Siegen. Siegens oft verstopfte Straßen: Wer Auto fährt, muss akzeptieren, dass das auch andere tun. Finden die einen. Die anderen: Verhindern dass Verkehr kollabiert.
Irgendwann reicht es dem Stadtbaurat und seiner Abteilungsleiterin. Erbittert hatte die Kommunalpolitik im Frühjahr um das künftige Wohnquartier auf dem Wellersberg gestritten, am Ende stand eine Mehrheitsentscheidung - verbunden mit dem Auftrag, ein Gutachten zu erstellen; ob die Straßen auf den Berg den zusätzlich entstehenden Verkehr verkraften. Das liegt jetzt vor, Ergebnis: Geht. Wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (wir berichteten). Und der Streit wird wieder neu ausgerollt: Die CDU will weiterhin dieses für Siegen neuartige, weil autoarme und mit „alternativen“ Wohnformen ausgestattete Gebiet, verhindern und ein „kleines, feines, naturnahes“ Wohngebiet bauen: „Und nicht so einen Riesenklotz dahinhämmern“, fordert Jens Uhlendorf.
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Seit Jahren habe es geheißen, die Ampelschaltung könne nicht optimiert werden, „jetzt ein paar Anpassungen und schon geht es besser?“, fragt CDU-Fraktionschef Marc Klein. Man sei technisch nicht in der Lage, die veralteten Anlagen an der Freudenberger Straße zu koordinieren, könne sie nicht auf den vorhandenen, tatsächlichen Verkehr abstimmen, entgegnet Benjamin Hinkel, Abteilungsleiter Straße und Verkehr: „Die waren nie dafür ausgelegt, verkehrsabhängig geschaltet zu werden“, deswegen der Rückstau. Die Ampeln müssten komplett erneuert werden, „wir kriegen es nur so hin. Ohne eine komplette Erneuerung wird es nicht funktionieren.“
Weiter dagegen: Die Siegener CDU - „Trabantenstadt auf den Wellersberg gestülpt“
Einfamilienhäuser mit Stellplatz oder Garage - das sei genau die Art Wohngebiet, die stark nachgefragt werde. Das Verkehrsgutachten bekräftige die CDU-Bedenken, sagt Olaf Jagielski: Da werde eine „Trabantenstadt“ auf dem Wellersberg gebaut, bei einer „Infrastruktur am Rande der Leistungsfähigkeit“ - solche Konzepte funktionierten eher in Köln mit einem leistungsfähigen Nahverkehr, „aber bitte nicht auf dem Wellersberg“. Hier solle etwas aus Großstädten auf den Wellersberg „gestülpt“ werden, pflichtet Jens Uhlendorf bei; nach dem Motto: Wird schon irgendwie funktionieren. „Wir prophezeien: Nein, es funktioniert nicht.“ Der eine, stündliche Bus „fällt reihenweise aus - das ist ein Drama!“ Noch gar nicht berücksichtigt sei die Situation mit der Hufeisenbrücke über den Hauptbahnhof: „Spätestens 2028 ist die statisch am Ende - dann fährt da kein Bus mehr drüber.“ Sondern durch die bereits stark belastete Freudenberger Straße. „Das ist jetzt schon auf Kante genäht.“ Der Nahverkehrsplan sei gerade in Arbeit, niemand wisse wie das weitergehe. Weitere kleinere Baulücken am Wellersberg könnten mit dem Quartier nicht mehr geschlossen werden, weil der Verkehr „am Ende“ sei.
„Solche Konzepte funktionierten eher in Köln mit einem leistungsfähigen Nahverkehr, aber bitte nicht auf dem Wellersberg.“
„Der Verkehr wird ganz sicher kollabieren“, sekundiert auch Jürgen Rompf, „heute kommt der Verkehr mindestens drei Mal täglich nahezu zum Erliegen“, sagt Marc Klein - immer dann wenn der Unterricht an den Berufskollegs starte und ende. Die Politik dürfe den Menschen nicht vorschreiben, wie sie sich fortbewegen sollen - wer eine halbe Million Euro für ein Eigenheim zahlt, wolle sein Auto nicht sonstwo parken. Die 1,5 Autos pro Haushalt sein „im Querschnitt überall überschritten, das wird auch am Wellersberg so sein, da können wir noch so viele Fahrradabstellanlagen bauen.“
Immer noch dafür: Die meisten Siegener Ratsfraktionen - „auch andere Leute fahren mit dem Auto“
Auch die SPD sehe die Verkehrssituation kritisch, unterstütze aber die Verwaltung: Wenn das Gutachten ergibt, es sei noch zu machen - „wir sind nicht die Experten, die sich anmaßen können, ein Gutachten zu kritisieren. Wir beauftragen es, um uns darauf verlassen zu können“, mahnt Thomas Christian. Die Diskussion um die Verkehrserschließung habe man bei jedem Wohngebiet: „Da kommen immer Anwohner, die sagen ‚außer uns soll da keiner wohnen, sonst gibt es so viel Verkehr‘.“ Alle hätten das Recht, ein Auto zu besitzen - aber nicht, damit in einer bestimmten Zeit von A nach B zu kommen. „Man muss akzeptieren, dass auch andere Leute mit dem Auto durch die Gegend fahren.“
„Weil die Hufeisenbrücke nicht im Verkehrsgutachten steht, sollen wir den Wellersberg völlig einstampfen? Das ist absurd!“
Die Erschließung durch den ÖPNV, ein stündlicher Bus zur Kinderklinik und für junge Familien, sei dem jetzigen Wohngebiet Wellersberg schon nicht angemessen, „erst recht nicht wenn wir da oben Wohnungen bauen. Da muss was passieren!“ Dass das autoarme Quartier gute Verkehrswege braucht, ist für Ansgar Cziba (Grüne) Bedingung. Der Nahverkehr sei in der Tat eine besondere Schwierigkeit, sagt Abteilungsleiter Hinkel: Wird die Hufeisenbrücke neu gebaut, fahren Busse anders. Der Plan dazu sei eben in Arbeit - definitiv aber werde der ÖPNV kein Interesse daran haben, lange im Stau zu stehen, „die fahren sich sonst wahnsinnige Verlustzeiten ein.“ Man sei sicher nicht so blauäugig, dann alle Busse durchs Nadelöhr Wellersbergtunnel zu schicken.
