Mülheim. Sie hat Mülheims Stadtmarketing- und Tourismus-GmbH, wenn es sein musste, vehement verteidigt: Ein Interview zum Abschied mit Inge Kammerichs.
Mülheims Schlösser und die Stadthalle waren ihr Heiligtum: Nun ist die Zeit des Abschieds für MST-Geschäftsführerin Inge Kammerichs gekommen. Sie hat sich die Schlüssel für die altehrwürdigen Mülheimer Denkmäler aber noch gesichert, um ein letztes Mal – und ganz alleine – durch alle Räume von Schloss und Stadthalle zu wandeln. Wehmut schwingt mit beim Übergang zum neuen Lebensabschnitt, das merkt man Kammerichs im letzten Interview mit dieser Redaktion an.
15 Jahre lang waren sie Mülheims Chef-Managerin für Stadtmarketing und Tourismus. Sie haben die MST zu einer Zeit übernommen, da es galt, etwas komplett Neues, etwas Professionelles aufzubauen. Erinnern Sie sich an Ihren Start! Mit welch wuchtigen Problemen waren Sie konfrontiert?
Das erste Problem war, dass ich aus der Mitarbeiterschaft kam. Von der Mitarbeiterin zur Chefin: Da muss man sich das Standing erst erarbeiten. Dann war damals bei der MST noch das Citymanagement angesiedelt. Wir haben kleine Areale bestückt und über viele Angebote versucht, die Einzelhändler zu binden und die Dinge gemeinsam vorwärtszutreiben. Das war in der Aufgabe gar nicht so groß, hat aber in der öffentlichen Wahrnehmung viel Raum eingenommen. Und es gab eine Stadthalle mit großem Sanierungsstau.
Wie steht die MST heute aus Ihrer Sicht da?
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Es ist wirklich das Beste, dass sie trotz aller Angriffe so steht, wie sie steht. Als ich die MST übernommen habe, hatte sie kein gutes Image. Sie war der Sündenbock für viele Dinge und jeder hat gedacht, er könnte da schon mal draufhauen. Sündenbock ist sie nicht mehr. Ich glaube, wir sind heute eine sehr professionelle Marketinggesellschaft. Wir haben in dieser Zeit alle Veranstaltungsformate verändert und wir sind ein professioneller, anerkannter Partner in dieser Stadt geworden. Das Programm „Mülheim Partner“ ist ja einzigartig. Ich kenne keine Stadt, in der es Unternehmen gibt, die sich verpflichten, mit einer städtischen Gesellschaft dauerhaft zu arbeiten und auch Einfluss zu nehmen. Sparkassen-Vorstand Martin Weck hat das mal sehr schön gesagt: Da gibt es einen Topf, da tun wir alle was rein, aber wir wollen auch wissen, was passiert. Diese „Mülheim Partner“ haben es überhaupt erst möglich gemacht, dass in der Stadt Formate in der Qualität stattfinden konnten, wie es sie heute gibt: Die Ruhrbühne als unsere größte Konzertveranstaltung, das große Innenstadt-Fest „Mülheim mittendrin“ oder die Broicher Schlossnacht.
Die MST war oft in der Schusslinie politischer wie bürgerschaftlicher Debatten. Noch zuletzt forderten die MBI eine Auflösung der Gesellschaft, die 2021 mit 2,75 Millionen Euro öffentlicher Mittel zu subventionieren war. Viele blenden bei ihrer Kritik aus, dass die MST auch die zwei Schlösser, die Stadthalle und die Camera Obscura zu unterhalten hat. Ein fortwährendes Missverständnis?
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Eigentlich gibt es kein Missverständnis, denn wir haben viele Aufklärungsgespräche geführt. Der Aufsichtsrat ist paritätisch besetzt mit Vertretern aus allen Parteien. Wenn man liest, was im Wirtschaftsplan steht und in den Sitzungen berichtet wird, weiß man, was passiert. Nehmen wir die Schlosssanierung. Die hat fast fünf Millionen Euro gekostet, Wir haben die Hälfte durch Spenden und Fördermittel eingeworben, aber die andere Hälfte ging zulasten der Gesellschaft. Da gibt es aber kein Return on Investment, da kommt kein Euro zurück. Ebenso nicht für den Betrieb einer Tourist Info. Diese Gesellschaft hat viele Aufgaben, die einfach nicht wirtschaftlich zu führen sind. Auch die Raummiete in der Stadthalle müsste unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten das Dreifache kosten. Ich glaube aber sagen zu können, dass die Immobilien noch nie in einem so guten Zustand waren wie jetzt.
