Dortmund. Unbedingt anhören! Dortmunds neuer „Lohengrin“ ist ein Fest für Wagner-Freunde. Daniel Behle feiert sein Debüt in der Titelrolle

Wundern Sie sich derzeit nicht, über die vielen gut gekleideten Menschen auf dem Balkon des Dortmunder Opernhauses. Die sind alle vom Chor! Dass wir die Riesenriege der Stimmen beim neuen „Lohengrin“ im Rücken haben, dass das Piano der Herren sanft den Raum flutet und die Gänsehaut des Wagnerianers ungemein fördert, ist nur ein Coup von vielen dieses Abends.

Denn der aufwühlend präsente „Surround-Sound“ im Opernhaus (später werden auch die Blechbläser auf vielen Ebenen das Haus bespielen) ist nur eine vieler Meriten. Sie alle sind musikalisch und man kann nach fast viereinhalb Stunden nicht anders als zu sagen: Diesen „Lohengrin“ sollte man gehört haben.

Gehört hat die Welt vor allem das Debüt Daniel Behles. Zwar war er schon Loge/Froh (Rheingold) und David (Meistersinger), aber der Schwanenritter, vor dem selbst Nicolai Gedda bis auf einen Testlauf in Schweden Fracksausen hatte, ist eine ganz andere Hausnummer im Wagner-Fach. Der Abend wird nicht allein Behles Triumph, dafür ist das Ensemble zu brillant besetzt. Das hier könnte auch in München oder Berlin zu hören sein, in Dortmund vielleicht gar noch unverbrauchter, weil frei von gefährdeten Altstars.

Daniel Behle ist Dortmunds „Lohengrin“. Der Tenor ist ein Ereignis, aber das Ensemble hat ebenfalls Klasse

Elsa etwa, die Lohengrin herbeisehnt, da Schurken sie fürs Verschwinden ihres Bruders ans Messer liefern wollen, ist Christina Nilsson. Die junge Schwedin tritt (bei kleinen Schwächen im Deutschen) den staunenswerten Beweis an, dass mädchenhaftes Timbre und eine kraftvolle Fanfare keine Feinde sind.

Und erst ihre Gegenspielerin! Das Zauberweib Ortrud singt Stéphanie Müther mit Riesenstimme zum Fürchten schön: Diese dralle Teufelin trägt auch noch das süße Gift des Belcanto im Busen. Kein Wunder, dass sie ein Bild von der Wand herunterschmettert. Kein Wunder erst recht, dass Telramund (seine erotische Hörigkeit zeigt der Abend nicht eben undeutlich) bis zum Tod ihre Marionette bleibt – Joachim Goltz singt den wankenden Widersacher Lohengrins mit drahtiger Energie, nie als kraftmeiernde Karikatur.

Lauter starke Leistungen (bis auf Shavleg Armasis Heinrich, in diesem Fach ist er einfach nicht zu Hause), aber still steht die Zeit dann doch bei Daniel Behle. Man muss dazu gar nicht erst auf Lohengrins berühmte Gralserzählung („In fernem Land...“) warten, in der Behle die melancholische Poesie einer gescheiterten Mission wundergleich zu gestalten versteht. Von Beginn an sind die atemberaubende Kultur dieser Stimme, ihre unglaubliche Schönheit und Wärme das schiere Faszinosum. Dem Wagnergesang des lyrischen Heldentenor Behle zu lauschen, lohnt allein den Weg nach Dortmund.

Die Lohengrin-Deutung von Regisseur Ingo Kerkhof tut sich schwer mit dem wundergeladenen Märchen Wagners

Die Inszenierung versucht ihre Ratlosigkeit durch allerhand Gemischtwaren aus dem Bauchladen des Regietheaters zu übertünchen. Freilich: Der „Lohengrin“ ist in seiner wundergesättigten Story eine undankbare Geschichte. Und so beschreitet Ingo Kerkhofs Deutung den von Harry Kupfer und Dieter Dorn vor Jahrzehnten bereiteten Pfad mit etwa dieser Botschaft: Wagners Frauen haben einen Knacks, ihre Tragödien spielen innen. Opfer sind sie der Männergesellschaft und arme, unterjochte Wesen, wie Ibsen ihnen ein trauriges Denkmal setzte.

Und so ist denn Elsa in dieser Welt, die im Mittelalter auf den nächsten Krieg wartet, aber doch das Kostüm (Jessica Rockstroh) der Wagner-Zeit trägt, eine Isolierte in kleinster Bürgerstube. Schmal das Bettchen, karg das Dekor, das („dies Horn, dies Schwert“) die Sehnsucht nach dem erlösenden Ritter illustriert. Und rundherum Menschen, die Elsa zuliebe ein Märchen (samt Bühnenprojektion „Es war einmal“) spielen. Das Doppelgänger-Motiv der Romantik zieht Kerkhof auch noch aus dem Ärmel - im Brautgemach gibt es vier Menschen - und Elsa wird mit dem Messer Telramund erledigen.

Abgemähte Hoffnung auf der Bühne: Der schwarze Raum lässt der Musik viel Platz

Dieses Reich, auf dessen Stoppelfeld (Bühne Dirk Becker) längst alle Hoffnung weggemäht ist, betrat Lohengrin nie als Retter. Er selbst, und das zeigt Kerkhof durchaus deutlich, weiß das von Anfang an: Es gibt keine Liebe, keine Zukunft. Dass viele Erzählstränge samt Kindheitsfilmen und dem Schwanen-Gag eines Federballs lose assoziativ sind: geschenkt. Dafür erhält die Musik im großen Schwarz der tiefen Bühne viel Raum. Das lässt Dortmunds Philharmonikern unter Gabriel Feltz schillernd prachtvoll agieren: Es waltet seidige Delikatesse neben martialischer Präzision, sie schmettern und sie schmeicheln. Fabelhaft!

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Der Tenor Daniel Behle ist der Sohn eines Orchestermusikers und der Sängerin Renate Behle. Zuletzt wurde der in Basel lebende Sänger als Don Ottavio (in Mozarts Don Giovanni) an Londons Covent Garden Oper gefeiert.

Dortmunder Termine. Es gibt nur sechs weitere Aufführungen des neuen „Lohengrin“ im Opernhaus: 8./14. Dezember, 12. Januar, 22. März, 10. April und 22. Mai. Karten (15-49€) unter Tel. 0231-50 27 222