Bottrop. Zehn Jahre hat das Klimaschutzprojekt Innovation City Spuren in Bottrop hinterlassen. Ein Blick auf Projekte, Fortschritte und prominenten Besuch
Zehn Jahre lang war ein großer Teil Bottrops Modellstadt für den Klimaschutz. Das Projekt Innovation City hat in all den Jahren Spuren hinterlassen. Das Ziel vor zehn Jahren war ambitioniert. Der Ausstoß von CO2 sollte im Pilotgebiet um die Hälfte gesenkt werden. Am heutigen Dienstag stellen die Verantwortlichen nun das Ergebnis vor und teilen mit, ob das ambitionierte Ziel tatsächlich erreicht wurde. Unabhängig davon wurden unter dem Dach von Innovation City zahlreiche Klimaschutz-Projekte in der Stadt umgesetzt und Bottrop rückte in den Fokus der Öffentlichkeit. Ein – gewiss nicht vollständiger – Blick zurück auf einige der Projekte, Veränderungen und prominente Besucher.
Plus-Energie-Haus am Südring
Die städtische Baugesellschaft GBB hat am Südring ein einmaliges Projekt gestemmt. Sie hat ein Mehrfamilienhaus gebaut, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht. Im sozialen Wohnungsbau dürfte das Projekt einmalig sein. Das Land hat den Bau in der Innovation City besonders gefördert. Mieter zahlen für warmes Wasser, Allgemeinstrom und Heizung keine Nebenkosten. Dafür sorgen ein ausgeklügeltes Heizsystem, in das sogar die Wärme des Abwassers über Wärmetauscher einfließt, sowie eine extradicke 30-Zentimeter-Dämmschicht. Erste Erfahrungswerte zeigten: Es funktioniert und die Mieter sind zufrieden.
Aber die komplexe Technik aus Wärmetauschern, Pufferspeichern, Lüftungs- und Photovoltaikanlagen ist anspruchsvoll und will regelmäßig gewartet werden. GBB-Geschäftsführer Stephan Patz zieht ein Fazit: „Das Haus war ein Labor, in dem ohne Rücksicht auf die Kosten alles umgesetzt werden konnte, was 2014 möglich war.“ Das lasse sich selbstverständlich nicht auf alle Neubauten übertragen, wohl aber einzelne Bausteine. So setze die GBB etwa nach den Erfahrungen am Südring verstärkt auf Wärmepumpen.
Zukunftshäuser
Neben dem Plusenergiehaus sind drei weitere Zukunftshäuser im Innovation-City-Pilotgebiet entstanden. Dazu gehören das Wohn- und Geschäftshaus von Oliver Helmke in der Fußgängerzone, ein Mietshaus der Vivawest am Ostring und ein modernisiertes privates Einfamilienhaus an der Röntgenstraße. Diese Bottroper Musterhäuser dienen als Anschauungsobjekte, weil sie zumeist aufwendig saniert und mit modernster Gebäudetechnik ausgerüstet wurden, so dass in ihnen mehr Energie erzeugt als verbraucht wird.
Oliver Helmke etwa setzte modernste Techniken und Materialien bei der Renovierung des Hauses ein und versorgt den Bau durch die Kombination aus Geothermie, Fernwärme und Photovoltaik. Dabei kommen etwa Lamellen im Scheibenzwischenräumen oder Aufzugstechnik mit Energierückgewinnung zum Einsatz. „Es funktioniert gut und die Mieter sind zufrieden“, sagt er. So komplett wie in dem Zukunftshaus könne er den Einsatz von Umwelttechniken nicht empfehlen, doch einzelne für weitere Objekte durchaus. Helmke: „In 20 Jahren wird es normal sein, so zu bauen“.
Fördergelder für Bottroper im Projektgebiet
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Die Bewohner im Innovation-City-Projektgebiet haben auch ganz direkt finanziell profitiert. Für das Klimaschutzprojekt legte die Stadt ein spezielles Förderprogramm auf, so dass Eigenheimbesitzer ganz konkret von Geldern des Landes profitierten. Diese Förderrichtlinie 11.1 gab es so nur im Projektgebiet und auch in keiner anderen Stadt.
