Dortmund. Oft totgesagt, in Dortmund bejubelt: Die Operette lebt - das „Weiße Rössl“ ist ein Vollblut. Das Premieren-Publikum Samstag war aus dem Häuschen.

Dass das Glück bei ihm vor der Tür steht, hat Ralph Benatzkys „Weißes Rössl“ uns oft versprochen. Samstag hielt die alte Operettenmähre wiehernd Wort, frisch gestriegelt, ein wahres Entertainment-Vollblut! Und über 1000 Premierenbesucher pfiffen und summten nach drei turbulenten Stunden in die kalte Januarnacht, was man nicht mehr aus dem Kopf kriegt: „Es muss was Wunderbares sein“, „Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?“, „Im Salzkammer gut, da ka’ mer gut lustig sein“...

Ein brillant inszenierter Abend, hingebungsvoll gespielt und stark gesungen, ein Rennstall voll von witzigen Ideen, eine hochklassige Unterhaltungsoffensive, wie die Region sie im Operettenfach lange nicht gehört und gesehen hat.

Die größte Schläue von Thomas Enzingers Regie-Konzept liegt listigerweise im doppelten Boden. Kein Zweifel: Das „Rössl“ gibt es eigentlich gar nicht mehr, weder die Kuh ist echt (Pappe), noch die jodelnde Post-Kathi (ein Granatenweib mit Rap-Rasanz und sängerischem Walküren-Aplomb: Johanna Schoppa). Da müssen also pinselnde Handwerker (das alpine Gestein ist übertünchter Waschbeton) ganz flott vertrieben werden, wenn die erste Touri-Rutsche des Tages reinschneit.

Riesenerfolg: In Dortmund feiert das „Weiße Rössl“ Premiere. Ein Abend voller Ideen

Klar, dass beim Ghettoblaster auf der Hoteltreppe der Stecker gezogen wird. Voll wird diese Bude nur mit Folklore, mit Kaiserschmarrn, Schmäh, einem lederbehosten Tuba-Spieler und reichlich Schwindelei. Das „Welcome“-Plakat prangt in Disney-Schriftart über allem. Willkommen in: Ferien als Inszenierung.

Aber eben die ist so knallverrückt, so herzig-albern, dass wir auch im Zuschauerraum dem Trug von Alpenglühn und Gamsbart allzu gern erliegen. Da wird am Wolfgangsee (Bühne und Kostüme: Toto) in Taucherflossen gesteppt, es tanzt ein Samsonite-Ballett, ihr Echo machen die Protagonisten selber und fährt mal ein alter Nachen vorüber, heißt er „Hannelore“ (Kohls ewiges Urlaubsdomizil war ja St. Wolfgang).

Perfekte Besetzung: Matthias Störmer als Kellner Leopold ist ein Charmebolzen

So einen Abend zu stemmen und ihm bei Wagner-Länge (kleine Durststrecken im zweiten Teil sind zu vergeben) nicht die Luft ausgehen zu lassen, das schafft szenische Kreativität nicht allein. Enzinger und sein Co-Regisseur und Choreograph Ramesh Nair haben das Ensemble bis in die kleinste Rolle grandios besetzt. Und erst die große: Der junge österreichische Bariton Matthias Störmer (Leibgericht Wiener Schnitzel, kein Scherz!) spielt den Zahlkellner Leopold. Da ist alles da, was diese Rolle braucht – und noch viel mehr. Störmer ist Charmebolzen und Slapstick-Talent, setzt mal eben mit der Kopfstimme eine Tenor-Pointe, um gleich wieder, wie der junge Otto Waalkes, zappelnd und zuckend alles auf links zu drehen – eine Wahnsinnsbegabung! Und ein schöner Widerpart zur Rösslwirtin, die Irina Simmes mit dem Sex-Appeal der Kontrollierten und noblem Sopran singt.

Durch die Bank ein Vergnügen: Steffen Scheumann, der schon 2008 im Dortmunder Rössl abstieg und als bärbeißiger Berliner Besserwisser („in Ahlbeck baut man zuerst den Balkon, dann das Hotel!“) noch grandioser geworden ist. Rührend: Frank Voß’ schusslig-poetischer Professor Hinzelmann. Ein Traumpaar von der Buffo-Galerie: Morgan Moody (Sigismund) und Karen Müllers rasantes Kraftpaket Klärchen. Clowneske Verzweiflung serviert Thomas Stitilis’ Piccolo. Und Publikumsliebling Hannes Brock kommt als alter Kaiser auf Besuch: Beim raschen Umzug verlor Brock fast den Bart. Aber wer derart klangschön „ ‘s is’ amal im Leben so“ singt, lässt jede Bühnenpanne vergessen.

An diesem Abend passt alles: Das Orchester spielt Benatzky mit knackigem Kabarett-Sound

Alles passt an diesem Abend, nicht nur weil die Zuschauer komplett „O du mein Österreich“ anstimmen und in Mitmach-Stimmung der denkbar dankbarsten Art kommen. Der Opern-Chor ist prachtvoll präsent und spielerisch (Lorbeer an das Nordic-Walking-Duo der Damen!) famos. Dazu klingt aus dem Graben eine Rössl-Musik abseits des Wirtschaftswunder-Schmalzoso: knackig, kernig, pointensatt ist die Fassung, an der neben Benatzky eben auch Robert Stolz, Robert Gilbert und Bruno Granichstaedten ihren Anteil haben. Philipp Armbruster entlockt Dortmunds Philharmonikern einen Sound, der durchaus Kurt Weill zum Nachbarn hat. Es ist ein packender, ironiesatter Klang, der das Kabarett kennt und dem (guten) Musical den Weg bereitet. Riesiger Applaus.

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INFOS ZU STÜCK UND KARTEN

„Im weißen Rössl“. Oper Dortmund, ca. 3 Stunden, eine Pause. Karten kosten 15-49€, (Tel. 0231-5027222) oder unter www.theaterdo.de

Die nächsten Aufführungen sind am 24. und 30. Januar. Weitere Termine im Februar (5., 8., 14., 16., 23., 29.), März (1., 7., 15., 21., 27.) und am 4 April.