Siegen. NRW-Krankenhausplanung: Neonatologie von Siegener Kinderklinik abziehen, würde am Ende die Existenz des Hauses gefährden, warnt der Geschäftsführer.
Carsten Jochum hofft: „Wir sind im Gespräch“, berichtet der Geschäftsführer der DRK-Kinderklinik über die Gespräche im NRW-Gesundheitsministerium. „Auf die Neonatologie kann die Kinderklinik nicht verzichten“, stellt Jochum im Gesundheitsausschuss des Kreistags klar, „und auf die Kinderklinik kann die Region nicht verzichten.“ Das aber wäre die Folge, wenn die Abteilung in die Trägerschaft des Diakonie-Klinikums gegeben werden müsse. Weil die Existenzfrage gestellt ist, ist die DRK-Kinderklinik kampfbereit: „Wir würden vor Gericht gehen.“
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Am Anfang waren die Reaktionen auch aus dem Kreishaus positiv, als Düsseldorf die Anhörung zum Krankenhausplan startete: Doppelte Strukturen abbauen, Kompetenzen bündeln, Kooperation statt Konkurrenz, das hörte sich gut an. „Ein bisschen verwundert“ sei er da schon gewesen, sagt Bernd Brandemann (CDU), denn nach der Veröffentlichung seien „die Probleme schnell deutlich“ geworden. Zuerst hatte sich die Diakonie gemeldet, deren Klinikum Jung-Stilling seinen Status als Maximalversorger zu verlieren droht, wenn es keine Kardiologie-Abteilung mehr hat und Patienten mit Schlaganfall nicht mehr versorgen kann. Auf die Gefahr für die Kinderklinik machte die Kreisverwaltung im September in ihrer Stellungnahme aufmerksam.
Kinderklinik Siegen braucht Neonatologie für Intensivstation
Konkret geht es um die Neonatologie: Eine Fallzahl von 525 hatten Kinderklinik und Stilling, die das Perinatalzentrum gemeinsam betreiben, beantragt, weitere 70 das Marienkrankenhaus. Genehmigen will Düsseldorf nur 133 Fälle ausschließlich für das Jung-Stilling-Klinikum. „Intensivstation und Neonatalogie kann man nicht einfach voneinander trennen“, sagt Carsten Jochum und verweist auf den großen Einzugsbereich der Abteilung – der auch dadurch größer wird, dass eine Reihe von Geburtshilfeabteilungen in Südwestfalen bereits geschlossen wurden. „Es wäre verheerend, wenn keine Versorgung mehr stattfinden könnte.“ Denn die Kinderklinik könne eine Intensivstation ohne Neonatologie, sondern nur noch für andere Fachabteilungen nicht wirtschaftlich betreiben.
Kinderklinik in Zahlen
Die 1818 vom DRK-Frauenverein als Kinderkrippe zur Versorgung erkrankter Neugeborener gegründete Kinderklinik hat heute 158 Betten, davon 14 in der Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. 5877 Patienten wurden im vorigen Jahr stationär behandelt, bei rund 3200 wurden Eltern mit aufgenommen. 60.897 Kinder wurden ambulant versorgt, rund 10.000 Notfälle wurden behandelt. Zum Unternehmen gehören rund 1300 Mitarbeitende, davon 780 im Krankenhaus selbst
Die DRK-Kinderklinik Siegen hat ein Einzugsgebiet von 600.000 Menschen, darunter 120.000 Kinder und Jugendliche. Im Einzugsgebiet werden jährlich rund 8000, in der Stadt Siegen selbst über 2500 Babys geboren. Von ihnen werden rund 70 mit einem Geburtsgewicht unter 1200 Gramm und 650 über 1200 Gramm Patienten der Neonatologie. 2500 Kinder jährlich werden in der Chirurgie operiert. Die nächstgelegenen Kinderintensivstationen sind in Köln, Bonn und Dortmund. Die Wartezeit für eine Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie beträgt sechs bis neun Monate
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„Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Versorgung erhalten bleibt und sich an unserem Bedarf ausrichtet“, fordert Bernd Brandemann (CDU) und meint damit nicht nur die Kinderklinik, sondern auch die anderen Krankenhäuser. So fallen auch die geplanten Reduzierungen in Psychiatrie, Neurologie, Endoprothetik und Geriatrie auf; die Streichung der Kardiologie am Stilling werde nicht durch zusätzliche Plätze in anderen Häusern aufgefangen. „Kardiologie ist doch keine Wunschbehandlung.“ Den vom Ministerium unterstellten „ruinösen Wettbewerb“ der Krankenhäuser in Siegen gebe es nicht. „Wir müssen die Versorgung im Dreiländereck sicherstellen.“ 40 Prozent der Siegener Patienten kämen aus Hessen und Rheinland-Pfalz.