„Wer da oben baut, entscheidet sich gewusst genau dafür - wir schreiben nichts vor“, sagt Ansgar Cziba. Sein Fraktionskollege Jürgen Schulz schaltet einen Gang hoch: Die CDU schiebe Gründe vor, um das Wohngebiet in der geplanten Form zu verhindern: „Weil die Hufeisenbrücke nicht im Verkehrsgutachten steht, sollen wir den Wellersberg völlig einstampfen? Das ist absurd! Sie scheinen ja absolute Verkehrsexperten zu sein.“ Die Welt verändere sich, „Sie haben wohl ein Problem damit, sich die Zukunft anders vorzustellen.“ Joachim Pfeifer steigt mit ein: Genau das sei Populismus. „Viele kleine offene Fragen immer wieder drehen, wenden und durchkauen“, bis sie von Randaspekten zur zentralen Frage geworden seien. „Sie nutzen das Verkehrsgutachten, um etwas zu verhindern“, wofür es aber einen Bedarf in Siegen gebe.
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Die Attacken wiederum lassen die Ausschussmitglieder der CDU nicht auf sich sitzen - es sei ihr gutes Recht, ihre Meinung zu vertreten, offene Fragen anzusprechen. die Diskussion aus dem Mai kocht wieder hoch.
Langsam sauer: Die Stadt Siegen - „Schreckensbild“ Hufeisenbrücke falsch
Marlene Krippendorf, Leiterin der Abteilung Stadtplanung, formuliert es behutsam: Es falle sehr schwer, die Arbeitszyklen auf die politischen Diskussionen einzubinden. Im Jahr 2020 sollten noch 300 Wohneinheitem im künftigen Quartier erreichtet werden, dann wurde reduziert, „jetzt stehen wir vor der nächsten Kommunalwahl und sollen ein ‚kleines, feines Wohngebiet‘ planen, gleichzeitig überall den Klimaschutz vorantreiben. „Entweder wir legen bis 2025 die Hände in den Schoß oder wir arbeiten weiter.“ Schließlich habe die Stadt die Planungshoheit und könne jederzeit an den Stellschrauben drehen. Wenn man immer wieder neue Anforderungen einarbeiten müsse, dauere es noch länger, als ohnehin schon. „Sie könnten uns vielleicht das Vertrauen entgegenbringen, dass wir gut gearbeitet haben und das auch künftig tun werden.“
„Sie könnten uns vielleicht das Vertrauen entgegenbringen, dass wir gut gearbeitet haben und das auch künftig tun werden.“
Stadtbaurat Henrik Schumann wird deutlicher: Die Verwaltung sollte nacharbeiten, ein Verkehrsgutachten erstellen. „Das haben wir getan, jetzt wird es in Frage gestellt.“ Die Gutachter kommen zum Schluss: Es funktioniert unter bestimmten Voraussetzungen - „wenn das nicht akzeptiert wird, müssen wir das hinnehmen“, aber es gebe einen mehrheitlichen Beschluss. Er finde es schwierig, an dem Verkehrsgutachten festzumachen, „dass es nicht weitergehen soll - dafür haben wir das Gutachten gemacht!“ Es helfe auch nicht, alle möglichen „Horrorszenarien an die Wand zu malen“: Baulücken könnten natürlich weiter geschlossen werden, auch das Schreckensbild der Hufeisenbrücke sei falsch: Es werde Jahre dauern oben auf dem Wellersberg. Wenn da irgendwann Menschen einziehen, werde die Hufeisenbrücke wohl erledigt sein, er sei da guter Hoffnung. Daran habe auch die Deutsche Bahn großes Interesse, immerhin führt das Bauwerk über diverse Gleise. „Das muss kompakt durchgezogen werden.“
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Der Ausschuss stimmt mit Ausnahme der CDU mehrheitlich dafür, dass die Verwaltung einen vertieften städtebaulichen Entwurf für das Wohngebiet ausarbeiten lässt, die Ergebnisse werden dann wieder der Politik vorgelegt. Der CDU-Vorschlag, auch die kleinere Variante mitzuprüfen, wird abgelehnt. Allgemeine Zustimmung finden die Bürgerbeteiligung, deren Ergebnisse ebenfalls im städtebaulichen Entwurf berücksichtigt werden sollen, sowie weitere Gutachten zur Bauleitplanung. Abschließend entscheidet am Mittwoch, 20. November, der Rat.