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Warum soll die MST eine eigenständige Gesellschaft bleiben?
Die MST städtisch zu führen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Wir sind am Markt aktiv, wir müssen ganz schnell agieren. Die Stadthalle ist vielfach ausgezeichnet worden, weil sie einen guten Service bietet. Ich sage Ihnen ein ganz praktisches Beispiel: Wenn ich eine Veranstaltung habe und ein Motor in der Unterbühne geht nicht, kann ich nicht warten, bis der nächste Immobilienausschuss tagt. Mülheim ist kein Selbstläufer. Wir müssen unsere Kunden aktiv suchen, sowohl für Veranstaltungen als auch für die Stadthalle oder im Tourismus. Nur wird auch der Tourismus ein ewig defizitäres Geschäft bleiben. Früher hatte man noch Hotelprovisionen, die gibt’s heute nicht mehr. Heute bucht jeder übers Internet.
In Ihre Zeit fielen die Sanierungen von Schloss Broich und der Stadthalle. Es war ein Kraftakt, auf den Sie stolz sein dürften, oder?
Ja, das bin ich. Weil es viel Nerven und schlaflose Nächte gekostet hat. Ich bin den Leuten so sehr dankbar. Bei der Sanierung der Schlossmauer sind die Mülheimer sofort mitgegangen. Bundestagsabgeordnete haben sich für uns eingesetzt, die Schlossretter. . . Wir haben fast 400.000 Euro von privaten Spendern bekommen. Erst wurde ich für die Schlossretter-Aktion belächelt: Was soll dabei rauskommen? Aber es ist ziemlich viel dabei rausgekommen, weil die Menschen mitgenommen worden sind. Das war am Ende ein Gemeinschaftswerk. Und wir haben es im Budget geschafft, in der vorgesehenen Zeit.
Mülheim hat heute, trotz mancher Widerstände, ein atmosphärisch hochwertiges, einzigartiges Weihnachtsprogramm mit Schloss- und Schiffsweihnacht und dem Adventsmarkt. Im Veranstaltungskalender sind zahlreiche Höhepunkte fest installiert. Was hätten Sie gerne noch zusätzlich im Angebot?
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Ich hatte immer einen Traum: Ein Konzert auf der Ruhr, auf einer richtig schönen, großen Flussbühne. Da kam aber Corona dazwischen. Ich hatte mit einzelnen Sponsoren tatsächlich schon gesprochen und die wären wahrscheinlich mitgegangen. Ich habe mir gedacht: Wir machen eine richtige Arena, sperren die Schlossbrücke. Ich habe immer geträumt von so einer Kombination wie damals Klaus Doldinger und Max Mutzke. Da hätte ich es ehrlich gesagt gerne mal krachen lassen. Das ist eine der Sachen, die ich nicht mehr verwirklichen konnte. Aber vielleicht kann es ja jemand anderes machen.
In Ihrer Zeit ist wahnsinnig viel auf die Beine gestellt worden, Sie sind stets mit Herzblut, aber auch viel Kraft, Konflikte durchzustehen, ans Werk gegangen. Eine offene Wunde ist die Innenstadt geblieben. War da nicht mehr rauszuholen?
Da bin ich ganz vorsichtig. Wir sind seit sieben Jahren nicht mehr verantwortlich für die Innenstadt. In den sieben Jahren ist so unendlich viel passiert, so, dass alles, was ich jetzt sage, längst vergangen ist. Aber wir haben damals viel unternommen, viel angeboten. Wir haben regelmäßig die Einzelhändler eingeladen und mit Referenten über Online-Shops, über Quartiersbildung gesprochen. Es gab viele Ideen. Aber ich war schon sehr erstaunt, wie wenig Resonanz es gab – sowohl von den Hauseigentümern als auch von den Einzelhändlern. Das war schon bitter. Aber die Zeit war, glaub ich, nicht reif für diese Ideen. Die Dramatik ist damals wohl nicht erkannt worden, da würde ich mich selber nicht ausnehmen.
Gibt es noch eine Hoffnung?
