Hagen-Haspe. Auf dem Tücking zwischen Haspe und Vorhalle steht ein Haus in Blau-Weiß mit der Jahreszahl „1904“ über der Pforte: Hier wohnt kein Schalke-Fan.

Eines ist sonnenklar: Der Besitzer dieses Hauses scheint ein Hardcore-Schalke-Fan zu sein. Er dürfte in blau-weißer Bettwäsche schlafen, schon morgens zum Frühstück das Steiger-Lied anstimmen und von Stan Libuda über Rüdiger Abramczik, Ebbe Sand, Raul bis Simon Terodde sicherlich die Autogrammkarten sämtlicher Knappen-Stars in einem deckenhohen Schrein vereinen. Die Fassade seines Hauses ist in Blau-Weiß getüncht und der imposante Stahlzaun rund um das stattliche Grundstück ebenfalls in markant-kräftigem Blau gehalten. Über der Eingangspforte prangt obendrein die so emotionsbehaftete Zahl des Gründungsjahres 1904 – Schalker Herz, was willst du mehr.

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Selbst der historische Brunnen auf dem Grundstück von Manfred Weber, der noch immer verlässlich Wasservorräte liefert, ist natürlich in Blau-Weiß angepinselt worden. © WP | Michael Kleinrensing

Wer in Hagen den Tücking über den Wolfskuhler Weg quert und sich treu den Kickern aus Gelsenkirchen verbunden fühlt, empfindet das unübersehbare Gehöft mit der Front in den Schalker Vereinsfarben schon seit Jahren geradezu als Kult-Stätte für Fan-Leidenschaft. „Ich interessiere mich gar nicht so für Fußball“, nimmt der Hausherr beim Besuch auf dem einstigen Bauernhof in schönster Höhenlage dem neugierigen Reporter mit nur einem einzigen trocken dahingesagten Satz jegliche Illusionen. „Schon oft wurde ich wegen der 1904 über meiner Tür angesprochen“, erzählt Manfred Weber mit gelassenem Lächeln, „doch eigentlich fühle ich mich gar keinem Verein eng verbunden – ich schaue mir eher mal ein Länderspiel an.“

„Schon oft wurde ich wegen der 1904 über meiner Tür angesprochen, doch eigentlich fühle ich mich gar keinem Verein eng verbunden – ich schaue mir eher mal ein Länderspiel an.“

Manfred Weber
Herr des blau-weißen Hauses auf dem Tücking

Blau als Lieblingsfarbe

Und warum dann ausgerechnet alles im legendären Königsblau der Schalker? „Kräftiges Blau ist einfach meine Lieblingsfarbe“, schiebt Weber gleich noch einen wichtigen Hinweis hinterher: „Es handelt sich übrigens um Enzianblau – RAL-Farbe 5010.“ Das Schalker Königsblau – jeder Knappen-Fan weiß dies natürlich – ist auf der RAL-Farbpalette wiederum mit der Ziffernfolge 2603035 hinterlegt. Mit bloßem Auge so leicht voneinander zu unterscheiden wie Feuerwehr-, Flamenco-, Ferrari-, Kaiserkirschen- und Knatschrot.

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Wo einst die Milchkannen gefüllt wurden, verschließt heute eine blau-weiße Holzpforte zu dem Naturstein-Anbau des alten Gehöftes auf dem Tücking. © WP | Michael Kleinrensing

Dass selbst der mächtige Stahlzaun rund um Webers Schafweide in seinem satten Blau-Lieblingston gestaltet werden durfte, war anfangs keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Der behördliche Argwohn betrachtete die ungewöhnliche Kolorierung als eine Störung des Landschaftsbildes im Reigen der vorzugsweise grünen Felder, Wiesen, Büsche und Bäume. Der tiefblaue Himmel über dem Tücking fiel da als Gegenargument komplett durch. Doch da der lackierte Pfosten des Bushaltestellen-Schildes auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor der Pforte des einstigen Ausflugslokals von Fritz Esken ebenfalls weit sichtbar in Blau in der Sonne glänzt, drückte man im Rathaus letztlich generös beide Augen zu.

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Zeit des Milchbauern ist vorbei

Vor 20 Jahren hat Manfred Weber, der noch eine Bleibe in Herdecke sein Eigen nennt, die Landwirtschaft der bäuerlichen Familie Michel von der dritten Generation übernommen. Ein Jahresstein über der Pforte der Milchküche, der mit seinem Namen auf das Jahr 2004 verweist, erinnert an diesen Besitzerwechsel. Die Michels hatten über Jahrzehnte hinweg vorzugsweise im Nebenerwerb auf dem Tücking Milchwirtschaft betrieben. Die nach dem Melken gefüllten Kannen wurden auf einem Holzbock am Straßenrand abgestellt und zur Molkerei nach Eckesey gefahren, später betrieb die Familie noch ein Milchgeschäft in Vorhalle. Die 18.000 Quadratmeter Grünland drumherum lieferten das Futter für die Kühe.

