Hagen-Haspe. WBH-Förster Martin Holl lebt am Kurk mit seiner Partnerin Julia Römer und dem gemeinsamen Sohn in den Tiefen der Hagener Wälder.

Sie waren die Helden des Heimatfilm-Zeitalters: Förster, die abseits des grauen Großstadtgetöses und den boomenden Industriekulissen in der Ära des Wirtschaftswunders eine heile Welt der Natur bewahren. Ein Ideal, das schon damals kaum existierte, allerdings bis heute ein Mythos geblieben ist. Martin Holl ist da ganz Realist. Und dennoch hat sich der Leiter des Forstressorts beim Wirtschaftsbetrieb Hagen (WBH) mit seiner Familie ganz bewusst dafür entschieden, die Einsamkeit eines Forsthauses als sein Zuhause zu entdecken und jeden Tag ein wenig mehr zu einer harmonischen Symbiose zwischen zivilisatorischem Leben und ursprünglicher Natur weiterzuentwickeln.

Das Forsthaus „Im Kurk“ oberhalb des Kettelbachtals hat als Waldpädagogisches Zentrum in Hagen sich durchaus einen Namen gemacht, doch es bleibt in den Tiefen des Hasper Waldes vor den Blicken der meisten Menschen verborgen.

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In den Tiefen des Hasper Waldes unweit der Stadtgrenze zum EN-Kreis bewohnt WBH-Förster Martin Holl gemeinsam mit seiner Partnerin Julia Römer und Sohn Mats das Forsthaus im Kurk direkt neben dem WBH-Betriebshof. © WP | Michael Kleinrensing

Das cineastische Idyll der 50er-Jahre ist schnell skizziert und zugleich ein Zerrbild: Im dunklen Tann werden gerne zarte, erotikfreie Bande geschlossen, so die Grundthese. Bis ein Wilderer auftaucht und im Wald edles Rotwild erlegt. Fesch und lodengrün stapft der Förster durchs Unterholz und dem Unhold entgegen, stets engagiert für Gehölz, Wiese und Mümmelmann. Die Liebe zur sauberen und blutjungen Maid kommt vor lauter Heroismus dabei fast zu kurz. Doch das Happy End ist am Ende nicht aufzuhalten. Der Wilderer wird gefasst, die Hirsche röhren wieder, der Hochzeitstanz kann beginnen.

Zerrbild der 50er-Jahre

Filme mit kernigen Weidmännern und netten Damen in Tracht führten die Zuschauer einst in die vermeintlich heile Welt der Wiesen, Wälder und Weidleute. Was beispielsweise in „Der Förster vom Silberwald“ (1954) erzählt wird, ist typisch für das Genre des deutschen Heimatfilms, das mit ähnlichen Sujet-Variationen volle Kinokassen garantierte. Wenn cineastisch der Berg rief, die Bauernburschen jodelten, die Landjunker mit Rössern übers Heidekraut preschten und die Herzen bezopfter Mägde brachen, war es proppenvoll in den deutschen Lichtspielhäusern.

Wunderbare Landschaftsaufnahmen unversehrter Natur, verloren gegangene Werte wie Familie, Edelmut, Anstand und Würde erwachten zum Leben. Gute waren wirklich gut, Böse tatsächlich böse. Das Heil im Forst und die Ruhe auf der Alm waren in der Nachkriegszeit willkommene Ablenkung und der gewollte Gegenpol zur Nazi-Ideologie von Blut und Boden.

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Zurzeit leben auch einige Wachteln am Forsthaus im Kurk, weil Tierschützer für die verwahrlosten Tiere eine Unterkunft gesucht hatten. © WP | Michael Kleinrensing

Heute wird der kommunale Forst betrieben wie ein klassisches Wirtschaftsunternehmen, das zugleich helfen soll, dem Klimawandel zu trotzen. Es geht einerseits um das Bewahren von Grün- und Tierwelt, aber andererseits auch um das Erzielen von Erlösen. Moderne, naturnahe Forstwirtschaft dient dem Erhalt, der Pflege und Nutzung des stadtnahen Erholungswaldes ebenso wie dem Umwelt- und Artenschutz sowie dem Management der Waldökosysteme. Geblieben ist der Förster, der im Zentrum teils widerstrebenden Interessen die Fäden zusammenhält.

„Durch die Nähe zum WBH-Betriebshof ergibt sich die Chance, zusammen mit der Familie zu frühstücken oder die Mittagspause zusammen zu verbringen.“

Martin Holl
Leiter des Forstressorts beim Wirtschaftsbetrieb Hagen

Martin Holl hat sich aus Überzeugung dem Förster-Job verschrieben und genau deshalb das Forsthaus als Heimat für seine Familie entdeckt. „Ich wäre ja blöd, wenn ich das nicht nutzen würde“, empfindet der 40-Jährige es keineswegs als Belastung, dass sein angemietetes Zuhause zugleich Arbeitsplatz ist.