Das Besondere: Es wurden auch kleinere Maßnahmen gefördert. Ein Aspekt, den Innovation-City-Geschäftsführer Burkhard Drescher immer wieder hervorhob. Denn damit unterschied sich das Bottroper Programm von den bundesweiten Förderungen, bei denen Effizienzvorgaben greifen. „Es geht nicht immer darum, sofort irgendwelche Standards einhalten zu müssen. Auch einzelne Schritte und kleine Maßnahmen können helfen, das Klima zu schützen und Geld zu sparen“, sagt Drescher. Bedingung für die Förderung vor Ort war nur die Teilnahme an einer kostenlosen Energieberatung von Innovation City. Auf diesem Wege wurden 2,75 Millionen Euro an Bottroper Hausbesitzer ausgeschüttet, die wiederum ein wesentlich höheres Invest auslösten: rund 20 Millionen Euro.
Energieberatung
Das Zentrum für Information und Beratung (ZIB) wurde zur Hauptanlaufstelle für alle, die sich beim Innovation-City-Projekt einbringen wollten. Dort fanden Themenabende etwa zur Dämmung von Häusern, über moderne Heizsysteme oder die Finanzierung solcher Modernisierungen statt. Außerdem erhielten Interessenten im ZIB oder zu Hause kostenlose, auf sie zugeschnittene Energieberatungen. Für Burkard Drescher war das der Schlüssel, um die Energiewende von unten in Bottrop voranzubringen. Mehr als 4000 kostenlose Energieberatungen nutzten die Bottroper bis Ende 2020 und stellten dann mehr als 930 Förderanträge für CO2-einsparende Baumaßnahmen.
Auch bei der Modernisierung ihrer Häuser und Wohnungen ließ die Stadt sie nicht allein und bot kostenlose Sanierungsbegleitungen an, so dass sie während ihrer Baumaßnahme immer Ansprechpartner hatten. Karl-Heinz Maaß, Abteilungsleiter für Stadterneuerung in Bottrop, schwor darauf und sprach vom Bottroper Erfolgsmodell. Denn im Schnitt wurden so pro Jahr fast 150 Wohngebäude energetisch saniert. Das ist eine Quote von 3,3 Prozent. Auch eine Art Konjunkturprogramm wurde durch Innovation City damit ausgelöst: Denn jeder Euro öffentliches Geld löste acht Euro Gesamtinvestitionen bei Handwerksfirmen und Bauunternehmen aus.
Kläranlage in Bottrop
In der Welheimer Mark hat die Emschergenossenschaft ihr Klärwerk zum Kraftwerk umgebaut. Sie erzeugt hier mehr Energie als sie benötigt. Auch diese CO2-Einsparung zahlt mit ein aufs Innovation-City-Konto. Zuletzt wurden hier 78 Millionen Euro investiert für den Bau einer solarthermischen Trocknungsanlage für Klärschlamm. Seither muss für die Trocknung des Schlamms keine Kohle mehr eingesetzt werden. Vorher schon hat die Emschergenossenschaft Blockheizkraftmodule und eine Photovoltaikanlage in der Welheimer Mark in Betrieb genommen. Insgesamt hat der Abwasserverband in Bottrop rund eine Viertelmilliarde Euro investiert. Für den Vorsitzenden der Emschergenossenschaft, Uli Paetzel, zeigt sich an der Bottroper Kläranlage, dass Wasserwirtschaft mehr sei als nur Abwasserreinigung. „Sie kann eine entscheidende Rolle beim Gelingen der Energiewende spielen.“
Internationales Renommee und prominente Polit-Gäste
Sogar der Bundespräsident interessierte sich für das Bottroper Klimaschutzprojekt. Joachim Gauck war 2012 zu Besuch in der Stadt, informierte sich über Innovation City und stattete einer Familie in der Gartenstadt Welheim, die ihr Haus mit Unterstützung des Klimaschutzprojekts saniert hatte, einen Besuch ab. Am Ende war der erste Mann des Staates begeistert: „Nicht nur von der Siedlung, auch von dem Geist hier, das: Wir packen etwas an. Das hat mich total begeistert.“Aber auch Ministerpräsidenten und Minister der Landesregierung waren regelmäßig im Rathaus und am Südring-Center zu Gast, gleiches galt für politische Vertreter aus Berlin. Hinzu kamen internationale Delegationen aus aller Herren Länder, darunter aus China, den USA oder Russland. Burkhard Drescher und Oberbürgermeister Bernd Tischler waren gefragte Referenten bei nationalen und internationalen Kongressen und rührten dort die Werbetrommel für das Bottroper Modell, das sich ja als Blaupause für andere Städte versteht.
