Hagen-Haspe. Ein Besuch im einstigen Reidemeisterhaus an der Voeder Straße entführt in Zeit der Ursprünge der Hasper Metallverarbeitung
Die ursprüngliche Eingangstür ist heute lediglich noch ein Notausgang. Doch der mächtige, hölzerne Türsturz über der grünen Pforte verrät schon auf den ersten Blick, die weit ins 18. Jahrhundert zurückreichende historische Vergangenheit des liebevoll restaurierten Fachwerkbaus an der Voerder Straße im Westen von Hagen Anno 8. April 1747 zog hier der Bauherr und Reidemeister Adam Katthage mit seiner Frau Anna Elisabeth Fischer ein. Die Buchstaben-Kombinationen „ADKH“ und „AEBF“ verraten es. Dazu die Original-Inschrift „Wirft Dein Auugen auf den Herren. Er wird dich versorgen und wird den gerechten nicht Ewiglich zu unruhe lassen.“ Lange ist’s her.
Inzwischen dient die denkmalgeschütze Immobilie mit der Hausnummer 74 als „Kinderhaus Löwenzahn“ 30 vorzugsweise Hasper Mädchen und Jungen als eine Oase der Glückseligkeit, die mit ihrer besonderen Aura ein heimeliges Wohlgefühl ausstrahlt.
Das Reidemeisterhaus gehört neben den weitaus prominenteren Adressen wie Haus Harkorten oder Haus Stennert zu den letzten drei Gebäuden, die in Haspe an die Reidemeisterzunft und somit an den Beginn des industriellen Zeitalters entlang der Ennepe und des Hasper Bachtals erinnern. Dabei handelte es sich um Kleinunternehmer, die auf eigenem, hauptsächlich landwirtschaftlich genutztem Boden ein kleines Hütten- oder Hammerwerk oder eine Schmiede betrieben. Auf dem Höhepunkt ihrer Bedeutung waren diese Leute eine zentrale Gruppe für die Herstellung, aber eben auch den Vertrieb metallgewerblicher Produkte. Die Reidemeister verfügten über eigene Produktionsstätten, die sie entweder allein besaßen oder von Pächtern bewirtschaften ließen, während sie selbst den Fokus auf den Verkauf richteten. Entsprechend war die Unternehmerform der Reidemeister typisch für die Blütezeit des frühen Hasper Eisengewerbes.
„Der Großvater des Bauherren Adam Katthage, ein gewisser Heinrich Katthage, soll im Hasper Bachtal unweit des Reidemeisterhauses nach dem 30-jährigen Krieg den Schmiedebetrieb der Familie wieder aufgebaut und die Tradition der Metallverarbeitung wieder aufgenommen haben.“
Wohnhaus und Lagerstätte
Stefanie Mansfeld, geschäftsführender Vorstand der Elterninitiative „Kinderhaus Löwenzahn“, hat zu den Wurzeln der heutigen Kinderwelt recherchiert: „Der Großvater des Bauherren Adam Katthage, ein gewisser Heinrich Katthage, soll im Hasper Bachtal unweit des Reidemeisterhauses nach dem 30-jährigen Krieg den Schmiedebetrieb der Familie wieder aufgebaut und die Tradition der Metallverarbeitung wieder aufgenommen haben.“
Die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“
In der großen Sommerserie der Hagener Stadtredaktion erzählen wir die Geschichten von außergewöhnlichen Häusern und Landmarken: Viele haben sie vielleicht schon einmal am Wegesrand entdeckt, wissen aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Folgende Teile sind bereits erschienen:
- Bahnhof Hagen-Dahl: Wohnen, wo die Züge rollen
- Pavillon in der Hagener City - das Reisebüro schließt, und dann?
- Blau-Weißes Haus am Tücking: Dort wohnt gar kein Schalke-Fan
- Leben wie im Märchen: Ein Besuch auf dem Waldhof in Hagen-Tiefendorf
- Historisch: Ein Blick in die gelbe Villa in Hohenlimburg
- Das unerreichbare Haus: Es wurde bei der Eingemeindung vergessen
- Liebe auf den ersten Blick - und neues Leben im Haus der Ruhrkohle
- Wie aus Grimms Märchen: Das Haus Ruhreck - und seine Rettung
- Winziges Häuschen am Hasper Straßenrand - welche Geschichte steckt dahinter?