Zusammen mit seiner Partnerin Julia Römer und dem gemeinsamen einjährigen Sohn Mats lebt der 40-Jährige seit dem Jahr 2020 in dem Wohnhaus neben dem WBH-Betriebshof unweit der Stadtgrenze zum EN-Kreis. „Förster zu sein, ist ohnehin kein Nine-to-five-Job“, gibt es immer wieder Einsätze, bei denen weit nach Feierabend seine professionelle Expertise gefragt ist. „Außerdem ergibt sich durch diese Nähe zum WBH-Betriebshof die Chance, zusammen mit der Familie zu frühstücken oder die Mittagspause zusammen zu verbringen.“

Die Sommerserie „Schätze am Wegesrand“
In der großen Sommerserie der Hagener Stadtredaktion erzählen wir die Geschichten von außergewöhnlichen Häusern und Landmarken: Viele haben sie vielleicht schon einmal am Wegesrand entdeckt, wissen aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Folgende Teile sind bereits erschienen:

  1. Bahnhof Hagen-Dahl: Wohnen, wo die Züge rollen
  2. Pavillon in der Hagener City - das Reisebüro schließt, und dann?
  3. Blau-Weißes Haus am Tücking: Dort wohnt gar kein Schalke-Fan
  4. Leben wie im Märchen: Ein Besuch auf dem Waldhof in Hagen-Tiefendorf
  5. Historisch: Ein Blick in die gelbe Villa in Hohenlimburg
  6. Das unerreichbare Haus: Es wurde bei der Eingemeindung vergessen
  7. Liebe auf den ersten Blick - und neues Leben im Haus der Ruhrkohle
  8. Wie aus Grimms Märchen: Das Haus Ruhreck - und seine Rettung
  9. Winziges Häuschen am Hasper Straßenrand - welche Geschichte steckt dahinter?
  10. Wie eine Millionensumme eine Hagener Fabrik rettet
  11. Ein Besuch in der „Burg“ in Hohenlimburg an der Lenne
  12. Leben im grünen Paradies - neben dem Backhaus in Wehringhausen
  13. Große Vergangenheit verschafft Hasper Kindern eine Zukunft
  14. Fachwerkhaus wird aus Dornröschenschlaf geweckt
  15. Wie eine Burg: Auf den Spuren der roten Cuno-Siedlung
  16. Haus am See: So wohnt eine Familie in Hagen in einem Denkmal
  17. Die Villa mit dem grünen Turm: Nadelstiche zwischen alten Mauern
  18. Von vielen Stellen aus zu sehen: Der Funkturm auf dem Riegerberg
  19. Villa am Goldberg: Hier gibt es keine rechteckigen Zimmer
  20. Die Lust an der Einsamkeit: Familie lebt in Hagen im Forsthaus
  21. Juwel im Grünen: Die Geschichte einer Dahler Villa
  22. Eine Tour zu versteckten Ecken im Hagener Hohenhof
  23. Bordell in Hagen: Eine Peepshow und wie hier alles begann
  24. Die Insel im Hengsteysee: Der Mäuseturm und seine Geschichte
  25. Berchumer möchten vergessene Ruine neu beleben

Idealer Ort zum Leben

Eine Leidenschaft für die Natur, die seine Partnerin uneingeschränkt teilt: „Wir sind gekommen, um zu bleiben“, betont Julia Römer, die seit 2019 als Tierärztin beim Veterinäramt der Stadt Hagen arbeitet. Zudem findet sich im Forsthaus ein Praxisbüro für die Chiropraktikerin, die sich vorzugsweise um Funktionsstörungen am Bewegungsapparat von Hunden und Pferden kümmert. „Ich habe nicht zweimal nachdenken müssen, ob das der richtige Ort ist, an dem ich leben möchte“, unterstreicht die 32-Jährige ihre hohe Natur- und Forstaffinität. „Je abgeschiedener und je mehr Natur, desto besser. Aber man ist ja auch schnell in der Stadt.“ Allerdings niemals ohne Auto: Die nächste Bushaltestelle findet sich im tiefen Tal und die Fahrstraße durchs Kettelbachtal eignet sich eher für Fußgänger mit Abenteuerlust.

