Gelsenkirchen. Kühner Zugriff: Am Musiktheater im Revier greift Intendant Schulz bei Verdis „Macht des Schicksals“ kräftig ins Werk ein. Es gab kräftige Buhs.

Sich freihändig lösende Schüsse (die zufällig den Schwiegervater mitten ins Herz treffen), Geschwister, so gut verkleidet, dass sie einander nicht erkennen, Erzfeinde, die der Krieg zu Herzensbruderschaft führt: Verdis „Macht des Schicksals“ ist eine schlimme Räuberpistole. In Gelsenkirchen wollte Intendant Michael Schulz die klangschöne Kolportage klarer, verständlicher machen.

Nicht jeder mochte folgen: Den Hausherrn des Musiktheaters trafen Samstag Buh und Bravo des Premierenbeifalls wie lange nicht bei Schulz. Was tut er bei seinem Versuch, den er „nicht stören, sondern schärfen“ nennt? Der dienstälteste Opernchef der Region baut Verdis Werk massiv um. Was bei Wagner qua Kompositionsfluss Organversagen zur Folge hätte, lässt Verdi – technisch zumindest – zu. Die Potpourri-Ouvertüre rückt hinter die Eröffnungsszenen. Später dann reiht Schulz die Ereignisebenen neu, um der Kette von Unwahrscheinlichkeiten mehr Schlüssigkeit und emotionale Dichte zu verschaffen. Schulz sortiert aber nicht allein Verdis Mailänder Fassung (und einige Rollenzuschreibungen) neu. Drei hinzugefügte Werke forcieren die starken Sakral-Momente des Werks. Aus Monteverdis Marienvesper tönt schicksalergebene Spiritualität, Verdis „Zorn Gottes“ aus dem Requiem ist der apokalyptische Furor, den Schulz als garstige Día de Muertos-Revue bildmächtig einschiebt.

Michael Schulz inszeniert „Macht des Schicksals“: Regie auf Distanz zur Kolportage

Kurz erinnert: Leonore liebt (opernüblich) in Alvaro (Sohn einer Inka-Prinzessin!) den Falschen. Alvaros Schießeisen tötet im Herabfallen ihren Vater. Beide türmen, komischerweise in verschiedene Richtungen. Die Frau ins Kloster, der Mann in den Krieg. Leonores Bruder Carlo glaubt an Mord…

Die Regie sucht die Distanz zum dramatischen Kauderwelsch, gleichwohl will sie die Intensität der Emotionen nicht kaltstellen. So zieht Schulz eine Zuschauerebene ein. Der Chor (im delikatem Piano nicht weniger überwältigend als im souveränen Meistern des heiklen „Rataplan“-Gesangs) begleitet die Story wie ein vergnügungssüchtiges Kino-Publikum. Vielleicht eines, das – auf Klappsitzen in 50er Jahre-Klamotten (Kostüme: Renée Listerdal) – nur sieht, was es sehen will: Aus eigenen Reihen sendet das Volk Retter und Rächer in die Szenen.

ln Gelsenkirchens Musiktheater gibt es bei Verdi Publikum auch auf der Bühne

Die Idee ist angreifbar. Das permanente gestische Kommentieren schwächt den Fokus. Und: zu oft scheint ironisch, was in der Musik wahrhaftig ist. Gelungener ist Schulz’ Entscheidung, den üppigen spanischen Schinken nicht in cineastischer Folklore auszustatten. Dirk Beckers Bühne macht eine Dutzendschaft blanker Tische zum vielgesichtigen Gestaltungsprinzip. Sie sind Kirchenbank, OP-Tisch, Eremiten-Klause und Soldateska-Areal.

Nicht alle Sänger behaupten sich im derart skelettierten Raum gleich gut. Petra Schmidt aber regiert ihn konkurrenzlos stark. Eine reife Sängerin wie sie, weiß, dass sie ihr Heil nicht in der engelgleichen Jungfrau Leonora findet. Schmidts packendes Porträt gilt der Märtyrerin – mit einem dramatischem Sopran, der bewegt und mitreißt. Üppig viril begeistert Bastiaan Everinks Bariton, allein Verdis „con eleganza“ könnte dieser Carlo noch mehr pflegen. Timothy Richards Alvaro rührt besonders in der melancholischen Klage. Luciano Batinićs nobler Gottvater-Bass ist als Pater ein Pfund, Piotr Prochera wertet den Buffo-Part des Melitone charmant auf.

„Macht des Schicksals“: Riesenjubel für Orchester und Sänger

Enormer Beifall für die Neue Philharmonie Westfalen, die einen großen Abend hat. Mag Giuliano Betta mitunter etwas pointenfixiert dirigieren: Das Orchester klingt nicht allein im seidigen Streicher-Piano fabelhaft: Die köstlichen Soli von Harfe, Cello, Klarinette sind ein Geschenk.