Essen. Die Theatersaison 2019/20 endete wegen Corona zwar schon im März, einiges Erinnernswerte ist an Rhein und Ruhr aber doch über die Bühne gegangen.
Das ist der Segen des Alters: Wir vergessen. Oder vergessen wir, weil wir es möchten? Zum Beispiel, wie diese Theatersaison begann? Mit der öden Schrecklichkeit „Ein Fest für Mackie“. Jene Uraufführung, die ein Geburtstagsgeschenk (100 Jahre Bochumer Schauspielhaus, 100 Jahre Bochumer Symphoniker) sein sollte, wurde zur klischeesatten Watsche ins Gesicht des Reviers. Eine miese Inszenierung, grausig banal das Stück.
Wir beginnen unseren traditionellen Rückblick auf die Spielzeit nicht, um diesen schlecht gereimten Käse („zerstörtes Herz – und Hustenschmerz“) erneut aufzuwärmen. Erinnerungswürdig aber blieb die Episode, weil mit Schauspielchef Johan Simons und Generalmusikdirektor Steven Sloane zwei Bosse an der Spitze standen. Und sich nach dem Reinfall wegduckten, beziehungsweise über ihre Sprecher den Schwarzen Peter der je anderen Seite („das war ja eine Auftragsarbeit der Symphoniker“) zuschoben. Das war – in einer Region, die gern Metropole wäre – ebenso provinziell wie das szenische Ärgernis an sich.
Über der Spielzeit an Rhein und Ruhr, obwohl da niemand geahnt hatte, was mit Corona noch kommt, lag von Beginn an vielfach eine bleierne Schwere, nicht nur in Bochum, wo Horvaths „Wienerwald“ eine allzu distanzierte Apokalypse blieb, vor der mancher in der Pause floh (Balsam bot in Bochum später des Intendanten großer „Iwanow“-Abend). Düsseldorfs in den letzten drei Jahren so üppig mit Lorbeer bedachtes Schauspielhaus dagegen krähte eine platte Danton-Show heraus, die Fest-Inszenierung zum 50. Geburtstag des Gebäudes war mit Brechts „Galilei“ dann ihr mausgraues Gegenteil.
Aus für Fiedler in Oberhausen
Apropos Misserfolg: Ungern behalten wir beim Unken Recht. Doch hieß es in unserer Sommerbilanz vor einem Jahr über Oberhausens scheiternden Schauspielchef: „Die dritte Saison muss die Wende bringen, sonst wird es sehr eng.“ Es wurde nicht sehr eng, es ist aus. Die Stadt hat den Vertrag mit Florian Fiedler nicht verlängert. Das war nötig. Es ist wie im Fußball: Manchmal passt es einfach nicht. Und so feurig Fiedler auf Preise und auswärtige Einladungen verweist – in der eigenen Stadt wollen zu wenige Menschen sein Theater. Pikant: Die Regisseurin Julia Wissert erarbeitete jene Anti-Rassismus-Klausel, mit der Fiedlers großes Straucheln begann. Nun wird Wissert Dortmunds neue Schauspiel-Chefin. Wir werden sie im Gespräch vorstellen.
Zu Dortmund noch: Am traurigsten war die Lage angesichts des Shutdown vielleicht für Wisserts Vorgänger Kay Voges, der ans Volkstheater Wien geht. Als zirzensischer Durchlauferhitzer sollte sein Dortmunder Finale in zig Aufführungen das Schauspiel noch einmal lustvoll befeuern. Nun blieb es am Ende ganz still um einen, der die Region ein Jahrzehnt lang zwar streitbar, aber doch im selten gewordenen Stil eines unberechenbaren Zampano beeindruckt hat. Natürlich widmen wir auch Voges diesen Sommer ein Abschiedsgespräch.
Dortmund konnte nicht punkten
Durch die Pandemie lief es nirgends nach Plan, zwei Opernhäuser traf die Schließung besonders. In Dortmund wollte Heribert Germeshausen zwei große Raritäten aus dem Hut ziehen, dazu mit Peter Konwitschny seinen „Ring“-Regisseur vorstellen. Alles auf Eis! Es wird den ehrgeizigen Intendanten fuchsen, zumal die überragende Regie-Arbeit (der „Lohengrin“ war allein musikalisch Hors catégorie) auf sich warten lässt, beziehungsweise („Weißes Rößl“) nur im leichten Fach regiert. Kaum anders ging es Hein Mulders in Essen. Der hatte sich fürs Ende der Saison mit Verdis „Don Carlo“ und Mozarts „Figaro“ zwei ganz hohe Trümpfe aufgespart. Dann kam Corona. Beide Opern werden am Aalto Theater vorerst nicht ins Programm gelangen. Ansonsten war die Essener Spielzeit, die stark mit „Pique Dame“ begann, durchwachsen. Eine Barockoper, selbst wenn Dietrich Hilsdorf „Kain und Abel“ inszeniert, ist kein Blockbuster. Und das „Land des Lächelns“ zeigte in Essen, dass längst nicht jeder Zuschauer einen Operettenabend bucht, um Nachhilfe über Nazi-Methoden zu bekommen.
In sicherem Fahrwasser: das Schauspiel Essen. Der Mix aus Abonnenten-Freundlichkeit und kontrollierter Avantgarde geht seit Jahren auf. Mancher munkelt, Schauspielchef Christian Tombeil sehe in solchem Erfolg seine Visitenkarte für eine mögliche Essener Generalintendanz. Starke Abende gab es am Mülheimer Theater an der Ruhr, wo in „Titanic“ auch die Zivilisation Schiffbruch erlitt und Roberto Ciulli dem Thema Flucht in „Boat Memory“ eindringliche Bilder schenkte.
Die Rheinoper, das darf man deutlich sagen, hat 2019/2020 keine einzige große Inszenierung aus der Taufe gehoben: „Puritani“, „Bohème“ oder „Samson und Dalila“ blieben entweder versucht originell oder brav bis bieder. Das Haus darf sich allerdings der derzeit unbestritten besten Sängerriege in NRW freuen. An Gelsenkirchens Musiktheater, wo die „Sache Makropulos“ und „Macht des Schicksals“ in Erinnerung bleiben, registriert man, dass die Handschrift des neuen Ballettchefs Zeit braucht: Giuseppe Spota muss eingefleischte Freunde der feingliedrigen Ästhetik seiner Vorgängerin Bridget Breiner für seine physisch druckvoll agierende „Company“ weiter gewinnen.