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Das ausladende Gartengrundstück ist ein Paradies für Genießer auf den Höhen der Stadt. © WP | Michael Kleinrensing

Rinder gibt es heute dort keine mehr. Manfred Weber kümmert sich derweil um ein gutes Dutzend Schafe, Katzen und Hühner. Wobei die Grünflächen drumherum weiterhin die Versorgung der Tiere sichern. Das auf einem Emaille-Schild prangende Motto an einer Schuppentür „Echte Männern fahren Traktor“ wird hier noch gelebt. Mit der jüngsten Zugmaschine aus dem Trecker-Fuhrpark werden Mähwerk und Heuwender gezogen, der Deutz-Traktor aus dem Jahr 1963 und ein zwei Jahre jüngerer Fendt lassen eher Sammlerherzen höher schlagen. Als gelernter Autoschlosser, der einst bei DKW Schmitz in Eckesey seine Ausbildung genoss, kümmert sich der Rentner bis heute selbst um die robuste Technik der Fahrzeuge.

Alter Brunnen voll funktionsfähig

Ein parkähnliches Grundstück mit gemütlichen Sitzecken, grünen Nischen und stattlichen Rasenflächen – ein Königreich für einen Aufsitzrasenmäher – umsäumt das bäuerliche Ensemble. In dessen Mitte fällt ein natürlich ebenfalls blau-weißer Holzverschlag ins Auge. Unter der Türklappe verbirgt sich ein komplett funktionsfähiger, mit Backsteinen ausgemauerter Brunnen, dessen Wasserpegel selbst in den Sommermonaten noch neun Meter in die Tiefe reicht. Die Eimer-Kette wird mit einer Winde über einen Eichenholzbalken in die Höhe gezogen, der genauso alt wie das Gehöft ist.

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Das frühere Stallgebäude des Hofes hat Manfred Weber mit seiner inzwischen verstorbenen Frau in ein sehr individuelle gestaltetes Wohn-Zuhause umgestaltet. © WP | Michael Kleinrensing

Den ehemaligen Kuhstall hat Weber gemeinsam mit seiner inzwischen verstorbenen Frau längst in ein Wohnreich verwandelt. Die Tennen-Pforte dient längst als lichtspendender Haupteingang, auch eine Holzklappe in der Naturstein-Gebäudefront zur Heueinlagerung wurde durch ein Fenster ersetzt. Dahinter eröffnet sich ein Reich voller Kunst, Trödel und Nippes, für das der Begriff „Kuriositätenkabinett“ eigentlich zu kurz greift.

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Eine Mischung aus Kunst, Nippes, Raritäten und Kuriosem macht das besondere Flair des hohen Raumes aus. © WP | Michael Kleinrensing

Zwischen Historie und Kitsch

Die frühere Tenne, in die einst die Kühe aus ihren Verschlägen ihre Hälse hinein reckten, hat sich in ein Wohn-Panoptikum verwandelt, in dem keine Ablage, kein Sims und keine Nische als Abstell- und Präsentationsfläche ungenutzt bleibt. Krüge, Zinnguss und Porzellan wechseln sich mit ausgestopften Tierfiguren wie Eichhörnchen, Fasanen oder auch Greifvögeln ab. An den Wänden baumeln Fuchsfelle neben Plastik-Blumenschmuck und vergilbten Schwarz-Weiß-Fotografien. Eine Weihnachtskrippe wird von Tassen, Kerzenständern und einer Plüschbärensammlung abgelöst. Ein offener Kamin sorgt bei Kühle für wohlige Wärme.

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Der frühere Eingang zum Stall ist heute die Pforte zu Manfred Webers Zuhause. © WP | Michael Kleinrensing

Bei all dieser Reizüberflutung kann ein historisches, gusseisernes Sprossenfenster an der Kopfseite leicht übersehen werden. Im einstigen Kuhstall dominiert inzwischen ein ausladendes Himmelbett die Schlafzimmer-Szenerie, der frühere Hühnerstall dient als Badezimmer-Wohlfühlnische. Der Pferdestall wurde zur Küche, und vor der Tür verwandelte Manfred Weber das einstige Misthaufen-Plateau in einen gemütlichen Sitzplatz. „Das sind alles Dinge, die uns Freude und Spaß gemacht haben“, steht Weber zu der überbordenden Sammlung an Schrägem, Kitschigem, Ungewöhnlichem, aber vor allem auch sehr Privatem, die er zusammen mit seiner Frau auf Trödel- und Pferdemärkten im Laufe der Jahre zusammengetragen hat. „Dann kann auch das letzte Teil richtig schön sein“, blickt der 75-Jährige voller Emotionen auf die ungezählten Apropos und kleinen Geschichtenerzähler, die dem altehrwürdigen Gehöft auf dem Tücking noch so viel Leben und Individualität einhauchen. Mit blau-weißen Fußballwelten hat das alles allerdings rein gar nichts zu tun.