Herne. Die Herner AfD zerstritt sich und zerbrach. Nun versucht sie einen Neuanfang. Der ist geprägt von Eklats – und viel Kritik der anderen Parteien.
Die AfD in Herne ist existent. Diese Nachricht ist keine Selbstverständlichkeit. Nachdem sie sich vor knapp zehn Jahren in den Herner Rat wählen ließ, erbrachte sie sechs Jahre lang zunächst kaum einen Arbeitsnachweis. Mehr noch: Statt mit Themen beschäftigte sich die Rechtsaußen-Partei mit sich selbst. Krönung war eine Schlammschlachtmit Absetzung des Parteichefs – inklusive Handgreiflichkeiten. In dieser Ratsperiode sollte nun, mit neuem Personal, alles ganz anders werden. Von wegen: Noch vor der ersten Sitzung zerbrach die neue, fünfköpfige Fraktion 2020 im Streit um Posten, Einfluss und Geld. Drei Fraktionsmitglieder blieben übrig. Und Anfang dieses Jahres schmiss dann mit Robert Tews in der Bezirksvertretung Herne-Mitte der nächste Vertreter entnervt hin.
Schweigen kann man der neuen Führung nicht vorwerfen. Thomas Berning, der Fraktionschef, Guido Grützmacher, auch Parteichef, und Arnd Schubeus, Ex-Republikaner und Ex-Unabhängige Bürger, stellen im Rat Dutzende Anfragen. So fordern sie von der Stadt Auskunft über Minderjährigen-Ehen, über das Gendersternchen in Verwaltungspapieren, über die Zurücknahme von Einbürgerungen wegen Identitätstäuschungen, über Schrottimmobilien oder Sozialleistungen für Flüchtlinge. Auch stellen sie viele Anträge, zuletzt scheiterten sie mit dem Vorstoß, den Rat zu verkleinern. Ansonsten sagt die AfD in den städtischen Gremien gerne nein. Zur Erhöhung der Parkgebühren, zu Hygieneartikel-Automaten in Schultoiletten, zum Haushalt.
Hernes OB: AfD diskreditiert die Demokratie
Was ebenfalls neu ist: Mit der Herner AfD sorgt eine Partei im Rat nun regelmäßig für Entsetzen. Als SPD, CDU, Grüne, Linkspartei, FDP und Piraten 2021 den gemeinsamen Antrag stellten, dass sich Herne dem Bündnis „Städte sicherer Häfen“ anschließt und damit für sichere Fluchtwege und eine menschenwürdige Aufnahme von Schutzsuchenden einsetzt, reagierte Fraktionschef Berning mit einer Art Wutrede. Der 62-Jährige würzte seine Kritik an dem Antrag unter anderem mit dem Messer-Anschlag in Würzburg, die nicht erfüllte Aufnahmequote von Düsseldorf und die Beteiligung der Herner Stadtwerke am „Millionengrab“ Kohlekraftwerk Lünen. „So einen gequirlten Quatsch habe ich im Rat lange nicht gehört“, hieß es bei den Grünen, „völlig hanebüchen“ bei der CDU, und SPD-Fraktionschef Udo Sobieski stellte fest: „Sie haben Ihre Maske fallen lassen und Grenzen überschritten. Das war mehr als abstoßend.“
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Vor der Sommerpause 2023 dann der nächste Eklat: Als der Rat Vertrauenspersonen aus den eigenen Reihen in den Ausschuss für die Wahl der Schöffinnen und Schöffen wählen sollte, kritisierte AfD-Ratsherr Arnd Schubeus das gesamte Verfahren – und sprach von „politischer Einflussnahme auf die Wahl der Schöffen“. An diesem Prozedere sehe man, wie die „so genannte Gewaltenteilung in Deutschland“ funktioniere, ätzte der 56-Jährige. Das sei keine Gewaltenteilung, sondern „Gewaltenaufteilung“. Damit nicht genug: Ähnlich laufe das Ganze auf Landes- und Bundesebene. Die Politik, ja das Parteibuch