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Der ans Forsthaus angesetzte Wintergarten bietet Martin Holl, Julia Römer und dem gemeinsamen Sohn Mats reichlich Sonnenstunden und einen Rundumblick ins Grüne. © WP | Michael Kleinrensing

Abgeschiedenheit ist auch für Holl eine Qualität, die er an dem Forsthaus mit etwa 115 Quadratmetern Wohnfläche und elf Türen durchaus zu schätzen weiß: „Man desozialisiert durchaus, da muss man hin und wieder schon mal in die Stadt, um Leute zu sehen.“ Da passt es natürlich, dass sein Büro beim WBH in der Eilper Straße liegt. Aber er weiß es ebenso zu schätzen, dass man beim launigen Plausch mit guten Freunden unter dem freien Himmel des Waldes zu später Stunde keinerlei Rücksicht auf ruhebedürftige Nachbarn nehmen muss.

„Ich habe nicht zweimal nachdenken müssen, ob das der richtige Ort ist, an dem ich leben möchte.“

Julia Römer
Tierärztin beim Veterinäramt der Stadt Hagen

Exquisiten Komfort bietet das eher rustikale, holzverkleidete Forsthaus allerdings nicht. Immer wieder wurde an das Holzständerbauwerk mit Rigipswänden, das auf einem gemauerten Sockel steht, angebaut. Für Wärme sorgt die Hackschnitzelheizung vom nahegelegenen Kurk-Betriebshof, den Rest an wohliger Wärme muss in der kalten Jahreszeit ein Holzofen herbeischaffen. Puren Wohngenuss bietet derweil ein kleiner, hölzerner und mit Jagdtrophäen dekorierter Wintergarten mit einladendem Tisch und Blick ins pure Grün: „Hier haben wir von morgens bis abends die Sonne“, schwärmen Martin Holl und Julia Römer unisono.

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Was früher mal ein Hundezwinger war, nutzt Martin Holl inzwischen als Zuhause für die Laufenten. © WP | Michael Kleinrensing

Paradies für Mensch und Tier

Dass sein Leben ihn eines Tages in solch eine Abgeschiedenheit, die vor allem auch im tiefsten Winter ihre Tücken mit sich bringt, führen würde, hätte der Kölner, der nur fünf Minuten entfernt von der Lanxess-Arena groß wurde, nicht unbedingt erwartet. Aber in dieser Umgebung im Hasper Wald verschwimmen Beruf, Hobby und Leidenschaft miteinander – hier kann die junge Familie sich beinah unbegrenzt auf üppigem Grund ausleben und verwirklichen.

Angst vor ungebetenen Gästen spielt da kaum eine Rolle: „Wir haben vier Hunde und sind beide als Jäger ja auch bewaffnet“, kann ein sich näherndes Auto zu später Stunde das Paar in dieser Abgeschiedenheit kaum aus der Ruhe bringen. Zudem sorgen Kursteilnehmer an der Jungjägerausbildung oder Motorsägenschulung sowie Imker- und Pfadfindertreffen immer wieder dafür, dass rund um den Kurk sich naturverbundene Menschen tummeln.

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Die Vielfalt des Gartens bietet reichlich Raum für immer wieder neue Idee und die entsprechenden Umsetzungen. © WP | Michael Kleinrensing

Wobei die Tierwelt rund um das Forsthaus eindeutig in der Überzahl ist – und das nicht bloß im Walde. Durch den sich ständig verändernden, mehr als 2000 Quadratmeter großen Garten watscheln Laufenten rund um ein mit Staketenzaun umsäumtes Gemüsehochbeet und halten das Grundstück schneckenfrei. Hinzu kommen in einem Verschlag von Tierschützern gerettete Wachteln und bis zuletzt auch sieben Hühner – bis jüngst in der Nacht der Fuchs eine Lücke im Zaun entdeckte. „Wir haben zudem noch 1000 verwilderte Quadratmeter Platz für Schafe“, skizziert Julia Römer das nächste Projekt. „Man muss das wollen, das ist Arbeit, aber auch Erfüllung“, hofft die Tierärztin, dass die wolligen Mitbewohner sich künftig weitgehend selbst um die Pflege des ausgeguckten Waldwiesen-Areals kümmern.

Und im Urlaub – geht’s dann unter Menschen in die Metropolen der Welt? „Auf keinen Fall: All-inclusive auf Malle oder eingepfercht auf einem Kreuzfahrtschiff, das wäre nichts für uns“, ist sich das Paar auch in diesem Punkt prompt einig. Stattdessen geht es mit dem kleinen Mats nach Schweden – in die Einsamkeit.

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Das Garten-Idyll an der Rückseite des Forsthauses befindet sich in einem stetigen Gestaltungswandel. © WP | Michael Kleinrensing