Solaroffensive macht Bottrop zur Solarhauptstadt im Ruhrgebiet
Zuletzt hatte die Stadt gemeinsam mit der Innovation City auch für eine Solaroffensive geworben. Die Stadt hat aus dem Haushalt Fördergelder an Privatleute gezahlt, die ihr Haus mit Photovoltaikanlagen ausrüsten wollten. Die vergleichsweise kleinen Beträge haben einiges bewirkt. So wurde Bottrop zur Solarhauptstadt des Ruhrgebiets. In keiner anderen Stadt ist die Photovoltaik-Dichte so hoch wie hier. Zum 31. Dezember wurden in Bottrop 1498 Photovoltaikanlagen gezählt – 579 mehr als im Vorjahr. Umgerechnet auf die 117.565 Einwohner produziert jeder Bottroper theoretisch 0,57 kWp Solarstrom. Diesen Wert erreicht keine andere kreisfreie RVR-Stadt. Zuletzt wurde das Programm auf Steckeranlagen ausgeweitet, damit auch Mieter profitieren.
Kraft-Wärme-Koppelung
Hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen stehen inzwischen in rund 100 Bottroper Kellern. Die Bewohner erhielten die kleinen Kraftwerke zum Preis einer normalen Heizung, wie OB Bernd Tischler zu Beginn des Projektes herausstrich. Einen fünfstelligen Betrag musste Hausbesitzerin Petra Kamyczek zum Beispiel dennoch dafür aufbringen. Bei ihr versorgt die KWK-Anlage ein Zechenhaus vor allem mit Wärme. Solche Kraftwerke sind aber wirkungsvoller als übliche Systeme, weil sie Wärme und Strom erzeugen. Petra Kamyczek kann so den nebenbei produzierten Strom selbst verbrauchen und Stromkosten sparen. Es geht aber auch umgekehrt. So wird in anderen Kellern mit Hilfe der Kraft-Wärme-Koppelung überschüssiger Strom in Wärme umgewandelt und zum Heizen genutzt. In 20 der Häuser - wie etwa bei Birgit und Heinz Wehres auf dem Eigen - wurden außerdem an die Keller-Kraftwerke Stromspeicher gekoppelt, um den Stromverbrauch zu optimieren.
Sektor Verkehr
Der Blick auf die Projekte zeigt es deutlich: Vor allem im Bereich Wohnen wurden Programm vorangetrieben, die den CO2-Ausstoß senken sollen. Auch Unternehmen haben mitgemacht, teils ihre Produktion angepasst, um Klimaziele zu erreichen.
Ganz zu Beginn hat die Innovation City auch ein Klimaschutzteilkonzept Mobilität vorgelegt, das Maßnahmen enthielt, die auch den Ausstoß der Treibhausgase im Verkehrs reduzieren sollten. Davon wurde allerdings kaum etwas umgesetzt, was auch OB Bernd Tischler und Burkhard Drescher selbstkritisch festhielten.
So äußerte sich der Geschäftsführer in einem WAZ-Interview wie folgt: „Wir müssen zugeben, dass wir gerade beim Thema Mobilität und Verkehr die Möglichkeiten der Umsetzung über- und die Schwierigkeiten unterschätzt haben. Das beginnt schon mit den Bundesstraßen und Autobahnen rund um die Stadt, auf die wir keinen Einfluss nehmen können. Hinzu kommt, dass Bottrop beim ÖPNV Dienstleistungsempfänger ist, kein eigenes Nahverkehrsunternehmen.“ Fortschritte sah er jedoch bei den Radwegen.
Erst jetzt gibt es Bewegung bei dem Thema, so arbeitet die Stadt beispielsweise an einem Konzept zur Elektromobilität und es gibt wieder verstärkt Überlegungen, den Autoverkehr zu entschleunigen. Das war 2014 auch teil des Klimaschutzkonzepts.