Siegen. „Nato-Gebiss“ und „langer Marsch“: Wohnquartier Wellersberg treibt in der Siegener Politik den Blutdruck enorm nach oben, Fronten sind verhärtet.
Wie emotionalisiert die Diskussion um das geplante Wohnquartier auf dem Wellersberg ist, zeigt sich am Wanderweg durch Tiergarten und Trupbacher Heide. Der „Erlebnisweg Sieg“, der in der Nähe beginnt, wurde im vergangenen Jahr markiert - aber die Waldgenossenschaft, über deren Flächen der Weg verläuft, hat einen Rückzieher gemacht. Ihre Zustimmung, berichtete Bürgermeister Steffen Mues im Rat, knüpften die Waldgenossen an die Bedingung, dass auf dem Wellersberg überhaupt kein Wohngebiet gebaut werde. „Da ist bei mir der Ofen aus“, so der Verwaltungschef, der am Mittwoch, 29. Mai, sichtlich unzufrieden mit der Entwicklung war, die das als Vorzeigeprojekt für Siegen gedachte Quartier inzwischen genommen hat. Das betreffende Teilstück des Wanderwegs sei daher nun nicht mehr markiert, „wir werden einen anderen Weg suchen“, bekräftigte Mues. Das Projekt sei dadurch nicht gefährdet, auch wenn dieser Abschnitt zwar nur kurz, aber gleichwohl sehr schön sei.
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Insbesondere die CDU hat das Thema offensichtlich als wichtig fürs politische Profil identifiziert. Die Richtung, in die das Wohngebiet gehen soll, schmeckt der Siegener Union erkennbar nicht - zumal sie es wohl den Grünen nachträgt, die gemeinsame Position aus Jamaika-Zeiten nun geändert zu haben. Man stehe nach wie vor zur Absprache von 2017/18, hatte Fraktionschef Marc Klein im Rat betont: ein kleines, feines Wohngebiet im Grünen. Ja, auch mit gefördertem Wohnraum. Aber Stellplatz am Haus.
Verkehrserschließung: Zum neuen Wohngebiet nur über Wellersbergstraße - Flaschenhals?
Aber da ist noch mehr. Auf konservativer Seite kann man sich nur schwer vorstellen, dass in einer solchen Premium-Lage (und das ist der Wellersberg definitiv) Menschen auf ihr Auto vor der Tür verzichten können. Wobei es gar nicht darum geht, mit schweren Einkäufen nicht bis zur Wohnung fahren zu dürfen - das Auto soll dort nur nicht dauerhaft stehen, damit der knappe Platz im Quartier für etwas anderes genutzt werden kann als für geparkte Fahrzeuge. Daher die Idee der Quartiersgaragen, nicht weiter als 150 Meter entfernt, in denen Autos nach dem Ausladen dann geparkt werden. Die einen finden‘s super, die anderen überhaupt gar nicht. Wobei sich dann auch noch die Frage der Finanzierung stellt.
Die Verkehrserschließung: In 225 Wohneinheiten leben nochmal mehr Menschen, die da irgendwie hinkommen müssen und von anderen besucht werden, wahrscheinlich zu großen Teilen auch mit dem Auto. Die einzige Straße ins Wohngebiet ist die Wellersbergstraße, über den Knotenpunkt Freudenberger Straße, denn eine Erschließung durchs Charlottental wird mehrheitlich ausgeschlossen. Zu Stoßzeiten kann es da schon mal eng werden, daher fürchtet die CDU, dass es noch schlimmer wird an diesem Flaschenhals, gerade wenn man schnell zur Kinderklinik muss. Dann kann allerdings ganz Siegen schnell zum Flaschenhals werden und Rettungsfahrzeuge kommen trotzdem meist ordentlich durch - aber eine Premium-Anbindung ist das in der Tat nicht. Das zeigt auch das im Verwaltungsvorschlag enthaltene Verkehrsgutachten, das die Lage hier erst noch mal genauer unter die Lupe nehmen soll.
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All das sind, das stellte auch Grünen-Fraktionschef Michael Groß fest, legitime Kritikpunkte. Die CDU positioniert sich an dieser Stelle mutmaßlich eher nicht, um den Grünen mal so richtig eins auszuwischen, sondern aus Sorge um die Stadtentwicklung. Mehrere kurze Videos zu einzelnen Punkten auf Social Media wurden ihr von Grünen-Seite als „Kampagne“ vorgeworfen, sind aber eher geprägt von harmloser Sachlichkeit. Im Gegenzug revanchiert man sich mit dem Vorwurf der Grünen Verbotspartei und dem „Nato-Gebiss“, in der Folge wirft man sich gegenseitig allerhand an den Kopf („langer Marsch“); dass der CDU-Kooperationspartner SPD, außerdem UWG, Linke und große Teile von FDP und GfS (Ex-CDUler) auch für das Konzept sind, spielt erstaunlicherweise keine Rolle. Sich in dieser Gemengelage, wird zwischendurch angemerkt, doch noch einmal für eine gemeinsame Lösung zusammenzusetzen, wird immer unwahrscheinlicher.
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Beschlossen wurde wie berichtet ein vertiefender städtebaulicher Entwurf, zuerst steht das Verkehrsgutachten. Politik und Verwaltung behalten dabei die Hoheit über die weitere Entwicklung. Was aus städtebaulichen Entwürfen werden kann, lässt sich gerade bei der Uni in der Innenstadt besichtigen: Die Hochschule will nach fünf Jahren dem Wissenschaftsministerium einen neuen Masterplan für ihren Umzug ins Zentrum vorlegen.