Oscar-Abräumer “Slumdog Millionär“ von Danny Boyle zeigt zwei Stunden ungeschöntes Indien.

Ein so genannter "Slumdog" gilt in Indien nicht viel. So werden Millionen von Menschen genannt, die in eigenen Kleinstädten gleichenden Elendsvierteln innerhalb der Metropole leben. Auch Jamal und sein Bruder Salim, die Helden des Films "Slumdog Millionär", wachsen im größten Slum des Molochs Mumbai auf. Jahre später sitzt Jamal, inzwischen Teeservierer in einem Callcenter, in der indischen Variante von "Wer wird Millionär" und steht kurz vor der höchsten 20-Millionen-Rupien-Frage. Der Moderator, gespielt von Bollywoods schönster Dauerwelle Anil Kapoor, wittert Betrug - obwohl er selbst sich aus dem Slum nach oben gerackert hat.

Jamal wird inhaftiert, Polizeikommissar Irfan Khan foltert ihn eine ganze Nacht lang und erfährt die vielen alltäglichen Begebenheiten, die Jamal die Antworten lieferten. Und dass es die Liebe zu dem Waisenmädchen Latika ist, die den Teeservierer in die Show getrieben hat.

Der Film - er basiert auf dem Roman "Rupien! Rupien!" des indischen Diplomaten Vikas Swarup - ist der Stoff, aus dem Märchen gestrickt werden. Die indische Aschenputtel-Saga, verfilmt von Dann Boyle, dem britischen Experten für menschliche Extreme ("Trainspotting - Neue Helden"), hat in dieser Saison mehr Preise abgeräumt als irgendwer sonst. Die Oscars waren nur der krönende Abschluss. Boyle ist immer offen für neue Visionen, und so verfolgt er "seine" tapferen Kinder mit der Handkamera quer durch Slumgassen voll menschlicher Exkremente.

Die Kreuzung aus Märchen und britischem Realismus verleiht "Slumdog Millionär" eine ganz eigene Note. Es ist nicht Bollywood, obwohl Boyle mit typischen Motiven spielt: den sentimentalen Melodien, der Liebesgeschichte aus der Kindheit, dem Kain-Abel-Bruderverhältnis, Mafiabossen und einer schmissigen Tanzszene am Ende. Gleichzeitig beschönigt Boyle nichts. Er hält seine Kamera auf das drastische Nebeneinander aus Tanz und Elend - der suggestive Soundtrack des "Mozart von Madras", A. R. Rahman rundet die Spannung ab.

"Slumdog Millionär" ist anspruchsvolles Gefühlskino, das auf glaubhafte Weise von Menschen erzählt, denen das Vertrauen in das Schicksal durch ihr oft beschwerliches Leben hilft.