- Wie eine Millionensumme eine Hagener Fabrik rettet
- Ein Besuch in der „Burg“ in Hohenlimburg an der Lenne
- Leben im grünen Paradies - neben dem Backhaus in Wehringhausen
- Große Vergangenheit verschafft Hasper Kindern eine Zukunft
- Fachwerkhaus wird aus Dornröschenschlaf geweckt
- Wie eine Burg: Auf den Spuren der roten Cuno-Siedlung
- Haus am See: So wohnt eine Familie in Hagen in einem Denkmal
- Die Villa mit dem grünen Turm: Nadelstiche zwischen alten Mauern
- Von vielen Stellen aus zu sehen: Der Funkturm auf dem Riegerberg
- Villa am Goldberg: Hier gibt es keine rechteckigen Zimmer
- Die Lust an der Einsamkeit: Familie lebt in Hagen im Forsthaus
- Juwel im Grünen: Die Geschichte einer Dahler Villa
- Eine Tour zu versteckten Ecken im Hagener Hohenhof
- Bordell in Hagen: Eine Peepshow und wie hier alles begann
- Die Insel im Hengsteysee: Der Mäuseturm und seine Geschichte
- Berchumer möchten vergessene Ruine neu beleben
Die 1747 errichtete Fachwerk-Immobilie diente jedoch nie als Produktionsstätte, sondern vorzugsweise als Wohnhaus und Lagerfläche für die Metallwaren. Diese wurden über einen Seilzug ins Dachgeschoss gehievt, was sich, so zeigen die Spuren der durchgebogenen Deckenbalken, als statisch riskant herausstellte. Einer der letzten Bewohner des Reidemeisterhauses, Erwin Schaffland, betrachtete dies jedoch mit großer Gelassenheit. 1986 berichtete er Stadtheimatpfleger Michael Eckhoff bei einem Besuch, dass die alten Baumaterialien viel flexibler gewesen seien. Als im Krieg die Bomben fielen, habe das Haus nicht einmal gezittert.
Ein trügerischer Optimismus. Denn in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts neigte sich die Front des altehrwürdigen Objektes zunehmend auf die Voerder Straße zu, sodass die Stadt als Besitzer in Abstimmung mit den Denkmalschützern und reichlich EU-Fördermitteln für eine Grundsanierung mit Millionen-Budget entschied. Dabei spielte dem Projekt in die Karten, dass die Kindergartenplanung für den Standort einen erheblichen Bedarf an Plätzen ausmachte, sodass sich zugleich eine potenzielle Nutzung für das Kleinod ergab.
Fakt ist, dass für das seinerzeit 250 Jahre alte Gebäude Einsturzgefahr bestand, als der Hasper Zimmerermeister und Restaurator Klaus Plohmann sich des Projektes annahm: „Die Fachwerke waren völlig überlastet, das Gebäude stand kurz vor dem Zusammenbruch“, erzählte er 1998 im Gespräch mit der Stadtredaktion. Der Sockelbereich, das Gebäude ruht auf einem Bruchsteinuntergrund, hatte kaum noch statische Funktion. Das Eichenfachwerk war in weiten Teilen marode: „Die Balken waren von Käfern und Würmern zerfressen und durchbohrt“, kann Stefanie Mansfeld bei einem Rundgang noch Originalhölzer präsentieren, die als Reminiszenz an die Vergangenheit bewahrt wurden. Hinter einer Glasscheibe lassen sich auch noch die unverputzten Wandkonstruktionen bewundern. Hinzu kam, dass ein Brandschaden im Dachstuhl nur notdürftig repariert worden war.
„Die Fachwerke waren völlig überlastet, das Gebäude stand kurz vor dem Zusammenbruch.“
Handwerk nach alter Väter Sitte
Für das Plohmann-Team seinerzeit eine echte handwerkliche Herausforderung. Von den Giebeln mal abgesehen, blieb lediglich noch das Skelett des Reidemeisterhauses stehen. „Unser oberstes Ziel ist es, möglichst viel alte Substanz zu erhalten“, wechselten die Zimmerleute nach alter Väter Sitte und in Abstimmung mit den Denkmalhütern wirklich nur das Notwendige aus. Zapfen und klassische Holzverbindungen wurden eingeschlagen, moderne Stahlbleche blieben verpönt. „Bei solch einem Auftrag können unsere Lehrlinge mehr über die ursprüngliche Handwerkskunst lernen als bei jedem anderen Job“, freute sich Plohmann über die Chance.
