte alten Grundmauern, stießen sie in einer Wand auf eine halbrunde Öffnung, auf der anderen Seite der Wand fanden sie schließlich eine Feuerstelle – ein Brotofen, weiß Lilge heute. „Da waren sogar noch die 150 Jahre alten Stahlbleche drin.“
Ur-Mintarder: „Eine Stadt sollte für so etwas doch einen Notfallplan haben“
Es wird wohl April werden, bis wirklich alles fertig ist – damit rechnet Fred Momm derzeit. Dann werden seit dem Hochwasser neun Monate vergangen sein. Blickt der Mintarder zurück, der in dem Haus an der Ecke August-Thyssen-Straße/Durch die Aue wohnt, in dem schon seine Eltern lebten, hat er vor allem viel Arbeit vor Augen.
Erst vergingen Wochen, in denen er die Bautrockner im Erdgeschoss seines Hauses laufen ließ, in der Hoffnung, dass noch etwas von Estrich oder Wandverkleidung zu retten war. War es nicht – schließlich musste doch so gut wie alles rausgerissen werden. „Zwölf Wochen haben wir getrocknet, bei 35 Grad. Die Stromrechnung beläuft sich auf 10.000 Euro“, sagt Momm.
Die alten Mieter waren gerade raus, als die Fluten in die Wohnung strömten
Zudem war die Elektrik hin, die Heizung musste erneuert werden und funktioniere inzwischen zumindest so, dass sie warmes Wasser haben und niemand frieren muss. Zurzeit beliefen sich seine Rechnungen auf 106.000 Euro – doch Momm rechnet mit weiteren Ausgaben. Denn fertig ist das Untergeschoss seines Hauses, das eigentlich just im Sommer hätte neu vermietet werden sollen, längst noch nicht. „Die alten Mieter waren gerade 14 Tage ausgezogen – das war ihr Glück, sonst wäre alles hin gewesen.“ Auch wenn die 125 Quadratmeter große Wohnung zum Zeitpunkt der Flut leer stand, so ist Momms Schaden trotzdem enorm.
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Immerhin: Vor drei, vier Jahren hat er eine Elementarschadenversicherung abgeschlossen. „Man hört ja immer von Stürmen“, das war damals sein Beweggrund. Aber mit solch einem Hochwasser, damit hat Momm nicht gerechnet. Sein ganzes Leben lang kennt Fred Momm den Ort, über 70 Jahre schon. Nie aber habe es solch ein Hochwasser gegeben, hatte der Mintarder einen Tag nach der Flut gesagt, als er in Gummistiefeln in seiner nassen Garage stand.
Fred Momm aus Mintard sieht ganz klare Versäumnisse in der Informationskette
Und auch heute noch sagt er: „Hätte jemand bei der Feuerwehr auf den Pegel in Hattingen geachtet, der etwa sechs Stunden vor Mülheim liegt, hätte man uns am Morgen informiert, dann hätten wir ein, zwei Stunden Zeit gehabt, hätten aktiv werden können und hätten eine Vorahnung bekommen können von dem, was da auf uns zurollt.“
Gewarnt habe niemand die Anwohner, sagt Momm – stattdessen sehen sie an diesem Donnerstagvormittag, wie das Wasser unaufhörlich steigt, nicht nur die Ruhr kommt über das riesige Feld rund 500 Meter weit angewalzt, es sind auch Bäche wie der Alpenbach, die aus Richtung Schloss Landsberg kommen und über die Maßen anschwellen. Er sieht ganz klare Versäumnisse in der Informationskette. „Eine Stadt sollte doch für sowas einen Notfallplan haben, sollte die Sirenen tönen lassen oder Lautsprecherwagen durch die Straßen schicken“, meint Momm.