Mülheim. Zweieinhalb Wochen nach dem Hochwasser wird in Mülheim-Mintard weiter aufgeräumt. Wohnungen und Häuser sind unbewohnbar – auf unbestimmte Zeit.
Man kann den Fluss nur erahnen, dort hinten wo die Baumreihe steht. Das Wasser der Ruhr sieht man nicht – nicht mehr, es hat sich längst zurückgezogen. An dem unheilbringenden Donnerstag aber, da bahnte es sich seinen Weg, die weit über 300 Meter aus seinem Bett bis zum Haus von Hans-Jürgen Lilge an der August-Thyssen-Straße 115. Der überlaufende Alpenbach, der auf dem Weg des Wassers landeinwärts fließt, tat sein übriges.
Von 1856 ist das Fachwerkhaus, das direkt an der Straße steht. Einen Vorteil habe das alte Gebäude durchaus, sagt Lilge schmunzelnd: „Da ist das Wasser beinahe genauso schnell wieder rausgelaufen, wie es reingelaufen ist.“ Sein Lehmboden ließ die Flüssigkeit zügig wieder raus – anders als bei manchem gut abgedichteten Neubau.
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Mintarder verliert Hifi-Equipment und hat einen Schaden von 40.000 Euro am Haus
Seinen Humor hat er sich bewahrt, der Mintarder, dessen umfangreiches Hifi-Equipment im Keller baden gegangen ist. Ein Schaden von rund 6000 Euro. „Die Versicherung wird zahlen, aber sie kann mir den emotionalen Wert nicht ersetzen“, sagt der Malermeister. Sein Verdienstausfall mit allem, was da dran hängt, schlägt mit 15.000 Euro zu Buche. Was in dieser Rechnung noch nicht drin ist, sind die Schäden am Haus: Auf 40.000 Euro werden die geschätzt. Lilge ist einfach froh, gut versichert zu sein.
Denkt er an den Donnerstag zurück, bevor das Hochwasser sein Grundstück erreichte, sagt Lilge: „Alle waren sie da: Das Ordnungsamt, die Polizei und die Feuerwehr. Geholfen habe das wenig, denn „Deren Aussagen lagen sehr weit auseinander – von ,halb so wild’ bis ,jetzt müssen Sie aber raus’.“ Raus gegangen aus seinem alten Fachwerkhaus sind Lilge und seine Frau erst, als das Wasser durch den Keller rauschte. „Wie die Niagara-Fälle“, sagt sie.
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Und da wussten sie längst nicht, was noch kommt. „Was ist mit dem Stauwehr in Kettwig? Hält der Deich in Mintard? Diese Fragen schossen uns durch den Kopf“, sagt Lilge. Wenn er die Zerstörung, das Leid andernorts sieht, ist Lilge über die Maßen dankbar, auch für die Hilfe im Dorf – nicht betroffene Mintarder hätten Verpflegung organisiert, ihnen eine Übernachtungsmöglichkeit angeboten. Paradox fühle es sich indes an, sagt Malermeister Lilge, dass er jetzt selber die Schäden hat, „die ich sonst bei meinen Kunden repariere.“
Bei Denise Kraft liegen die Foto-Tüten mit den Fotos von früher auf dem Couchtisch – zum trocknen. Die Foto-Abzüge sind nicht viel mehr als Klumpen Papier, von einem schaut ein Baby herunter, auf den anderen feiern Kinder Geburtstag. „Alles verloren“, sagt die Mittfünfzigerin. Erinnerungen an die Kindheit ihrer Tochter und ihres Sohnes, erzählt die alleinerziehende Mutter. Kraft wohnt in der Straße Durch die Aue, die mit am stärksten betroffen war von dem, was nun Jahrhundert-Hochwasser genannt wird.
Das Babyschühchen von ihrem Sohn kam der alleinerziehenden Mutter entgegen geschwommen
Zu dem Haus, in dem sie mit ihrer Tochter zur Miete wohnt, geht es ein paar Stufen hoch. Auf der Fensterbank neben dem Treppenaufgang steht ein Babyschühchen. „Dieser Moment, als mir der erste Schuh meines Sohnes entgegen geschwommen ist“, erinnert sich die Mintarderin fast staunend an das Hochwasser.
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Der alte Flügel, Baujahr 1913, stand ebenfalls im Wasser. „Ob der nochmal restauriert werden kann?“, fragt sie über den Lärm der Trocknungsgeräte hinweg, die im Keller versuchen, die Feuchtigkeit zu verbannen. Nach dem ersten Schock sei sie in Hysterie verfallen, jetzt habe sie die Phase des Aktionismus erreicht. „Aber was wird wohl mal, wenn alles getan ist, wenn es ruhig wird“, fragt sie sich. Klar ist für Denise Kraft, dass sie nicht in dem Haus wohnen bleiben wird. Unbewohnbar – auf unbestimmte Zeit. Im Moment lebt sie in einem Hotel in Essen, die 21-jährige Tochter ist bei ihrem Freund. Wie es weitergeht, wie sie eine neue Bleibe finden soll – am liebsten noch in Mintard? Sie weiß es nicht. „Jetzt suchen ja auch besonders viele Leute eine neue Wohnung“, sagt die Mintarderin.
Eine Bleibe – wenn auch eine überaus behelfsmäßige – haben inzwischen Doris und Gerhard Gerke gefunden. Auch sie wohnen in der kleinen Sackgasse Durch die Aue, an der sich nun friedlich der Alpenbach entlang schlängelt. „Ich nenne ihn jetzt Ganges“, sagt Doris Gerke. „Das Wasser kam erst ganz langsam vom Bach, peu a peu. Und mit einem Mal schoss es um die Ecke in den Garten.“
Keine funktionierende Toilette nach dem Hochwasser
Seit dem Hochwasser hatten sie bis letzten Donnerstag keine funktionierenden Toiletten – die Hebeanlage war kaputt gegangen. „Da macht man eben in einen Eimer“, sagt die Frau, die seit 18 Jahren in der Souterrain-Wohnung an der von Bach und Fluss abgewandten Seite lebt.
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Im Nu war es dann in den tieferliegenden Wohnräumen, 1,50 Meter hoch stand es, sagt Gerke, eine zierliche Frau. Sie sei noch einmal reingegangen, in die Wohnung voller Wasser, als die Feuerwehr schon zum Evakuieren da war – sie musste doch ihren alten Kater retten. Das hat sie geschafft, die Feuerwehrleute haben sogar von irgendwoher noch einen Transportkorb besorgt. Bloß wohin jetzt mit dem menschenfeindlichen Freigänger? Woanders wohnen kann sie mit dem alten Tier nicht, hat Doris Gerke entschieden.
Also hat ihr Mann einen Wohnwagen besorgt – der steht jetzt in der Einfahrt und bietet das mehr als provisorische Zuhause auf Zeit. „Wenigstens ein Dach überm Kopf“, sagt Gerhard Gerke. „Doch was soll werden, wenn der Winter kommt“, fragt der Kfz-Mechaniker, der nicht von Wochen, sondern von Monaten spricht, ehe ihre Wohnung wieder einigermaßen bewohnbar sein wird.
Einige Zeit konnten sie in der Wohnung einer Nachbarin schlafen, die weiter oben im Haus wohnt und gerade im Urlaub war. Eine Lösung auf Dauer aber ist für Gerkes nicht in Sicht. „Ich habe nichts eigenes mehr“, sagt Doris Gerke achselzuckend, „selbst die Unterhosen sind von einer Nachbarin.“ Die Soforthilfe, ja, die hat sie beantragt – aber wie weit kommen sie mit 2000 Euro?