Die freigelegten Fachwerke wurden im Anschluss mit Lehmsteinen wieder ausgemauert und der Dachstuhl komplett erneuert. Entsprechend mussten auch die Decken ausgetauscht und stabilisiert werden, die verfallenden Sprossenfenster wurden nach alten Mustern rekonstruiert. Gleiches galt für die verschieferte Wetterseite.
Für die künftige Kindergartennutzung wurde das Gebäude im Rahmen der Sanierung zweigeteilt: In der einen Hälfte findet sich Platz für die zehnköpfige Flohgruppe (4 Monate bis 3 Jahre), nebenan tobt die zwanzigköpfige Froschgruppe (3 Jahre bis Einschulung). Im Obergeschoss ist zudem Raum für eine Puppenwohnung und ein Bällebad entstanden, das Dachgeschoss bleibt nicht zuletzt aus statischen Grünen ungenutzt. Verbunden sind die beiden Etage mit modernen Treppen, die jedoch nach den ursprünglichen Plänen platziert und dimensioniert wurden. Im Untergeschoss findet sich zudem noch ein kleiner Gewölbekeller für Vorräte, in dem einst auch ein Brunnen die Wasserversorgung der Bewohner sicherte.
Ein weiterer Blickfang ist der gemauerte Kamin im Mittelpunkt des Fachwerkhauses: „Er ist die historische Stütze des Hauses“, präsentiert Stefanie Mansfeld die mächtige Konstruktion, die früher nicht bloß zum Heizen, sondern auch zum Backen diente. Daneben hingen die Schweinehaken, an denen die geschlachteten Tiere baumelten. Denn der Garten des Reidemeisterhauses diente einst nicht bloß dem Gemüseanbau, sondern auch der Tierhaltung für den Eigenbedarf. Heute lockt hier eine attraktiv gestaltete Spiellandschaft.
Heile Kinderwelt macht fit fürs Leben
Die technische Herzkammer des Kinderhauses Löwenzahn wurde im Rahmen der Restaurierung in einem Anbau platziert, der über einen gläsernen Verbindungstrakt mit Eingangszone direkt an den historischen Komplex angebunden ist. Hier finden sich die Büros und Sozialräume, aber auch Heizung und Sanitärbereiche. Vom Straßenlärm der stetig vorbeidonnernden Verkehrsströme mal abgesehen, ist hier eine heile Kinderwelt entstanden, die die Kleinen in einer der wichtigsten Entwicklungsphasen prägen dürfte.
„Es ist hier wie in einem Elfenbeinturm“, weiß auch Stefanie Mansfeld diese privilegierte Umgebung zu schätzen. „Familie wird bei uns sehr großgeschrieben“, wissen auch die Eltern, die die Initiative mit ihren Mitgliedsbeiträgen tragen, diese Stätte und das sich stetig weiterqualifizierende 13-köpfige Erzieher-Team zu schätzen. Dieser behütete Kosmos schafft zugleich das Rüstzeug für die Unbilden dieser sich immer verrückter drehenden Welt. „Die Kinder sollen hier ein Standing bekommen“, ist die Geschäftsführende Vorständin überzeugt, dass die Mädchen und Jungen unter dem Dach eines Denkmals aus der Mitte des 18. Jahrhunderts das Rüstzeug für das 21. Jahrhundert erhalten.
Ein Konzept, das am 1. August 1999 an den Start gegangen ist und am Samstag, 24. August, im Rahmen eines Sommerfestes sein 25-jähriges Jubiläum feiert. Im Rahmen einer ganztätigen Beach-Party besteht die Chance, sowohl einen Blick auf das Konzept der Elterninitiative, aber auch auf die Spuren der großen Vergangenheit einer spannenden Hasper Fachwerk-Immobilie zu werfen.