Jeder muss sich fragen, was er früher in der Innenstadt gekauft hat und was er heute macht. Ich kann nur jedem sagen, der sich in der Innenstadt engagiert: Da braucht man viel Durchhaltevermögen. Es ist ja auch nicht so, dass nichts passiert. Das Team Blasch [Baudezernent Felix Blasch] hat unheimlich viel auf den Weg gebracht, auch das jetzige Citymanagement ist kreativ. Aber es ist ein schwerer Tanker. Es ist schwierig, dass die Menschen positive Veränderungen oft nicht sehen. Jeder sollte sich an die eigene Nase packen und sich fragen: Wie verhalte ich mich denn? Denn jeder ist Teil des Lebens der Innenstadt. Die Geschäfte sind weg, weil sie keinen Umsatz gemacht haben. Im Internet zu bestellen und dann zu sagen, in der Stadt ist aber nichts los, ist immer schon ein bisschen. . . Das hat mir immer leidgetan. Viele Leute kommen nur noch punktuell zu bestimmten Veranstaltungen in die Innenstadt. Das ist nicht nur ein Mülheimer Phänomen.
Blicken Sie mal selbst auf Ihre Zeit als MST-Chefin zurück: Was gibt Ihnen am meisten Genugtuung?
Das Wichtigste für mich war meine Mannschaft. Das ist wirklich das, was am Ende so einer Berufstätigkeit bleibt, dass man eine Mannschaft hinterlässt, die steht, die hochprofessionell agiert. Und die Mannschaft war es auch, die bei allen Konflikten, denen ich in aller Regel nicht ausgewichen bin, hinter mir gestanden ist. Den Satz „Das geht jetzt nicht“ gab es bei uns nicht. Es gab immer irgendwo einen Lösungsansatz. Ansonsten freue ich mich sehr, dass die Stadthalle, die jetzt nach Corona zwar in schwere Zeiten geht, wirklich gut dasteht. Wir haben gute Veranstaltungen, im bautechnischen Bereich haben wir die aufwendigsten Instandhaltungen abgeschlossen. Ich hinterlasse da ein relativ aufgeräumtes Feld.
Was war Ihre größte Enttäuschung?
Die gab es sehr am Anfang meiner Zeit, aber das werde ich öffentlich jetzt nicht sagen. Daneben gab es die Diskussionen über eine MST-Auflösung oder eine Fusion, die mich persönlich sehr berührt haben, weil die Leistung der Gesellschaft in diesen Diskussionen einfach keine Rolle gespielt hat. Da bin ich den Politikern, die auf meiner Seite standen, sehr dankbar, dass es nicht dazu gekommen ist.
Jetzt beginnt Ihr neuer Lebensabschnitt. Sie sind gebürtige Bayrin, kommen aus Passau. Werden Sie Mülheim jetzt den Rücken kehren?
Nein. Ich bin überzeugter Ruhri, lebe seit über 30 Jahren da und finde die Möglichkeiten unerschöpflich. Auch mein ganzes bayrisches Umfeld, zu dem es immer noch intensive Kontakte gibt, besucht mich sehr regelmäßig. Ich habe nicht eine Stunde daran gedacht, zurückzugehen. Ich bleibe in Mülheim. Ich find’s da gut, mein Sohn lebt da, mein Umfeld ist da. Das Leben hat ja viele Facetten, nicht nur die Landschaft.
Und auf welchen Mülheimer Events wird man Sie künftig auf jeden Fall sehen?
Das ist jetzt wirklich eine ganz besondere Frage. (überlegt) Das weiß ich nicht. Die MST ist ja mein Baby, das war ja meine Gesellschaft. Es kann sein, dass ich im nächsten Jahr auf jeder Veranstaltung bin. Es kann aber auch sein, dass ich vielleicht gar nicht da bin. Ich weiß nicht, was die kommenden Monate mit mir machen. Das ist schon auch ein sehr schwerer Abschied. Weil es einfach so schön war.
Ihr Schlusswort!
Ich habe eine richtig fette Zeit gehabt: Stadtjubiläum 2008, Kulturhauptstadt 2010, Schlosssanierung, die Halle wirklich auf den Weg bringen, die Eröffnung von Ruhrbania. . . Das Hochwasser, diese Katastrophe war wirklich ganz schlimm – aber der Moment, als wir alle in der Nacht in der Halle standen und gescheppt haben, ist unvergesslich. Ich durfte so viele Dinge mitgestalten. Das ist für jemanden, der so gestrickt ist wie ich, wie ein Geschenk. Dafür bin ich unglaublich dankbar.