bestimmten, wer in wichtige Richterämter aufsteige, schimpfte er. Hernes OB Frank Dudda (SPD) war bedient, er warf Schubeus vor, damit die Demokratie zu diskreditieren. Entsetzt war einmal mehr auch SPD-Fraktionschef Udo Sobieski: „Dass Sie Probleme haben, die Gewaltenteilung in Deutschland zu verstehen, ist jetzt mehr als deutlich geworden“, stellte er fest. Und fasste anschließend zusammen: „Die Art und Weise, wie Sie das hier dargestellt haben, ist an Widerwärtigkeit nicht zu überbieten.“
Die AfD Herne sieht sich, natürlich, zu Unrecht in die Ecke des Schmuddelkinds, des rechten Lagers. Sie stehe für die Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, sagt Hernes Parteichef Grützmacher zur WAZ. Mehr noch: „Die AfD ist die Soziale Alternative.“ Gescheiterte Energiepolitik, falsche Steuerpolitik, voranschreitende Deindustrialisierung, all das zählt er auf und nennt die Konsequenzen: soziale Ungerechtigkeiten, Arbeitslosigkeit und Armut. Dagegen gehe die AfD vor: „Unsere Sozialpolitik basiert auf Ursachenbekämpfung.“ Eine Ursache laut AfD: die „massenhafte Armutsmigration“. Die, so Grützmacher, führe „zu Spannungen auf dem Wohnungsmarkt oder an den Tafeln und zu sozialen Ungerechtigkeiten zwischen zugewanderten Leistungsempfängern und Steuerzahlern“.
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Dass es gerade die sozialpolitischen Vorhaben der AfD sind, die ihren Wählerinnen und Wählern schaden, hat der Frankfurter Verein Demokult mit seiner die Initiative „AfD nee“ herausgearbeitet. Der Verein, der von einem DGB-Funktionär geführt wird, sagt: Die AfD habe in weiten Teilen ein neoliberales Wahlprogramm – und wenig Herz für sozial Schwache. Alles quatsch, schimpft Grützmacher: „Die ,AfD nee’-Kampagne ist ein plumper Versuch, uns mit Un- und Halbwahrheiten zu beschädigen.“
Ähnlich äußert sich Fraktionschef Berning. „Völliger Unsinn“, nennt er die Recherchen „von diesen Aktivisten“. Um anzufügen, dass „dieser Unsinn“ wahrscheinlich wieder von Leuten stamme, „die noch nie eine Werkbank gesehen haben“. Im Übrigen sei er selbst seit fast 25 Jahren bei Verdi gewerkschaftlich aktiv. In der laufenden Tarifverhandlung im privaten Wach- und Sicherheitsgewerbe habe Verdi ihn sogar zum Tarifpaten ernannt. „Ich wäre doch garantiert nicht in der AfD als Arbeitnehmer, wenn ich mir selber dadurch schaden würde“, stellt er klar. Was er im privaten Sicherheitsgewerbe mache? Dort arbeite er als Volljurist.
Bilder der Kampagne „AfD nee“ zur hessischen Landtagswahl
>>> Im Herner Stadtrat isoliert
Die AfD ist im Herner Rat weitgehend isoliert. Nur die von ihr abgespaltene wfh unterstützt sie ab und an – auch in Redebeiträgen. Bei der Ratswahl 2020 wurde die AfD hinter den Grünen viertstärkste Kraft – mit 8,5 Prozent (2014: 4,20 Prozent).
Als im Sommer in der Union die „Brandmauer“- Diskussion – die Abgrenzung zur AfD – aufkam, stellte Hernes CDU-Kreisvorsitzender Christoph Bußmann klar: „Mit uns wird es eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht geben.“ Seine Begründung: „Wir wollen mit Rechtsradikalen nichts zu tun haben.“ Das nämlich sei die AfD: eine rechtsradikale Partei. Mit so einer Partei werde die CDU Herne nicht zusammenarbeiten: „Da bin ich knallhart.“