Essen. Ein „Land des Lächelns“ mit SA-Trupps – es geht um Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Frauenunterdrückung: Am Essener Aalto wird’s politisch.
Wieviel Politik verträgt die Operette? Im Falle der Neudeutung von Franz Lehárs „Land des Lächelns“ von Sabine Hartmannshenn am Essener Aalto-Theater mehr, als die Beziehungsgeschichte zwischen einer höheren Tochter aus Wien und einem chinesischen Prinzen herzugeben scheint. Und um es gleich vorweg zu sagen: Wer hübsche Chinoiserien, Schmäh und „Küss‘ die Hand, Gnädigste“ erwartet, landet eher unsanft in der Premierenzeit dieser zweiten Fassung des Stücks „Die gelbe Jacke“, die der Komponist unter dem heute bekannten Titel 1929, in Berlin herausbrachte.
Braune Störtrupps aus der Zeit der Premiere
Die recht pragmatische Entstehungsgeschichte der Neufassung, mit der Lehár und sein neues Librettisten-Duo Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda die mäßig erfolgreiche „Gelbe Jacke“ – dann auch mit Hilfe des Star-Tenors Richard Tauber – publikumswirksam aufpolieren wollten, ist für die Regie nun Ausgangspunkt für ein vielschichtiges (Polit-)Theater auf dem Theater. Dafür baute Lukas Kretschmer eine prächtige Theaterfront, vor der das Publikum auf Einlass wartet, während bereits die braunen SA-Störtrupps daruntermengen. Lea und Pedro spielen Lisa und Sou-Chong. Die blonde Primadonna und der offensichtlich ausländische Gastsänger haben eine Beziehung. Claudius, der Graf Gustl spielt, hat bei Lea-Lisa keine Chance.
„Immer nur Lächeln“ und „Dein ist mein ganzes Herz“
Was nun folgt, ist nicht große Operette, mit der Lehár Richtung Oper schaut, sondern eine Revue mit Spielleiter a la Cabaret, dem Chor als Publikum und dem Tschang aus der Operette als Gauleiter. Der greift mit seinen Störhorden, wie es sie auch in der späten Weimarer Republik gab, in das Stück ein. Ein Happy End, in dem Sou-Chong und Lisa wie in der „Gelben Jacke“ noch, zusammenbleiben, darf nicht sein. Der jetzt tragische Schluss fürs neue „Land des Lächelns“, in dem beide sich trennen, scheint nun politisch folgerichtig.
Die Szene der Mi wird zu einem Sado-Ballett
Mit neuen Texten – was bleibt sind die großen Musiknummern wie „Immer nur Lächeln“ oder der Tenor-Hit „Dein ist mein ganzes Herz“, denen Carlos Cardoso opernhaftes Volumen und fast schon italienischen Schmelz verleiht – „arbeitet“ sich die ehrgeizige Regie durch die Themen: Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit, Degradierung der Frau zu Hausfrau und Objekt der Begierde. Die Szene der Mi – gesungen und gespielt von Christina Clark mit wendigem, kristallklaren Sopran – wird zu einem Sado-Ballett (Choreografie: Igor Volkovskyy), das mit Reminiszenzen an die Berliner Auftritte der Josephine Baker in den 20er-Jahren spielt.
Wie einst Richard Tauber
Was zunächst konstruiert, zuweilen kühl wirkt, gewinnt im Laufe des Abends mehr und Tempo und gesellschaftspolitische Fallhöhe. Da ruft der Nazi „Sprecht mal richtig deutsch!“ ins internationale Ensemble. Mit Gustl steht der junge Kaiser Franz-Joseph schneidig wieder auf: die alten Eliten sind halt immer noch da, wird das Schlussbild suggerieren in dem Lea-Lisa zwischen Gauleiter und Kaiser steht. Pedro mit Hut und Mantel, wie einst Richard Tauber auf einem bekannten Foto, kann gerade noch lautlos das Theater verlassen.
Jessica Muirhead überzeugt mit großer Geste wie mit Zwischentönen
Mit Jessica Muirhead verfügt das Haus über eine Lisa, die sowohl in der opernhaft-großen Geste als auch bei den Zwischentönen überzeugt. Musikalisch stand die Premiere krankheitsbedingt unter keinem guten Stern. Sowohl Fritz Steinbacher (Gustl) als auch Thorsten Krohn (Obereunuch/Spielleiter) waren ebenso kurzfristig eingesprungen, wie Dirigent Stefan Klingele am Pult der süffig und transparent spielenden Essener Philharmoniker. Er hatte erst in den Schlussproben das Dirigat für den erkrankten Friedrich Haider übernommen, was vielleicht manche Unebenheit zwischen Graben und Bühne gerade bei den „Ohrwürmern“ erklärt. Das Premierenpublikum nahm die vielschichtige und bedrückend aktuelle Inszenierung größtenteils positiv auf – ein Buhgewitter jedenfalls blieb aus.
Auf dem Spielplan bis 17. Juni 2020. Die Silvestervorstellung ist bereits ausverkauft. Karten: Tel.. 0201/81 22-200 oder www.theater-essen.de