Arnsberg. Ex-Infineon-Manager erscheint diesmal vor Gericht in Arnsberg. Dennoch platzt Neustart des Prozesses. Das ist der kuriose Grund.

15 Minuten bestand Hoffnung, dann ging auch der zweite Versuch schief.

Um 8:56 Uhr traf der Hauptangeklagte im Gerichtssaal ein, jener ehemalige Infineon-Manager, der bei einem Tochterunternehmen des Chipherstellers mit Sitz in Warstein über Jahre Firmengeld in zweistelliger Millionenhöhe unterschlagen haben soll. Bereits vor einem halben Jahr hatte der Prozess gegen ihn und zwei weitere Angeklagte am Landgericht Arnsberg starten sollen, doch damals war der Dortmunder nicht zur Verhandlung erschienen, zwei seiner drei Verteidiger ebenfalls nicht. Am Dienstagmorgen aber waren alle Beteiligten zugegen.

Um 9:11 Uhr betraten die fünf Richter der Wirtschaftsstrafkammer – drei Berufsrichter, zwei Schöffen (ehrenamtliche Richter) – den Saal. Alles schien bereit. Doch noch bevor die Vorsitzende Richterin die Prozessbeteiligten begrüßt hatte, sagte Verteidiger Peter Wehn: „Ich muss um das Wort bitten.“

Es sollte der Anfang vom Ende dieses kuriosen Prozess-Neustarts werden, was eine Zuschauerin im Gerichtssaal später zu der Kommentierung veranlasste: „Wie in einer Bananenrepublik hier.“

Auslöser der neuerlichen Verzögerung: eine E-Mail-Adresse.

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E-Mail-Adresse wirft Fragen auf

Einer der beiden Schöffen räumte auf Nachfrage von Verteidiger Wehn ein, für die Infineon Technologies AG zu arbeiten. Diese ist Mutterfirma der Infineon Technologies Bipolar GmbH & Co. KG, für welche der Hauptangeklagte gearbeitet hatte und welche er laut Anklage um Millionen geschädigt haben soll. Die Verteidigung des Ex-Geschäftsführers kündigte an, dass man, sollte der Schöffe sich nicht freiwillig aus dem Verfahren zurückziehen, einen Befangenheitsantrag stellen werde. „Die Infineon Technologies AG ist an der Geschädigten (der Infineon Technologies Bipolar GmbH, d. Red.) zu 60 Prozent beteiligt. Das geht so nicht. Das müsste auch für das Gericht auf der Hand liegen“, sagte Wehn, einer von drei Verteidigern des Hauptangeklagten.

Herausgekommen sein soll das Ganze nur deshalb, weil der Schöffe auf einen – unabhängig von dem aktuellen Vorgang gestellten – Befangenheitsantrag eines anderen Verteidigers gegen die Besetzung der Wirtschaftsstrafkammer unter Verwendung seiner Dienst-E-Mail-Adresse geantwortet haben soll. Die endete laut Verteidiger Wehn auf: ...@infineon.com.

„Der Schöffe kann nichts dafür, der wusste nicht, welches Verfahren er bekommt. Aber die Kammer hat sich nicht ausreichend vorbereitet.“

Peter Wehn
Verteidiger des ehemaligen Infineon-Managers

Richterin Henkel erklärte, man habe „das Problem gesehen“, aber „die Verflechtung mit Infineon so nicht gesehen“. Offensichtlich wurde die der Kammer erst klar, als sie am Dienstagvormittag in einer Beratungspause das Handelsregister konsultierte. Nach Westfalenpost-Informationen hatte Infineon allerdings bereits im Rahmen einer Strafanzeige in der Angelegenheit vom 21. Oktober 2020 über die Gesellschafterstruktur bei der Tochterfirma informiert. Demnach ist seit vier Jahren auch bei der Justiz aktenkundig, dass der Mutterkonzern Infineon Technologies AG mit 60 Prozent an der Infineon Technologies Bipolar beteiligt ist.

Das Landgericht Arnsberg bestätigte dies auf Anfrage, erklärte dazu, dass die Beteiligung des Schöffen, welcher bei der Infineon Technologies AG beschäftigt ist, an dem Verfahren jedoch erst seit wenigen Wochen feststehe. Zudem werde der Arbeitgeber des Schöffen in der Besetzungsmitteilung nicht ausdrücklich genannt. „Zwischen der Information über die obige Beteiligungsstruktur und der Information über die Beteiligung des Schöffen liegen einige tausend Aktenseiten. Aus diesem Grund wurde der Kammer erst nach der heutigen Einsichtnahme in das Handelsregister bewusst, dass die Arbeitgeberin des Schöffen tatsächlich Mehrheitskommanditistin der Infineon Technologies Bipolar GmbH & Co. KG ist“, so ein Gerichtssprecher.

