Essen. Blicke zurück, Blicke nach vorn: So lief die vergangene Saison an Rhein und Ruhr – und vor diesen Herausforderungen stehen die Verantwortlichen.
Rückblick als Aussicht: Die vergangene Saison unserer Theater lässt Schlüsse auf Chancen und Zwänge der beginnenden Spielzeit zu. Lars von der Gönna blickt zurück nach vorn
Bochum
Der Lorbeer für Sandra Hüller („Schauspielerin des Jahres“) sollte nicht trügen: Von einem Bochumer Theaterwunder, wie es sich die Stadt von Johan Simons’ erster Spielzeit versprochen hat, konnte man an der Königsallee nicht jeden Abend reden. Dabei hätte es nach der bleiernen Ära Weber funken können. Nicht selten aber blieben Plätze leer, ausgerechnet das weihnachtliche Familienstück floppte. Der durch die Ruhrtriennale Erfolgsverwöhnte muss nachbessern, auch knüpft das Ensemble (herausragend Anna Drexler!) nicht auf jedem Posten an größte Bochumer Schauspieler-Zeiten an. Zudem darf man gespannt sein, ob Simons bei seinem weitgehenden Verzicht auf leichte Unterhaltung bleibt – auch die im Angebot zu haben, war ein Markenzeichen großer Bochumer Intendanten.
Düsseldorf/Duisburg
Erfolgs-Theater als Durchlauferhitzer gegensätzlichster Ästhetiken: Düsseldorfs Schauspielhaus war halb tot, als Winfried Schulz es 2016 übernahm. Heute stimmt nicht nur die Auslastung; der listige Intendant mischt in einem verschwenderisch üppigen Spielplan Designer-Zuckerguss von Robert Wilson mit dem Bitter unbequemerer Stoffe und Deutungen. Es ist sicher nicht immer alles Gold, was am „D’haus“ glänzt, aber das Theater genießt eine große neue Wahrnehmung – ohne die kann keine Bühne überleben. Die Rheinoper, traditionell eine Wagner-Hochburg, erfreute sich in der letzten Saison (trotz Wasserschadens in Duisburg) des fertig geschmiedeten Hilsdorf-Rings. Nicht alle Neudeutungen („Pique Dame“, „Romeo et Juliette“) glückten, aber das kann das Haus mit seinem riesigen Repertoire souverän ausgleichen: Dass selbst alte Perlen von Ponnelle noch zu sehen sind, hat auch etwas mit Respekt vor der eigenen Geschichte zu tun.
Dortmund
Ein ehrgeiziger Theatermacher wie Heribert Germeshausen kann mit seiner ersten Opern-Saison trotz ordentlicher Besucherzahlen nicht zufrieden sein. Dass die Opernwelt im Jahr eins nach Amtsantritt enthusiastisch auf Dortmund blickt, lässt sich kaum sagen. Manche Inszenierung fiel bieder aus, anderes scheiterte (wie der „Barbier“) an Über-Ambition. Der angekündigten Sänger-Offensive fehlt es noch an Geschlossenheit. Punkte machten Ankommer wie die „West Side Story“ und Repertoire-Exotik in Form von Phil Glass’ „Echnathon“ und „Quartett“. Nebenan zieht Kay Voges vor seinem Wechsel nach Wien in sein Schauspiel-Finale. Der Eindruck bleibt gespalten. Voges machte das Schauspiel (für eine Clique) zwar wieder zum „place to be“, heimste dazu stattliche Preise ein – wirklich von der Bevölkerung getragen scheint seine Party-Theatralik indes selten.
Essen
Man kann heute ja nicht mehr glauben, dass Essens Schauspiel vor 15 Jahren noch im Strudel einer Fusions-Debatte stand. Heute steht das Grillo gut da. Intendant Christian Tombeil hat in einem cleveren Repertoire-Mix aus heißen Eisen und leichten Musen das Theater zu einer Selbstverständlichkeit geführt, die (Subventions-)Zweifel gar nicht erst aufkommen lassen. Mag das Ensemble auch Grenzen haben, wie aber der Spielplan brennende soziale Fragen stellt und tags drauf die krachende Boulevard-Klamotte aufs Publikum loslässt – da hat jemand die Hausaufgaben eines funktionierenden Stadttheaters gemacht. Das Aalto sah 2018/19 eine der besseren Spielzeiten der Intendanz Mulders: Überragend der „Otello“, die hochkarätigste Verdi-Inszenierung weit und breit, äußerst respektabel „Medea“, doch regierte auch Oberflächenglanz („Cosi“) und Überladenes („Freischütz“), nicht zu vergessen das Waterloo eines läppischen „Ring“-Abends, der gar die Loriot-Erben auf den Plan rief und (szenisch) abgesetzt werden musste. Wer in dieser Saison freilich Zeuge der Triumphe alter Hilsdorf-Inszenierungen (Aida, Luisa) sein durfte, spürte, dass das Haus solchen Geist dringend nötig hat. Das Potenzial ist in vieler Hinsicht da, zumal die Essener Philharmoniker in ihrem enormen Facettenreichtum das beste Opernorchester NRWs sein dürften.
Gelsenkirchen
Elf Jahre regiert Gelsenkirchens Intendant – in der letzten Spielzeit ist Michael Schulz’ Vertrag bis 2023 verlängert worden. Natürlich würde er gerne an ein größeres Haus wechseln: ein Luxusproblem, im Sattel sitzt er fest. Schulz punktete in der letzten Spielzeit einmal mehr mit dem Beweis, dass ein Stadttheater nicht ängstlich agieren muss: Raritäten – Bernsteins „Mass“ und Bizets „Perlenfischer“ – rissen das für seine Treue bekannte Publikum mit, was man von den leblosen „Königskindern“ nicht sagen konnte. Ein Kunst-Griff des Hausherrn bleibt rätselhaft: Was soll große Oper („Eugen Onegin“) in der Puppenstube des Kleinen Hauses gewinnen? Im Orchester gibt es noch anderes Potenzial als Generalmusikdirektor Rasmus Baumann aufzufächern versteht. Ein Wechsel auf diesem Posten wäre nicht ohne Reiz.
Oberhausen
Florian Fiedler, jüngster Intendant der Region, ist angezählt. Hätte er letzten Winter nicht seine alte Hannoveraner „Heidi“-Inszenierung als Oberhausener Weihnachtsmärchen untergebracht, läge die Platz-Auslastung im Theater noch unter den schwindsüchtigen 58 Prozent (Essen hat 84!). Dazu ist ihm seine nachgerade hysterisch angefachte Anti-Rassismus-Debatte im eigenen Haus mächtig um die Ohren geflogen. Richtig angekommen scheint also weder seine Kunst im Parkett noch sein Führungsstil hinter den Kulissen. Die dritte Saison muss die Wende bringen, sonst wird es sehr eng.