„ Wir müssen gemeinsam eine gute Versorgung für Mütter und Kinder hinbekommen.“
Kinderklinik-Geschäftsführer Carsten Jochum weist darauf hin, dass die Kinderkliniken generell unterfinanziert sei. „Es ist egal, was für eine Fahne darüber weht.“ Andere Träger würden das allenfalls durch „Quersubventionierung“ von anderen Abteilungen auffangen. Diakonie und Klinikum berieten derzeit über ein gemeinsames Eltern-Kind-Zentrum. „Wir müssen gemeinsam eine gute Versorgung für Mütter und Kinder hinbekommen.“ Dass beide Häuser gegeneinander konkurrierten, sei allenfalls eine aus der Vergangenheit stammende Wahrnehmung. „Es gibt keinen Clinch. Wir sind im guten Austausch miteinander.“
Kardiologie in Siegen: Reichen auch 2000 Behandlungsplätze weniger?
„Wir hoffen, dass die Gespräche erfolgreich sind“, sagt Margit Haars (Grüne), „wir brauchen die Kinderklinik dringend.“ Regine Stephan (AfD) nennt es „skandalös, dass die Kinderklinik mit Finanzierungsproblemen zu kämpfen hat“, die Abrechnung nach „Fallpauschalen“ sei überholt. Anke Flender (SPD) fragt nach den Folgen für die Facharztausbildung, falls die Planung des Landes umgesetzt wird. „Wenn die Neonatologie nicht mehr da ist, können wir diese Ausbildung nicht mehr leisten“, antwortet Carsten Jochum. Vergleichbare Probleme hätten andere Krankenhäuser auch, die Abteilungen abgeben, „Dabei haben wir schon Schwierigkeiten genug, Fachärzte nach Siegen zu holen.“ Hubert Berschauer pflichtet für die Marien-Gesellschaft bei: „Wir sind darauf angewiesen, dass junge Menschen ihre Weiterbildung umfassend machen können.“
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Georg Weil (CDU), selbst Arzt am Diakonie-Klinikum, verweist darauf, dass es mit der Zuweisungen von Fallzahlen nicht getan sei. „Es fehlen Behandlungsplätze. Ich kann ein Bett nur mit einem Patienten belegen, auch wenn rein rechnerisch fünf drin liegen dürften.“ Immerhin seien es rund 2000 kardiologische Fälle, die der Plan des Ministeriums nicht mehr berücksichtige. „Wir sind heute schon an der Kapazitätsgrenze.“ Prof. Dr. Frank Willeke, medizinischer Direktor der Marien-Kliniken, widerspricht. Nachfrage in der Kardiologie „kann man willenlos steigern. Wo ein Angebot ist, wird es auch angenommen.“ „Gottseidank“, erwidert Georg Weil, „dadurch hat sich die Zahl der Herzinfarkte reduziert.“
Kritik: Siegen denkt zu wenig an Wittgenstein
Widerspruch gegen die Planung des Landes kündigt Ludger Greulich, Geschäftsleiter der Klinik Wittgenstein des Johanneswerks, an. Bad Berleburg werde von der Reduzierung der Psychiatrie getroffen: „Auf Dauer ist das für den Träger ein Problem.“ Elmar Knoche, Geschäftsführer der Vamed-Klinik in Bad Berleburg, mahnt: „Wir sind auch Teil des Kreises Siegen-Wittgenstein. Wir haben in der Diskussion von Wittgenstein nichts gespürt.“ Immerhin gehe es in Bad Berleburg um rund 7000 Patienten, denen bei Schlaganfällen oder Herzinfarkten einstündige Fahrzeiten nach Siegen drohten: „Wenn wir vom Netz gehen, ist es für die Region relativ dunkel.“
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Anke Flender (SPD) wirft den Blick zurück auf das Jahr 2019, den Anfang vom Ende der ersehnten Mediziner-Ausbildung an der Siegener Uni. Da sei der Zusammenschluss der Siegener Krankenhaus zu einem Quasi-Universitätsklinikum „doch fast schon geklärt“ gewesen. Die aktuelle Diskussion über die Krankenhausplanung liefe anders, „wenn wir da weitergekommen wären. Woran hat es gelegen?“ Beantworten möchte die Frage niemand.