Warstein/Arnsberg. Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hat einen ehemaligen Geschäftsführer einer Infineon-Tochter in Warstein unter anderem wegen Untreue angeklagt.

Die Sache hat alle Zutaten für einen spektakulären Wirtschaftskrimi: Ein ehemaliger Manager soll über Jahre Firmengelder in zweistelliger Millionenhöhe bei der Tochter zweier börsennotierter Unternehmen unterschlagen haben, ohne dass jemand etwas bemerkte. Nun ist der frühere Geschäftsführer unter anderem wegen Untreue, Urkunden- und Bilanzfälschung sowie Verrats von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen angeklagt.

Der Beschuldigte war seit dem Jahr 2007 in der Geschäftsführung der Infineon Technologies Bipolar GmbH & Co. KG in Warstein, Tochterunternehmen von Deutschlands größtem Halbleiterhersteller Infineon Technologies AG und des Elektro- und Energietechnikherstellers Siemens Energy AG. Ein Mann mit einem guten Ruf in Industriekreisen, der auch schon einmal eine Wirtschaftsdelegation mit dem damaligen Bundesminister Sigmar Gabriel an der Spitze nach Vietnam begleiten durfte. Und jetzt die schwerwiegenden Vorwürfe gegen ihn.

Unternehmen sieht sich ausschließlich als Opfer

Die Infineon Technologies Bipolar GmbH & Co. KG entwickelt und produziert Halbleiter für Energieanwendungen. Zur Frage, warum die einstige Führungskraft offenbar unentdeckt zum Nachteil ihres Arbeitgebers schalten und walten konnte, wie sie wollte, heißt es bei dem Warsteiner Unternehmen: „Der Beschuldigte hat eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt und sich im großen Maße persönlich bereichert.“ Man sehe sich ausschließlich als Opfer.

Derweil bestätigt der Sprecher des Landgerichts Arnsberg, Alexander Brüggemeier, dass bei der Wirtschaftsstrafkammer zwei Anklagen der Staatsanwaltschaft Arnsberg (von Juni und Dezember 2022) gegen „einen früheren Geschäftsführer eines großen Unternehmens“ eingegangen sind.

Treuhandkonto angelegt?

Die erste Anklage wirft dem Ex-Geschäftsführer vor, zwischen 2015 und 2018 Firmengelder in Höhe von 7,5 Millionen Euro auf ein von ihm bei einer Anwaltskanzlei angelegtes Treuhandkonto abgezweigt zu haben. „Der Beschuldigte soll gegenüber dem Unternehmen erklärt haben, dass die Mittel angeblich zur Finanzierung der Erweiterung des Betriebsgeländes genutzt würden“, so Brüggemeier weiter.

Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen die Geldbeträge allerdings zwei von ihm geführten Gesellschaften zugeflossen sein, an denen der Beschuldigte selbst maßgeblich beteiligt war. Die Mittel, so die Anklage, flossen in private Immobiliengeschäfte und wurden darüber hinaus für den Eigengebrauch genutzt.

Strafanzeige gestellt und Kündigung ausgesprochen

Nach Informationen dieser Zeitung hatte sich der nun Angeklagte im September 2020 wegen des Treuhandkontos selbst bei seinem Arbeitgeber offenbart. Dieser stellte daraufhin Strafanzeige und kündigte ihm. Mit Hilfe einer Anwaltskanzlei ermittelte das Unternehmen weitere Unregelmäßigkeiten, die offensichtlich zu der zweiten Anklage führten.

Demnach soll der Ex-Geschäftsführer mit Firmengeldern zwei insolvente Zulieferbetriebe aus Süddeutschland (metallverarbeitende Industrie) erworben haben. Und das trotz eines Vetos des Aufsichtsgremiums.

Vorwurf: „Strohfrau“ als Geschäftsführerin eingesetzt

Gerichtssprecher Brüggemeier zufolge soll der Mann ursprünglich gegenüber seinem Unternehmen angegeben haben, die Zulieferer konsolidieren zu wollen, um sie anschließend als Investment verkaufen zu können. Jedenfalls soll der Hauptbeschuldigte nach einiger Zeit anstelle einer Bankfinanzierung der Zuliefererbetriebe direkte Darlehen der Infineon Technologies Bipolar in Höhe von 6,7 Millionen Euro verwendet haben.

Für die beiden Lieferbetriebe soll er, so der Vorwurf, ohne Wissen anderer Vertreter seines Unternehmens eine Holding-Gesellschaft gegründet haben, aus der er einen siebenstelligen Geldbetrag für eigene Zwecke abgezweigt haben soll. Als Geschäftsführerin der Holding soll er eine Freundin eingesetzt haben.

Damalige Wohnorte im Kreis Soest

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft handelt es sich um eine „Strohfrau“. Sie ist ebenso wie ihr Ehemann, ebenfalls ein Freund des Hauptbeschuldigten, wegen Beihilfe zur Untreue angeklagt.

Der Ehemann soll an einer der von dem ehemaligen Bipolar-Geschäftsführer kontrollierten Gesellschaften beteiligt gewesen sein. Das Paar soll zum Zeitpunkt der angeklagten Taten – 2016 bis 2021 – wie der Hauptbeschuldigte im Kreis Soest gewohnt haben.

Anwalt zweifelt Schadenhöhe an

Das einstige freundschaftliche Verhältnis bestehe heute nicht mehr, bestätigt der Anwalt des früheren Bipolar-Geschäftsführers, Peter Wehn von der Wirtschafts- und Steuerstrafrechtskanzlei Minoggio in Hamm. Dass sein Mandant dessen alten Arbeitgeber einen Schaden in Höhe von fast 15 Millionen Euro (7,5 und 6,7 Millionen) zugefügt haben soll, will der Jurist so nicht stehen lassen.

Bei der ersten Anklage rund um das Treuhandkonto sei schon ein beträchtlicher Teil der Vorwürfe verjährt. „Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass das Verfahren erst in Gang gebracht wurde, nachdem sich mein Mandant offenbart hat.“

Wirtschaftsstrafkammer prüft die Anklagen

Bei der zweiten Anklage „hantiere“ die Staatsanwaltschaft „mit zu großen Zahlen“, findet Rechtsanwalt Wehn: „Wenn überhaupt ein Schaden entstanden ist, dann ist der sehr gering.“ Zumal Beobachter sich fragen könnten, ob die Kontrollmechanismen bei der Infineon Technologies Bipolar ausreichend waren. Aber, so Wehn weiter, „mit dieser Frage gehe ich nicht hausieren.“

Ob und gegebenenfalls wann ein möglicher Prozess vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Arnsberg startet, steht noch in den Sternen. Die zuständige Kammer prüfe derzeit die beiden Anklagen auf Zulassung zu einer Hauptverhandlung, so Landgerichtssprecher Brüggemeier, „es ist ein sehr umfangreiches und komplexes Verfahren“.