In der Bestseller-Verfilmung “Der Vorleser“ brillieren Oscar-Gewinnerin Kate Winslet und David Kross - und trösten über dramaturgische Schwächen hinweg

Die beiden unterscheidet viel: Michael (David Kross) ist Schüler und kommt aus einer Familie des Bildungsbürgertums, Hanna (Kate Winslet) ist doppelt so alt wie er und Straßenbahnschaffnerin. Sie treffen im Nachkriegsdeutschland aufeinander. Michael wird übel, Hanna kümmert sich um ihn und sorgt dafür, dass es ihm bald besser geht: Aus dem "Pflegeverhältnis" wird eine kuriose Amour fou. Die sexuell erfahrene Frau macht den Teenager mit der Liebe vertraut, er liest ihr im Gegenzug aus der Weltliteratur vor. Beide genießen diesen Austausch - der so plötzlich endet, wie er begann. Aber es gibt ein Wiedersehen. Jurastudent Michael kommt in eine Gerichtsverhandlung, in der sich ehemalige KZ-Aufseherinnen verantworten müssen. Eine von ihnen ist Hanna. Sie könnte den Vorwürfen, die man ihr macht, etwas entgegensetzen. Aber dann müsste sie ihr Geheimnis preisgeben. Sie zieht die Strafe der Scham vor und tritt eine lange Gefängnisstrafe an.

Bernhard Schlinks "Der Vorleser" ist als Weltbestseller ein Ausnahmebuch. Regisseur Stephen Daldry hat zusammen mit Drehbuchautor David Hare die Chronologie der Vorlage aufgebrochen und den Kern der Erzählung von Szenen mit dem erwachsenen Michael eingebettet, den Ralph Fiennes spielt. Das Herzstück des Films ist die Affäre zwischen Michael und Hanna, von David Kross und Kate Winslet sehr glaubwürdig gespielt und von den Kameraleuten Roger Deakins und Chris Menges in sinnlichen Bildern eingefangen. Danach schlägt der Film eine andere Gangart ein und stellt Fragen über den Umgang mit Vergebung. Schuld und Sühne stehen im Vordergrund - ohne dass überzeugende Antworten auf die wichtigen Fragenn gegeben werden. Wenn das Drama nach der Gerichtsverhandlung Hannas Weg bis zum Ende verfolgt, wird es zusehends schwächer.

Die deutsch-amerikanische Koproduktion, gerade mit einem Oscar für Kate Winslet ausgezeichnet, ist auch in den Nebenrollen glänzend besetzt: Lena Olin, Bruno Ganz, Burghart Klaußner, Susanne Lothar und Alexandra Maria Lara machen den Film trotz dramaturgischer Schwächen zum Kinoerlebnis.