Düsseldorf. Eine Aufführung, die auch Schulklassen zuzumuten ist: Düsseldorf zeigt das „Leben des Galilei“ – am Ende gibt es höflich-freundlichem Beifall.
Theater, das nicht beginnen will, ist für Schauspieler eine Qual, bei Premieren zumal. Aber manchmal muss es einfach sein, Donnerstagabend zum Beispiel. Das Lachstatar, die Fleischbällchen, der Sekt – die wollte man für die Gäste des frischrenovierten (wenn auch außen immer noch baustellenhaften) Düsseldorfer Schauspielhauses ja auf keinen Fall warten lassen. So folgten auf den Festakt zum 50. Geburtstag des Baus erst adäquate Schnittchen – während die Schauspieler in den Garderoben hockten – dann aber doch, gut 40 Minuten verzögert: tatsächlich Theater.
Sie spielen Brecht und natürlich fällt es schwer, angesichts dieses Society-Präludiums am Rhein nicht die Dreigroschenoper zu zitieren, „erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral“. Es ist aber das „Leben des Galilei“, ein bisschen rar inzwischen auf den Bühnen, dabei kaum patiniert. Unserer Wissensgesellschaft wirft Brechts Stück eine neue Farbe zu: Die Renaissancegesellschaft verhinderte die Erkenntnis. 2020 treten immer mehr Menschen an, Erwiesenes ins Reich des Fakes zu verbannen. Beides erzählt von Macht, mal zum Erhalt, mal zu ihrem Erlangen.
Brecht-Abend mit komplett requisitenfreier Bühne
Lars-Ole Walburg legt einen Brecht-Abend von schlanken, wenn auch in seinen pausenlosen rund 130 Minuten fordernden Maßen vor. Die Inszenierung hat etwas von Retro und das liegt nicht nur an Ellen Hofmanns Kostümen, die auf die Entstehungszeit der Wissenschaftstragödie hindeuten. Wenn auf der komplett requisitenfreien Bühne der vatikanische Sekretär (mit Brecht-Brille) Schreibmaschinengeräusche steppt, wird die famos komponierte Ballszene auch zum Werkstatt-Szenario.
Freilich müsste der messerscharfe Text, der nie ein überragendes Stück bildete, aber herausragend den Widerspruch aller Forschung und zugleich den Fluch von Erkenntnis durchaus ergebnisoffen umkreist, für diesen puristischen Zugriff extrem präzis gearbeitet sein. Wie wenig Walburg in dieser Hinsicht getan hat, offenbart etwa Glenn Goltz im Monolog des kleinen Mönchs, von Tabea Bettins quälend monochromem Großinquisitor zu schweigen.
Eine Aufführung, die auch Schulklassen zuzumuten ist
So rettet sich, wer kann, durch eine Aufführung, die auch Schulklassen zuzumuten ist. Die in Hosenrollen nicht unerfahrene Lea Ruckpaul ist pointensicher (und mit Berliner Straßenjungen-Idiom) Galileis Schüler Andrea. Rosa Enskat knüpft als Haushälterin mit listigem Domestikencharme an die Tradition großer Brecht-Spielerinnen an. Der Rest des Ensembles ist im steten Wandel: Walburg kocht 50 Rollen auf neun Spieler ein. Das ergibt durchaus Effekte im Sinne des Theaterrevolutionärs, nivelliert aber zugleich Brechts raffiniert gebautes Panorama der Stände.
Das Stück von der Abschaffung des Himmels erzählt von einem Forscher, der sein Wissen am Ende unterdrückt, um an den Fleischtöpfen zu bleiben. Wie er selbst vom Suchenden zum Gegenstand wird, illustriert Olaf Altmanns Bühne clever. Das Hermetische eines schwarzen Halbrunds stülpt ein Riesenfernrohr Richtung Bühnenmitte aus – groß genug, Galilei selbst zu verschlingen. Dieser Galilei ist Burghart Klaußner. Er wählt einen Ton des Kammerspiels, bürgerlich, scheu, nach innen gerichtet jener, der sonst das All erforscht. Das Dionysische, das Brecht ihm zuschrieb, ist bei Klaußner eher Lippenbekenntnis. Sein Spiel ist warm, aber doch klug distanziert, vielleicht auch eine Haltung zur Aufführung.
Höflich-freundlicher Beifall als Antwort auf den tröstlichen Schluss
Auf den tröstlichen Schluss, mit dem Brecht selbst rang, verzichtet der mit höflich-freundlichem Beifall bedachte Abend. Es gibt sie nicht, die ahnungslosen Zöllner, die jenen gereiften Schüler durchwinken, der Galileos Erkenntnis aus dem Kerker des Klerus in die freie Welt bringt. Schlüssig ist dieser Schluss, heutig ist er ganz sicher. Es wird einfach nur dunkel: Wissen ist Nacht.