Das Wort zur Woche

Mag das Weihnachtsfest mit den schönsten Kindheitserinnerungen behaftet sein, so entbehrt doch auch das Osterfest nicht gewisser emotionaler Qualitäten. Nein, es ist nicht die Suche nach Ostereiern, die mir da einfällt, sondern ein prägendes Ereignis religiöser Natur.

Zwölf Jahre war ich alt, als ich das Angebot erhielt, am Gründonnerstag den Dienst als Ministrant zu tun und im Rahmen dieser Tätigkeit eine schwere Kerze ins Gotteshaus zu tragen. Ich war bereits mehrfach mit dem Titel "Messdiener des Jahres" ausgezeichnet worden, beherrschte den dreifachen Überschlag mit dem Weihrauchfässchen nahezu blind und verkaufte meinen Praxisleitfaden "Näher zu Gott - Wie junge Ministranten die Klangschellen sauber und geräuschlos absetzen - Versuch einer Annäherung" in großen Stückzahlen. Am Tag der Messe beendete ich am Nachmittag mein Hanteltrainig, nahm eine Ganzkörperwaschung vor und zog mich auf mein Zimmer zurück, um dort der Bachschen Matthäus-Passion zu lauschen und einige österliche Eindrücke zu Papier zu bringen. "Bach", schrieb ich nachdenklich, "lässt das Geschehen auf mehreren Text- und Darstellungsebenen voranschreiten: Episch-rezitativisch entfaltet sich der biblische Passionsbericht des Evangelisten; bei dramatischen Höhepunkten steigert sich dessen Erzählton gar zu leidenschaftlicher Affektsprache." Dann machte ich mich auf den Weg zur Kirche.

Begleitet von Ministrantenkollegen, die mit Holzklappern heftigen Lärm produzierten (am Gründonnerstag wird nicht geläutet, dies den Heiden unter Ihnen zum Verständnis), trug ich ruhigen Schrittes die Kerze durch das Gotteshaus. Sie war damals zehn Meter lang und bestimmt 600 Pfund schwer, ich selbst wog lediglich 35 Kilo, nicht zuletzt bedingt dadurch, dass ich in der vorösterlichen Zeit komplett auf die Einnahme fester Nahrung verzichtete, um in unbekannte meditative Sphären vorzudringen zu können.

Fast hatte ich mein Ziel erreicht, als es passierte: Ich geriet ins Straucheln, die Kerze kurzfristig in eine schräge Position und das heiße Wachs in Bewegung; im Schwall ergoss es sich über mein sauber gescheiteltes Haupthaar, lief mir in die Ohren und tropfte dann auf meine Dienstkleidung. "Das tat dem Bernhard doch gewiss sehr weh!", werden Sie jetzt vielleicht erschrocken ausrufen. Nun, um es kurz zu machen: An diesem Tag gab ich den Berufswunsch "Märtyrer" endgültig auf.

  • Von Menschen und Maulwürfen Lesung mit Bernd Möhlmann, Do 8. 4., 20.00, Kulturhaus Eppendorf (MetroBus 20, 25), Martinistr. 40, Eintritt 8,-