Neustart nun erst im November

Laut der Vorsitzenden Richterin habe der Schöffe der Kammer erklärt, dass ihm die Beteiligung seines Arbeitgebers an der Tochterfirma „nicht bekannt“ gewesen sei. Verteidiger Wehn betonte, dass sich sein Vorgehen nicht gegen den Schöffen persönlich richte – Schöffen erfahren in der Regel kurzfristig, welchem Verfahren sie zugeordnet werden, um zu vermeiden, dass sie befangen sein könnten. Doch die Verflechtungen zwischen den beiden Infineon-Firmen hätten der Kammer auffallen müssen. „Der Schöffe kann nichts dafür, der wusste nicht, welches Verfahren er bekommt. Aber die Kammer hat sich nicht ausreichend vorbereitet“, sagte Wehn, der zudem auf einen weiteren Punkt hinwies:

Die Mutterfirma Infineon Technologies AG ist in dem Verfahren als Nebenklägerin beteiligt. Eine der vier Anwälte der Nebenklägerin ist laut Wehn Compliance-Chefin der Infineon Technologies AG – und damit Vorgesetzte des Schöffen. Die Kanzlei, welche Infineon in dem Prozess vertritt, bestätigte diesen Umstand auf Anfrage der Westfalenpost, wollte sich aber ansonsten nicht äußern. Dafür sagte Verteidiger Wehn über die Konstellation, dass im Gericht aufseiten der Kammer sowie aufseiten der Nebenklage jeweils Infineon-Beschäftigte vertreten sind: „Da sitzt der Arbeitgeber, und da auch.“

Nach Beratung der Kammer um Richterin Henkel verkündete diese schließlich, dass sich der Schöffe zurückziehe und dass beide Schöffen getauscht werden, der Prozessstart auf den 19. November vertagt werde. Das Urteil soll am 14. Februar fallen – acht Monate nach dem ursprünglich geplanten Finale.

Vorwürfe eingeräumt

Bislang ist in dem Verfahren, das im Frühjahr nach einigem Hin und Her um Monate verschoben worden war, weil der Hauptangeklagte krank gewesen sein soll, noch nicht einmal die Anklage durch die Staatsanwaltschaft verlesen worden. Die legt dem früheren Infineon-Geschäftsführer in zwei Anklagen unter anderem Untreue, Urkunden- und Bilanzfälschung sowie Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen zur Last. Zeitraum der angeklagten Taten: 2016 bis 2021. Laut Landgericht Arnsberg hat der Hauptangeklagte die Vorwürfe vor dem Prozess „im Wesentlichen eingeräumt“.

Er saß seit dem Jahr 2007 in der Geschäftsführung der Infineon Technologies Bipolar GmbH & Co. KG in Warstein, einem Tochterunternehmen des Chipherstellers Infineon und des Elektro- und Energietechnikherstellers Siemens Energy AG. Die erste Anklage wirft dem Ex-Geschäftsführer vor, zwischen 2015 und 2018 Firmengeld in Höhe von 7,5 Millionen Euro auf ein von ihm bei einer Anwaltskanzlei angelegtes Treuhandkonto abgezweigt zu haben. Die Mittel, so die Anklage, sollen in private Immobiliengeschäfte geflossen und darüber hinaus für den Eigengebrauch genutzt worden sein.

Nach Informationen der Westfalenpost hatte sich der Hauptangeklagte, der früher als ein Mann mit einem guten Ruf in Industriekreisen galt und mal eine Wirtschaftsdelegation mit dem damaligen Bundesminister Sigmar Gabriel an der Spitze nach Vietnam begleitet hatte, im September 2020 wegen des Treuhandkontos selbst bei seinem Arbeitgeber offenbart. Dieser stellte daraufhin Strafanzeige und kündigte ihm. Mithilfe einer Anwaltskanzlei ermittelte das Unternehmen weitere Unregelmäßigkeiten, die offensichtlich zu der zweiten Anklage führten.

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Zwei Mitangeklagte

Demnach soll der Ex-Geschäftsführer mit Firmengeld zwei insolvente Zulieferbetriebe aus Süddeutschland (metallverarbeitende Industrie) erworben haben. Und das trotz eines Vetos des Aufsichtsgremiums. Ursprünglich soll der Mann gegenüber seinem Unternehmen angegeben haben, die Zulieferer konsolidieren zu wollen, um sie anschließend als Investment verkaufen zu können. Nach einiger Zeit soll er anstelle einer Bankfinanzierung direkte Darlehen der Infineon Technologies Bipolar in Höhe von 6,7 Millionen Euro verwendet haben.

Für die beiden Lieferbetriebe soll er, so der Vorwurf, ohne Wissen anderer Vertreter seines Unternehmens eine Holding-Gesellschaft gegründet haben, aus der er einen siebenstelligen Geldbetrag für eigene Zwecke abgezweigt haben soll. Als Geschäftsführerin der Holding soll er eine Freundin eingesetzt haben. Diese und ihr Mann müssen sich ebenfalls vor Gericht verantworten wegen des Vorwurfes der Beihilfe zur Untreue.